Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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eigentlich unvereinbar seien: Während sich in der priesterlichen Tradition aus der Gemeinschaft mit den Himmlischen ein Wissen um gegenwärtig erreichbares himmlisches Heil ergebe, kenne die Apokalyptik gegenwärtige Offenbarung nur als bloßes Wissen um rein zukünftiges Heil, welches gegenwärtige Heilserfahrung keineswegs erschließe.116 Da Eschatologie nach Kuhn im Judentum sonst unter diesem rein zukünftig ausgerichteten Begriff von Apokalyptik bestimmbar werde, ist es für ihn deutlich, dass die Qumran-Eschatologie gegen alle übrige jüdische Eschatologie stehe.117

      Diese Analyse Kuhns scheint uns schematisch und konstruktiv zu sein.118 Der Apokalyptik-Begriff unter dem Stichwort der ‚heilsleeren Gegenwart‘ stammt nicht aus einem religionsgeschichtlichen, sondern systematisch geforderten Ansatz, der sich stark an Bultmann anlehnt. Hier wird die Apokalyptik als strenge Gesetzesreligion verstanden, in der das Heil nur aus dem Toragehorsam stamme und die Schau zukünftiger Erlösung eine nur über den Toragehorsam mit der Gegenwart vermittelte Kraft habe.119 Apokalyptik ist dann eine Form der jüdischen Religion, welche über die Schranken eines starren Gesetzesbegriffs nicht hinausführe – eine auffällig passende Folie für einen Entwurf der Offenbarung Gottes in Jesus aus souveräner Unmittelbarkeit und jenseits aller Schranken der religionsgeschichtlichen Umwelt. Dass auch Kuhn Jesus in dieser Art versteht, werden wir unten sehen.120 Demgegenüber ist zu betonen, dass gerade in der bei den Qumranfrommen sich findenden Synthese zwischen ‚Kultus‘ und ‚Apokalyptik‘ ein deutlicher Hinweis liegt, dass beide angeblich unvereinbaren Traditionsreihen offenbar doch aufeinander verwiesen.121 Wir sind der Meinung, dass dies nur deshalb möglich war, weil beide Traditionsreihen schon vor der Ausbildung der Qumran-Theologie miteinander in Verbindung standen: Die Apokalyptik setzt den Kultus als Heilsinstitution voraus, und der Kultus hat von Haus aus eine Offenheit zur Erfassung einer der Protologie entsprechenden eschatologischen Perspektive. Apokalyptische Offenbarung führt zu einer Begegnung mit dem Gott, der die Geschichte Israels und des Kosmos in Händen hat; von ihm Offenbarung über die Erhöhung der ‚Heiligen‘ zu erhalten, bedeutet eine schon die Gegenwart bestimmende Heilsaussage. Kuhn scheint für seine Qualifizierung apokalyptischen Offenbarens und Wissens Voraussetzungen hebräischen Denkens außer Acht zu lassen, die er anderorts ausdrücklich namhaft macht122: Hebräisches Denken kenne eigentlich den modernen, linearen Zeitbegriff nicht, sondern verstehe Gegenwart als Raum der Vergegenwärtigung vergangener und zukünftiger Ereignisse. Dass Kuhn dennoch die apokalyptische Offenbarung mit einem rein linearen Zeitbegriff zu verknüpfen sucht,123 entspricht dem Versuch, kultisches Denken vom Entwurf einer eschatologischen Dimension zu trennen und die Enthüllung des Himmlischen als eigentlich nicht im Kultus beheimateten Prozess hinzustellen.124 Dabei scheint uns nach allem, was die Jerusalemer Tempelsymbolik und allgemeiner die altorientalische Kultideologie ausmacht,125 deutlich zu sein, dass ein Himmel und Erde umfassendes, kultisch geordnetes Weltbild entsteht, in dem das Himmlische Raum Gottes und des Heils ist. Da in der biblischen Traditionsbildung auch das geschichtliche Credo im Rahmen kultischer Begehung, ja der geschichtlich verankerte Bundesschluss kultisch vergegenwärtigt wird und die letztlich den Rahmen bestimmenden Sammelwerke P, DtnGW und ChrGW auf kultischer Grundlage entstehen, scheint eine Gegenüberstellung gegensätzlicher Traditionen geschichtlicher und kultischer Prägung zweifelhaft. Angesichts der genannten Verbindungen, ferner der Verwobenheit von Kultus und Eschatologie in der Johannes-Apokalypse,126 in der jüdischen Mystik127 und religionsgeschichtlich entfernteren Analogiebildungen128, stellt sich die Frage, ob nicht zumindest ein Großteil jüdischer Apokalyptik speziell ‚Kultapokalyptik‘ ist, die aus der kultisch erschlossenen Möglichkeit, in das Himmlische vorzustoßen, die Offenbarung über die im Himmel schon vorhandenen eschatologischen Heilsgüter bezieht. Der himmlische Ort, von dem her im Kultus das göttliche Heil irdisch wird, sich inkarniert, ist ja der Ort der Erlösung. Das Himmlische, auf das der Kultus sich bezieht, ist also anscheinend eo ipso Ausdrucksform des eschatologischen Geheimnisses, ja im Himmlischen ist offenbar das eschatologische Geheimnis, welches auf der irdischen Geschichtslinie in der Zukunft liegt, schon präsent.

