Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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die Essener tempellose Fromme.46

      Diese hier zusammengestellten Einzelanschauungen über die Phänomene, deren Spiritualisierung Wenschkewitz untersucht, ja deren Bedeutung für ihn weitgehend an ihrer Spiritualisierungsfähigkeit hängt, sind, zumindest in der späteren Diskussion, kontrovers47 und weisen seinen Einsatz in eine bestimmte theologische Programmatik.48 Beachtlich ist jedoch, dass Wenschkewitz für das Neue Testament nicht einfach die ‚Propheten-Anschluss-Theorie‘49 aufnimmt, sondern den Kultus als Basis von Substitutionsmöglichkeiten ernst nimmt. Schon für die Zeit vor der Tempelzerstörung, erst recht danach, entdeckt Wenschkewitz verschiedene Versuche, das Anliegen des Kultus zu verdichten: Bei den Rabbinen ersetze das Tora-Studium den Kultus und schaffe so Gnade in der Welt,50 ein Gedanke, den auch Neusner zur Grundlage des Verständnisses der rabbinischen Tradierung der Kultgesetze gemacht hat.51 Dazu treten Gebet und andere fromme Leistungen an die Stelle des Opfers. Da Wenschkewitz Opfer hauptsächlich als menschliche Leistung versteht, entsteht durch diese Art der Substituierung kein Problem: Menschliche Leistung wird durch menschliche Leistung ersetzt, wenngleich Wenschkewitz andeutet, dass in beiden Gliedern sich Entsprechung zu einer göttlichen Offenbarung zeigen müsse.52

      Diese rabbinische Art der Substituierung sei zu unterscheiden von echter Spiritualisierung, da die Rabbinen ja auch mit einem wunderbaren Wiederaufbau des Tempels rechneten.53 Spiritualisierung hebt nach Wenschkewitz auf eine religiös höherstehende Ebene, während Substitution das Fundament des Substituierten, die Tora, im Grund nicht verlässt.54 Die Spiritualisierung der Kulttradition zeige sich im Neuen Testament, im Gegensatz zur Zwischenschaltung der Tora bei den Rabbinen und einer stoischen Philosophie bei Philo, darin, dass Jesus aus seiner Gottunmittelbarkeit ordnend und vermittelnd in das Gottesverhältnis des Glaubenden eingreife. Seine Gottunmittelbarkeit trage seine geläuterte, in ethischem und sittlichem Sinne vertiefte Kultusfrömmigkeit. Es geht um eine Frömmigkeit, die Motive des Kultus – Vermittlung von Gnade – aufnehme und so prinzipiell den alten Kultus überwinde.55 Diese Gottunmittelbarkeit, die ἐξουsία Jesu, sei nicht weiter bestimmbar, äußere sich aber am ursprünglichsten darin, dass Jesus sich und sein Werk in das Licht von Jes 53 stelle.56 Jesus sei im Lichte von Jes 53 zwar kein Opfertier und sein Tod geschehe nicht rituell, aber der Sühnegedanke in seiner Objektivität verbindet Jesus nach Wenschkewitz mit dem Opferkult im Jerusalemer Tempel.57

      Religionsgeschichtlich bzw. im engeren Sinne historisch untermauert Wenschkewitz diese These nicht. Jesu Beziehung zum Kult bleibt einerseits etwas Singuläres, entspricht aber anderseits dem Trend der Spätantike. Es geht um das Bemühen um Sittlichkeit und um eine von äußerlicher Ritualität befreiten Geistigkeit.58

      Sah Jeremias den Zweck der Rezeption von Motiven der Kulttheologie in dem Anspruch, mit der Opferstätte Jesu nun den Himmel und Erde verbindenden kosmischen Knotenpunkt zu verwalten, stützt sich Wenschkewitz auf den geistesgeschichtlichen Trend der Spätantike, den kultischen Vollzug zu spiritualisieren. Das Kultverständnis des Neuen Testaments partizipiere daran.

      Einen nochmals anderen methodischen Einsatz wählt E.O. James.59 Er arbeitet mit dem orientalischen ‚cult-pattern‘ der nordischen Schule, welches um die Figur des Königs als Mittler zwischen Gottheit und Menschheit kreist und in seinem Tod und Auferstehen rituell-magische Mitbegründung kosmischer Ordnung findet. “Thus, the dead and resurrection drama in its crudest form was a mystery play on the theme ‘Out with famine, in with health and wealth’, in which the king, or his heavenly counterpart, was the principal actor, and the story of creation was re-enacted as part of the ritual struggle.”60 Da das Judentum den unmittelbaren Hintergrund für das NT abgebe, seien die im nachexilischen Judentum mit der Figur des Königs verbundenen kultisch-kosmischen Traditionen für das Verständnis der neutestamentlichen Christologie heranzuziehen.61 Nachdem die Hoffnung auf die davidische Lösung sich mit der kultischen Restituierung nach dem Exil als unmöglich erwiesen habe, schaute man auf eine direkte Intervention vom Himmel, die sich in der makkabäischen Zeit in der Figur des Menschensohnes als des Urmenschen, darin alte Königsmythologie aufnehmend, verdichtet habe.62 Jesus setze mit dem anderen im Judentum nach dem alten cult-pattern entworfenen idealen Königsbild ein, dem deuterojesajanischen Gottesknecht.63 Er verbinde seine gegenwärtige königlich-kultische Opfer-Erniedrigung mit seiner zukünftigen himmlischen Erhöhung als Menschensohn.64 Die christliche Heidenmission stoße sofort auf andere Ausläufer des alten hero-pattern und ersetze die älteste Ebed-Menschensohn-Christologie durch den Kyrios-Begriff.65 James lenkt damit den Blick der kultgeschichtlichen Betrachtung des NT weg vom Fixpunkt der älteren Forschung in den hellenistischen Mysterien. Wie das palästinische Judenchristentum diese alte Jesustradition kultisch genutzt haben soll, kann man nur spekulativ folgern.66

