Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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in einen entscheidenden Bruch: Die Gegenwart erscheint nur noch als Unheilszeit. Steck meint, dass der Katastropheneindruck nicht mehr kultisch-theokratisch bewältigt werden konnte. Die Deutung der Vorgänge gehe in Dan 8 zwar auf die Vernichtung des Antiochus und die Wiederaufnahme des Tempeldienstes,147 jedoch werde die nachexilische Zeit insgesamt als Zorneszeit gesehen, was prophetischer, nicht jedoch kultisch-theokratischer Position entspreche.148 Die Zorneszeit über Israel korrespondiert dem Frevel im Volk. Diese geschichtstheologische, näherhin deuteronomistische, Konzeption sei dem kultisch-theokratischen Denken von Haus aus fremd.149 Es entstehe die Blickrichtung auf einen eschatologischen Tempel, von der her Kritik am irdischen Tempel und der makkabäisch-hasmonäischen Tempel-Wiederweihe möglich werde. Steck scheint die Reserve der Daniel-Kreise gegenüber der hasmonäischen Theokratie jedoch nicht so sehr in ihrer himmlisch-eschatologischen Kultidee wurzeln zu sehen, als vielmehr in der deuteronomistischen Konzeption.150 Die nachexilische Zeit nicht als Zeit eines durch den Tempel bedeuteten Heils, sondern allein als Zeit des Zorns und der Schuld zu sehen, „… dies ist allein die der theokratischen entgegengesetzte Sicht der Strömung deuteronomistischer Prägung …“;151 dennoch steht letztlich diese „… komplexe Neuverbindung von weisheitlicher, prophetischer und deuteronomistischer Tradition auf kultisch-weisheitlichem Boden …“152 Hat sich traditionsgeschichtlich die Entwicklung der Daniel-Überlieferung über Jahrhunderte als Ausgestaltung der theokratischen Grundlage zur eschatologischen Erwartung des kommenden Reiches vollzogen, so setzt in den wenigen Jahren, die durch die Antiochus-Erfahrung geprägt sind, ein „theologischer Umbruch sondergleichen“ ein.153

      Trotz mancher Bedenken gegen die Konstruktion gerade der letzten theologischen Entwicklung im Danielbuch154 können wir die Grundthese von Steck als bestätigende Ergänzung zu der im Anschluss zu erwähnenden Arbeit Hansons aufnehmen: Wesentliche Teile der langen Danielüberlieferung, einschließlich Kap. 7, sind als Wendungen der kultisch-theokratischen Position ins Eschatologische zu verstehen. Diese Wendung meint die Erwartung ungeminderter Verwirklichung des kultisch bedeuteten Heils in der Zukunft. Auch das makkabäische Danielbuch sieht die eschatologische Erlösung gerade in der Weihe des himmlisch-irdischen Zionstempels gipfeln (9,24). Das Heil des eschatologischen Umbruchs bleibt kultisch beschrieben.

      Hanson sieht in der Apokalyptik geradezu das Produkt einer durch priesterliche Außenseiterkreise umgestalteten Kultfrömmigkeit. Nach Hanson155 ist in nachexilischer Zeit die Kultreform das zentrale Anliegen aller religiöser Gruppen des palästinischen Judentums. Hanson unterscheidet eine zadokidische und eine spätprophetisch-apokalyptische Gruppe, die vor allem an Tritojesaja und Deutero/Tritosacharja anknüpfe. Die zadokidische Gruppe scheint ihr Restaurationsprogramm eher aus P und Ez bezogen zu haben. Beide Gruppen fallen aber nicht so sehr aus Gründen einer verschiedenen traditionsgeschichtlichen Basis bei ihrer Bestimmung des wahren, gottgefälligen Kultus auseinander, sondern weil sie soziologisch immer mehr auseinanderdriften: Die levitischen156 Kreise, die vom tatsächlichen Kultbetrieb ausgeschlossen werden, können ein utopisches Bild bewahren und verstärken, während die im alltäglichen Kultbetrieb verschlissenen Priester desillusioniert zu Werke gehen; orientieren sich diese begreiflicherweise an einem mehr konservativen Kultverständnis, so radikalisieren die isolierten Außenseiterkreise nach Sektenmanier ihr Kultverständnis im utopischen, apokalyptischen und mythischen Sinne.157 Hierbei greifen die Außenseiter auf vorexilische Kulttraditionen zurück, nämlich die Gott-König-Mythologie und die Zionstheologie: “… it was a vision of a righteous and holy community restored to a glorified Zion, in which all would be priests of Yahweh possessing Israel as their inheritance and secure from the threat of enemies …”158 Diese kultische, zionstheologische Bestimmung der Endzeit ist nach Hanson geradezu die apokalyptische Grundvision.159