      Kuhn scheint uns den Einfluss der Tempelsymbolik auf Teile des nachbiblischen Judentums überzeugend nachgewiesen zu haben, jedoch mit einem zu engen Apokalyptik-Begriff zu arbeiten. Da Kultfrömmigkeit und apokalyptische Offenbarung auch sonst im Judentum und der weiteren Religionsgeschichte zusammenkommen, erscheint die These einer einmaligen Synthese von Haus aus völlig verschiedener Denkformen unwahrscheinlich.

      Man hat den Eindruck, als wirke auch dort, wo die religions- und traditions-geschichtlichen Voraussetzungen für eine Neubestimmung der Größen ‚Kultus‘ und ‚Eschatologie‘ grundsätzlich vorhanden sind, immer noch die ältere Trennung in Begriffsreihen, wie jüdisch-apokalyptisch-geschichtlich und hellenistisch-kultisch-räumlich, nach. Von einem Gegensatz zwischen Theokratie und Eschatologie spricht beispielsweise auch noch O. Plöger: Während die Apokalyptik sich aus der unkultischen Eschatologie der Propheten entwickelt habe, sei die ungeschichtliche Theokratie-Konzeption der Priester in hellenistisches Denken umgeschlagen.129 Systematisch-theologisch verbindet Plöger die eschatologische Erwartung mit der Existenz im Glauben, die Theokratie mit der Existenz der Sicherheit.130

      Trotz trefflicher Bemerkungen zur Forschungssituation finden sich auch im TRE-Beitrag von Karlheinz Müller131 u.E. einseitige Zuspitzungen, die so nicht haltbar sind: Das strapazierte Stichwort der ‚heilsleeren Gegenwart‘ klingt nach wie vor an, wenn es heißt, dass Heil in der Apokalyptik nicht mehr als innerweltlich abgesicherte Erinnerung an Vergangenes, sondern ausschließlich aus der Zukunft erwartet werde;132 dass die Apokalyptik „das Grundaxiom der wesentlichen Beziehungslosigkeit zwischen Geschichte und Erlösung“133 vertrete, dass die Mitte der apokalyptischen Überzeugung auf die These einer „… absoluten Übergangslosigkeit zwischen Historie und der Erlösung“134 hinauslaufe; dass die asidäischen Apokalyptiker ein irreparabel gebrochenes Verhältnis zum theokratischen Grundwissen und damit zur alten Tradition geschichtlicher Erwählung haben.135

      Traditionsgeschichtlich sehr viel differenzierter und damit in der historischen Analyse überzeugender ist die Untersuchung von O.H. Steck136, der der Abfolge der in der Perserzeit entstandenen aramäischen Danielerzählung (Dan 2-6), über das aramäische Danielbuch der Ptolemäerzeit (+ Dan 2+ und 7+), bis zum makkabäischen Danielbuch (Zufügung von 1 und 8-12; Umarbeitung von 2 und 7) unter dem Aspekt der darin jeweils enthaltenen Geschichtskonzeptionen nachgeht.

      Die aramäischen Erzählungen sehen Gottes Weltherrschaft in der irdischen Konkretion des persischen Großreiches: „Diese von der Erzählung repräsentierte Position ist an dem Israel konstituierenden Tempelkult des nachexilischen Jerusalem orientiert …“137. Und das bedeutet nach Steck: „Die Geschichte Israels ist in dieser ganz uneschatologischen, von einem Wiederaufleben der vorexilischen Jerusalemer Kulttradition geprägten Sicht kein konstitutiver Rahmen theologischer Wahrnehmung, weil sie in der nachexilischen Kultgemeinschaft und ihren Heilsqualifikationen schon zum Ziel gekommen ist.“138 Mit der kurzen Blüte der Alexanderzeit und dem Verfall des Großreiches in die Diadochenländer befasst sich das ptolemäische Danielbuch: Nicht ein Großreich repräsentiert irdisch Gottes Himmelsherrschaft, sondern erst am Ende der Tage wird Gottes Himmelsherrschaft sich in einem andersartigen Reich offenbaren.139 Die kultische Kategorie der vom Himmel ausgehenden Herrschaft Gottes schlägt angesichts der geschichtlich erfahrenen Zersprengung des Entsprechungsgedankens von ‚oben‘ und ‚unten‘ um in eine rein eschatologische Lösung.140 „Die Aussagen über das eschatologische Reich werden in Aufnahme der Aussagen der Erzählungen und Hymnen als deren ungeminderte Verwirklichung in der Zukunft formuliert.“141

      Steck spricht bei dieser Wandlung der kultisch-weisheitlichen Position ins Eschatologische von einem Einfluss „prophetisch geprägter Strömungen der Zeit.“142 Dennoch bleibt traditionsgeschichtlich konstitutiv auch in dieser Wandlung das Bild des theokratischen Israel: Es ist das Israel der Kultgemeinde, welches in dem ewigen Reich leben wird.143 Es ist dies das Reich des Menschensohnes und der Heiligen des Höchsten.144 Diese eschatologische Erwartung scheint getragen zu sein durch das Wissen darum, dass die himmlischen Engel jetzt schon um den Thron Gottes herum eine himmlische Gemeinde bilden, zu der dann die Gerechten der Endzeit hinzugenommen werden.145 Die durch die Qumran-Schriften im Besonderen bekannt gewordene Heilsaussage der Engelgemeinschaft erwüchse dann auch hier aus einer kultischen Grundaussage.146

      Sehr kompliziert werden nach Steck die geschichtlichen und traditionsgeschichtlichen Abläufe in der