Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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die Ansätze Lohmeyers verstärkend, auf die entscheidenden Punkte, von denen her die kultgeschichtliche Betrachtung zu einem klareren Bild des irdischen Jesus vorstoßen kann: Grundlegend sind für Friedrich – im ausdrücklichen Anschluss an K.L. Schmidt89 – die Dämonengeschichten. Jesus sei Exorzist, in Aufnahme der klassischen Priesterfunktion, nämlich der Bekämpfung des dämonischen Einflusses auf den Menschen in Unreinheit, Krankheit und Sünde.90 Dabei gelte: „Jesus ist für ihn (scil. den Geist des Besessenen) nicht irgendein Zauberer, sondern der eschatologische Bezwinger der dämonischen Mächte, der über die bösen Geister Vollmacht hat.“91 Friedrich weist damit indirekt auf die Notwendigkeit, vom kultgeschichtlichen Ansatz her die antidämonische Macht der Priester im Gegenüber zu den von der Institution ‚Kult‘ unabhängigen Formen ‚Magie‘ oder ‚Zauber‘ zu bestimmen. Die alte Sohn-Gottes-Christologie bezieht sich nach Friedrich auf diesen priesterlich-messianischen, antidämonischen Kontext.92 Ebenfalls in den Bahnen der älteren kultgeschichtlichen Betrachtung steht Friedrichs Versuch, Jesu Taufe vom Taufverständnis des Urchristentum als Einführung in den Priesterstand zu verstehen.93 Jesu Taufe sei Weihe zum eschatologischen Hohenpriester; der Geistbesitz sei Salbungsgabe an den eschatologischen Hohenpriester, der so den Dämonen in der Versuchung wirksam widerstehen und das eschatologische Erlassjahr der Befreiung aller ‚Bessessenen‘ ausrufen könne.94 In Anknüpfung an Lohmeyer deutet Friedrich schließlich den Themenkomplex ‚Jesus und der Tempel‘ als Kampf des eschatologischen Hohenpriesters um den Gottesdienst der Endzeit. Christologisch stehe hier der Priestermessias gegen den Anspruch, davidische Tradition erfüllen zu müssen.95 Die Menschensohn-Christologie trennt Friedrich deutlicher als Lohmeyer vom Ansatz der Priestermessianität, obgleich in der Leidenslehre des Johannesevangeliums und des Hebräerbriefes diese Verbindung ausdrücklich gezogen zu sein scheint.

      Dass die Gestalt des Hohenpriesters in Traditionen des frühen Judentums messianisch geprägt wurde, gibt für W. Grundmann – im Gegenüber zur klassischen These vom hellenistischen Ursprung – den traditionsgeschichtlichen Anknüpfungspunkt für die Sohn-Christologie der Synoptiker.96 Grundlage sind vor allem TLevi Kapp. 4 und 18, sowie TJuda Kap. 21. Der Hohepriester ist himmlischer Kultdiener und steht im Gegenüber zu Juda in der Würde des himmlischen Königtums; ihm ist geöffnet der Zugang zur himmlisch-eschatologischen Seinsweise der sündlosen Paradiesexistenz.97

      Ganz deutlich weist Grundmann darauf hin, dass der Zugang zum himmlischen Königtum und die damit verbundene Sohnes-Christologie erst vor dem Hintergrund der Hochpriester-Lehre ihre Bedeutung gewinnt. Allerdings will Grundmann – mit Jeremias98 – den traditionsgeschichtlichen Zugang zu diesem Komplex in der παῖς-Lehre sehen.99 Die alte Vater-Sohn-Lehre Jesu reduziert Grundmann mit W. Manson auf einen Ausdruck Jesu „persönlichen, religiösen Bewusstseins“.100 Die Gottesknecht-Christologie gehe auf den Irdischen zurück. Da auch der Gottesknecht im Judentum als messianischer Hoherpriester verstanden werden konnte, bezeugten die Evangelien „… die Ineinssetzung von Gottessohn und Gottesknecht, und zwar auf der Grundlage des Nenners ‚messianischer Hoherpriester‘“.101

      Diese etwas mathematisch errechnete traditionsgeschichtliche Entwicklung – Sohnbewusstsein, Weg als Gottesknecht und Menschensohn, Umsetzung der Gottesknecht-Lehre, unter Einwirkung der Tradition vom messianischen Hohenpriester als Sohn, zur Sohn-Lehre – würde plausibler, wenn der innere Zusammenhang deutlicher aufgewiesen werden könnte. Dies kann nur so geschehen, dass man die Implikationen der Sohn-Lehre bei Jesus ernstnimmt: Mit ihr ist ein Zugang zum Vater umschrieben, ein direktes Treten in seine heilige Nähe. Dies ist aber auch das Grundanliegen der Hochpriestertradition, die diesen als Intimus Gottes zeichnet. So ist zu fragen, ob die Sohn-Lehre nicht von Anfang die Zugangsberechtigung zur heiligen, himmlischen Nähe Gottes meint und an sich schon immer am Modell der Gottesbegegnung des Hohenpriesters orientiert ist.