      Religionssoziologisch arbeitet die Monographie zum Thema ‚Kultus und Eschatologie‘ von D. Aune.160 Aune geht davon aus, dass das Urchristentum von Anfang an, schon in der aramäisch sprechenden palästinischen Urgemeinde,161 für seine Christusverehrung auf kultische Ausdrucksformen gewiesen war.162 Im Gemeinde-Kult wurde Jesu eschatologische Herrschaft, die Teilhabe an seinem Reich, vorweggenommen. Im Kultus verwirklicht sich eschatologische Heilserwartung proleptisch, ohne die Erwartung einer zukünftigen Realisierung des Heils in toto aufzugeben.163 Dabei bringt nach Aune – hier liegt für ihn der wichtigste Gedanke – der kultische S.i.L. der Erfahrung eschatologischer Erfüllung einen Rückgriff auf die protologische Perspektive mit sich. Ende und Anfang entsprechen sich im kultischen Denken, so dass die Vorwegnahme des Endes ein kultisch vermitteltes Eingehen in das Paradies bedeutet.164 Da das Paradiesmotiv, die restitutio principii, Hauptmotiv der präsentischen Eschatologie in der Gemeindefrömmigkeit Qumrans und des Urchristentums sei, in diesem Motiv sich aber alte biblische Kulttradition zeigt, ist es für Aune keine Schwierigkeit, die Verbindung von Kultus und Eschatologie-Protologie schon im AT vorgeformt zu sehen.165 Allerdings arbeitet Aune nicht im engeren Sinne biblisch-traditionsgeschichtlich, sondern allgemein religionsgeschichtlich-phänomenologisch: “On the basis of this Judaeo-Christian conceptualization of the eschaton as the time for the restitutio principii, one might speak more accurately of ‚protology‘ than of eschatology. Actually, eschatology and protology function homologously, with the functionally insignificant difference that in eschatology the ideal conditions of the primal period are located not only at the beginning of time but also at its end.”166 Dabei kommt es bei Aune sogar zu einer bemerkenswerten Umkehrung: Während Kuhn die Präsentifizierungstendenz der Theologie der Qumrangemeinde von ihrem priesterlichen Selbstverständnis her, und d. h. aus dem Nachwirken bzw. der intensivierten Aufnahme der Jerusalemer Tempelsymbolik, deutet, sieht Aune in der priesterlichen Tempeltradition nicht den Grund und die historische Ermöglichung eines präsentisch-eschatologischen Heilsverständnisses, sondern nur eine Möglichkeit unter anderen, die Gegenwart der eschatologischen Erlösung auszusagen. Der Grund dafür liege woanders,167 nämlich in dem allgemein zu fassenden religionsgeschichtlichen Gesetz, Heil von der Rückkehr in den Urzustand zu erwarten und diese Rückkehr sich kultisch vermitteln zu lassen.168 Dieser Ansatz hat zur Folge, dass nach Aune jede religiöse Bewegung, die kultische Realisierung eschatologischen Heils anstrebt, zunächst sich allgemeinen religionssoziologischen Gesetzen unterwirft und erst sekundär auf dieser Grundlage ihre besonderen Traditionen ausformt. “The present study has attempted to examine select phases of early Christianity from the standpoint of the phenomenology of religions generally, and the religions movements in its environment in particular, all the while granting unique elements to the christian movement, elements, which are highlighted by a lack of continuity with the immediate religious and cultural background.”169 Dieses Ergebnis scheint methodisch präfiguriert: Vor dem Hintergrund zunächst und hauptsächlich allgemein religionsgeschichtlich-phänomenologisch erarbeiteter Gesetze zur Kulteschatologie erscheinen die einzelnen Ausprägungen des allgemeinen Gesetzes als jeweils unabhängige Realisierungen eines religionsphänomenologischen Schemas, so dass die eigentliche traditionsgeschichtliche Arbeit nur zu sekundär bedeutsamen Ergebnissen führen kann. Damit hängt wohl zusammen, dass Aune zwar mit dem Problem der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu einsetzt, jedoch mit seiner Methode zur Jesus-Frage nicht vordringen kann.

      Wir fassen zwischenzeitlich zusammen:

      Bevor wir uns der letzten der eingangs dieses Abschnitts 3. formulierten drei Fragen zuwenden, können wir jetzt eine Antwort geben auf die beiden ersten; wir stützen uns auf die Tendenz der Forschungsgeschichte des 20. Jahrhunderts.

      Die starre Trennung in zwei traditionsgeschichtliche Bereiche ‚palästinisch‘ und ‚hellenistisch‘ und ihnen entsprechende Grundaspekte eines jeweiligen Weltbildes, in der man die Kategorie des Räumlichen, Himmlischen, Kultischen ausschließlich dem Hellenismus zurechnete, hat sich zunehmend als unbrauchbar erwiesen. Die Wiederentdeckung des jüdischen Kultes hat einen traditionsgeschichtlichen Anknüpfungspunkt für das NT sichtbar werden lassen, durch den eine religiöse Orientierung sowohl in räumlichen als auch in geschichtlich-eschatologischen Kategorien als jüdisch-palästinisch vorgegeben ist. Der Kultus erschließt die himmlische Dimension der Schöpfung und mit ihr die Dimension, aus der die eschatologische Verklärung zur neuen Schöpfung anbricht. Offenbar kennt schon die Kultfrömmigkeit der Psalmen eine Spiritualität, ja eine Erfahrung des Anbruchs der Herrschaft Gottes, die man als proto-apokalyptisch bezeichnen kann. Schweitzers These von der mystischen Zuspitzung der apokalyptischen Naherwartung wird man umgekehrt auf die Füße zu stellen haben: Die „Mystik“ einer kultischen Erfahrung der Gottesherrschaft