      Religionsgeschichtlich einen ähnlichen Weg wie James geht Arvedson.67 Die altorientalische kultische Gattung des Dankopfers (תודה) findet er auch im AT, vor allem jedoch in den hellenistischen Mysterien, die die älteren Vegetationsmythen des Ostens aufnähmen und die kultischen Ausdrucksformen des Ostens übernähmen.68 Die ältere kultisch-räumliche Dialektik von Leben und Tod schlüge in den Mysterien um in eine gnostische von himmlischer und irdischer Existenz.69 Da die Jesus-Tradition sich in Mt 11,25-30 formgeschichtlich an die Todah-Gattung anlehne, spreche Jesus im ersten Teil zwar scheinbar von seiner Würde analog der eines altorientalischen Königs; da er im Folgenden aber die Umsetzung der königlichen Inthronisation – ein angeblich klassischer Fall für die Darbringung einer Todah – in die Selbstverkündigung eines hellenistischen Mystagogen voraussetze, sei der ganze Zusammenhang Mt 11,25-30 als Liturgie eines hellenistischen Mysteriums der Inthronisation des erlösten und erlösenden Offenbarers zu verstehen.70

      Den Fortschritt zu einer auch traditionsgeschichtlich abgesicherten, nicht nur religionsgeschichtlich konstruierten Einbindung des Neuen Testaments und der Jesustradition in die alttestamentlich-jüdische Kultgeschichte zeigen die Arbeiten von H. Gese. Wegen der starken Berührung mit Thesen von Arvedson fügen wir hier den Hinweis auf Geses grundlegenden Aufsatz über „Ps 22 und das Neue Testament“71 ein. Auch Gese rechnet mit einer kultgeschichtlichen Kontinuität zwischen Altem und Neuem Testament, insofern Jesus und der palästinischen Gemeinde Kultbräuche des zweiten Tempels selbstverständlich bekannt waren. Jesus deutete seinen ihm bevorstehenden Tod im Rahmen der Feier einer Todah, eines Dankopfers, und stiftete in diesem Rahmen das Abendmahl.

      Wenn Gese das urchristliche Abendmahl kultgeschichtlich an die Todah anbindet und dann methodisch ein ‚kultätiologischer‘ Übergang zum Leben des Irdischen erschlossen wird, so ist von vornherein eine erst hellenistische Entstehung des Abendmahls und eine Deutung im Sinne der Mysterien ausgeschlossen.

      Vom Alten Testament herkommend, bedarf es weder der schwer zu beweisenden ursprünglichen Identität des Herrenmahls mit dem Passa noch der Annahme, dass die vorpaulinische hellenistische Gemeinde das wesentliche, schöpferische Element der neutestamentlichen Traditionsbildung darstelle. Vielmehr musste nach alttestamentlichen Maßstäben auf die Erfahrung der Auferstehung hin notwendig die Feier der Todah vollzogen werden, ja, die Verkündigung der Auferstehung kann vollständig, d. h. als Erfahrung der Auferstehung, nur in dem Todah-Mahl vollzogen werden.72

      Die Feier der Auferstehung gemeinsam mit dem Auferstandenen, die Erfahrung ihrer Wirklichkeit, vollzieht sich also nicht im Rahmen einer hellenistischen Kultmystik, sondern ist Kennzeichen alttestamentlich-jüdischen Verständnisses von kultisch vermittelter, himmlisch-irdischer Wirklichkeit. Bestimmte Psalmen, so der von Gese untersuchte 22., enthielten geradezu eine apokalyptische Theologie, die vom Einbruch der βασιλεία τοῦ θεοῦ als Errettung vom Tode wisse.73 Diese kult-apokalyptische Theologie einer βασιλεία-Frömmigkeit sei getragen vom Bekenntnis zur Teilhabe am Leben aus den Toten, die herrühre aus der Erfahrung des Einbruchs der βασιλεία aus dem Himmel in die vom Christus neu qualifizierte irdische Wirklichkeit der Gemeinde. Die apokalyptische Eschatologie der urchristlichen Kultgemeinschaft wurzele letztlich in alttestamentlicher Kultspiritualität, welche Jesus in seinem Tod am Kreuz an die Wirklichkeit eschatologischen Lebens aus den Toten gebunden habe. „Derjenige, der diese βασιλεία in seinem Leben verkündet hat, führt sie in seinem Tod herbei …“74

      Wir stoßen auf den Versuch, Kultus und Eschatologie, ja Kultus und Apokalyptik, Erwartung eschatologischen und Erfahrung himmlischen Lebens als Einheit zu sehen. Die Differenzierungen der älteren Forschung