      In den Arbeiten von Lohmeyer und Friedrich klingt die Frage nach dem Verhältnis von Kultus und πρᾶξις an. Der Kultus ist die öffentliche Institution, welche die Welt verwaltet; dazu gehört auch der Hintergrundsbereich der Welt, biblisch gesprochen der himmlische Teil der Schöpfung. Seit Thompson102 und Mowinckel103 ist es zum Gemeingut der Forschung geworden, das Funktionieren des Kultus vor dem Hintergrund eines ‚magischen‘ Weltbildes zu sehen: Der Kultus regelt das Beziehungsfeld, in dem alles Sein miteinander verbunden ist, im Sinne einer ‚positiven‘ Ordnung. Kultus ist so Ausdruck und Garant einer guten kosmischen und sozialen Ordnung. Der kultisch-rituelle Vollzug bedeutet eine ontologisch wirksame Größe, die negative Schadenskräfte bannt und durch Reaktivierung der Schöpfungsordnung Heil mehrt.104 Auch die Entsühnung, als eine im Alten Orient grundlegende Funktion des Kultes, beruht auf der von der den Kult schützenden obersten Gottheit geschaffenen Möglichkeit, durch rituellen Vollzug Schadenskräfte, welche Unreinheit und Sünde auf Menschen bringen, zurückzuweisen.105

      Religionsgeschichtlich scheint der Kult als öffentliche Ordnungsinstitution auf einen Schamanismus zurückzugehen, dessen Wirksamkeit man auch im Bereich des Vorderen Orient und in der biblischen Tradition meint nachweisen zu können.106 Andererseits wird Kultus offenbar ständig begleitet von mehr ‚privateren‘ Formen, die in den vom Kultus verwalteten Bereich eingreifen und sich dem Verdacht der ‚Magie‘ aussetzen.107 Die auch magisch, d. h. auch außerhalb des Kultus, verwendbare Macht des Kultus liegt in der in ihm gehüteten Tradition über das Geheimnis der Schöpfung, ‚was sie im Innersten zusammenhält‘. Vor allem der heilige Name der Gottheit, die Kenntnis dessen, wie sie die Schöpfung geordnet und Himmlisches und Irdisches aufeinander bezogen hat, bilden das Kultgeheimnis. Der Kultus partizipiert so an der gebietenden Schöpfungsmacht der den Kultus haltenden Gottheit.108

      Wenn Jesus außerhalb des offiziellen jüdischen Kultus auf die Ebene des himmlischen Schöpfungshintergrundes vorstößt – dies tut er als Exorzist, Bekämpfer von Sünde, Tod und Teufel und in dem von Jeremias als Anspruch auf Weltvollendung umrissenen Zusammenhang –, kommt die diesen Anspruch haltende Christologie in das Kraftfeld der Auseinandersetzung von Kultus und Magie zu stehen. Wenn Jesus von den Dämonen der ‚Heilige Gottes‘ genannt wird, so führt dies vor die Frage, ob er eine Hochpriester-ähnliche Gestalt ist, die in einer eschatologischen und von Gott legitimierten Weise am irdischen Kult vorbei sich vom himmlischen Schöpfungshintergrund aus in die irdischen Dinge einmischt; oder ob er Magier ist, der das Kultgeheimnis unlegitimiert missbraucht.

      Vor diesem Hintergrund ergibt sich mit einer gewissen Notwendigkeit das von M. Smith angeschlagene Thema „Jesus the Magician“.109 Wie der kultgeschichtlichen Betrachtung in der Linie Deissmann/Bertram/K.L. Schmidt/Lohmeyer geht es Smith um einen einheitlichen Ansatz der neutestamentlichen Traditionsbildung, die in ihren wesentlichen Elementen auf den irdischen Jesus zurückgehe. Dazu gehören nach Smith die das Gemeindeleben in seiner ‚vertikalen‘ Ausrichtung bestimmenden Sakramente Taufe und Abendmahl samt ihrer Grundinterpretation. Ferner die Christologie, in der Jesu sich als himmlisches Wesen sehe. Hintergrund für diesen einheitlichen Ansatz ist Smith Rekurs auf das ‚magische‘ Weltbild, welches in Palästina und allgemein im hellenistischen Raum grundlegend sei und religiös ähnliche Ausdrucksformen suche, so dass für Smith Zauberpapyri und Zaubermystik des Judentums (Sefer Ha-Razim) aus motivgeschichtlichen Gründen nebeneinander stehen.

      Mit den älteren ‚Kultgeschichtlern‘ verbindet Smith auch der antiliberale Impetus bei der Rekonstruktion einer Christologie schon des irdischen Jesus: „Moreover, the fundamental antithesis, that between ‚the Christ of faith‘ as a mythological figure and ‚the Jesus of history‘ as preacher free of mythological presuppositions, is anachronistic. Where in ancient Palestine would one find a man whose understanding of the world and of himself was not mythological?“110

      Im Rahmen eines mythologischen Weltbildes, das wesentlich auf ein Reich himmlischer Zwischenwesen zugeordnet sei, trete Jesus als Wundertäter auf. Gegen die liberale Forschung gilt nach Smith, dass die Wunder, nicht die Lehre Jesu das Ursprüngliche sind. Die Lehre sei bei Jesus esoterische Belehrung des Magiers, während das gesamte halachische Material sekundär in die Jesustradition gekommen sei.111 Jesus sei von Haus unnomistisch; seine Wirksamkeit als Magier gipfele in der sakramental bewirkten Befreiung vom Gesetz. Die Taufe sei bei Jesus geheimer Ritus eines ekstatisch-visionären Eingangs in die himmlische βασιλεία, in der die Tora nicht gelte und von der der Aufsteigende somit befreit werde.112 Das Abendmahl bewirke magische Vereinigung der Teilnehmer mit dem Kultgott,