Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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können nun an den Beobachtungen zur Theologie der Qumranschriften und einer daraus resultierenden neuen Beschäftigung mit der jüdischen Apokalyptik traditionsgeschichtlich ausgezogen werden. Wir stoßen auf eine jüdische Kultfrömmigkeit – die nicht immer identisch sein muss mit einer Zentrierung im Jerusalemer Kult-, welche die Gemeinschaft mit den Bewohnern des himmlischen Teils der traditionell kultisch verwalteten Schöpfung erfahrbar macht und daraus das Ziel der eschatologischen Erlösung ableitet.

      Es besteht also offenbar kaum noch ein Grund, an dem das Himmlische, Räumliche und Kultische allein der hellenistischen Entwicklungs-Epoche des Urchristentums zuweisenden traditionsgeschichtlichen Schema der älteren Forschung festzuhalten. Dort, wo das Judentum als lebendige Kultreligion verstanden wird, begegnet man einem raum-zeitlichen Weltempfinden, in dem die aus Himmel und Erde bestehende Schöpfung in einer beide Schöpfungsräume umspannenden Geschichte zwischen Schöpfung und Neuschöpfung geschaut wird.

      4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus

      Das Jesusbild der „konsequenten Eschatologie“ und die hermeneutische Umsetzung dieses Jesusbildes bei Bultmann und seinen Schülern hat die Kategorien des „Himmlischen“ und einer positiv qualifizierten Gegenwart als religiöse theologisch negativ gewertet. Sie entsprechen nicht der eschatologischen Krisensituation. Damit wird aber auch eine offene religionsgeschichtliche Einarbeitung Jesu in seine Umwelt erschwert. Die von der liberalen religionsgeschichtlichen Betrachtung ausgehende „kultgeschichtliche“ Arbeit konnte zwar ein relativ gefülltes Bild vom religiösen Leben der Gemeinde geben. Es blieb dabei aber die Schwierigkeit, von der Kultreligion der Urchristenheit zu Verkündigung und Gestalt des irdischen Jesus vorzustoßen.

      Diese Schwierigkeit hat verschiedene Ursachen. Zunächst ist nochmals die Wirksamkeit des ‚doppelten Ansatzes‘ zu nennen, eines Programms, das, aus der älteren liberalen Tradition kommend (Baur, Harnack), in der kultgeschichtlichen Betrachtung von Bousset, Wetter, Arvedson und im Einflussbereich Bultmanns nachwirkt: Mit dem Gemeindekult komme etwas Neues auf, so dass, beispielsweise, aus der eschatologischen Passahfeier Jesu religionsgeschichtlich das Mysterienmahl der hellenistischen Gemeinde wurde.1

      Auch noch in neueren Arbeiten stößt man auf das mehr oder weniger deutlich empfundene Problem des Brückenschlags von der Kultfrömmigkeit zum irdischen Jesus: Aune2 geht zwar von der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu aus, um das Problem der präsentischen Eschatologie zu beleuchten, kommt aber nach seinem Exkurs über den Gemeindekult als Sitz im Leben für die präsentische Eschatologie in Qumran, im Johannesevangelium, bei Ignatius, in den Oden Salomos und bei Marcion nicht mehr ausdrücklich auf diese Ausgangsfrage zurück. Stehen also die präsentisch-eschatologischen Züge der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu schon unter Einfluss eines protokultischen Denkens bei Jesus selbst oder sind in den Evangelien Jesustradition und Kulttradition der Gemeinde so unauflöslich miteinander verquickt, dass eine isolierte Betrachtung Jesu methodisch unmöglich ist? Aunes Schweigen zu diesen Fragen weist zurück auf das latente Problem der kultgeschichtlichen Betrachtung.

      Auf der anderen Seite könnte man von weiteren Arbeiten aus dem Einflussbereich der ‚Kultgeschichtler‘ Böchers Monographien nennen, welche die magische Komponente des urchristlichen Kults, vor allem des Taufritus, untersuchen, christologisch den antidämonischen Einsatz der Sakramente aber aus der ἐξουsία des Erhöhten herleiten und damit ebenso die eigentliche Jesus-Frage von der kultgeschichtlichen Betrachtung mehr oder weniger ausklammern.3

      Ferner muss der bei den ‚Kultgeschichtlern‘ häufig anzutreffende Einfluss des älteren liberalen Jesusbildes genannt werden, wonach Jesus unabhängig von Fragen nach Eschatologie und Kultus im Wesentlichen sittliche Persönlichkeit ist. Dieser Einfluss macht sich auch dort noch bemerkbar, wo man sich um ein ‚einheitliches‘ Verständnis der neutestamentlichen Traditionsgeschichte bemüht und damit das Programm des ‚doppelten Ansatzes‘ ausdrücklich ablehnt. So sprach der späte J. Weiss, der die Christologie aus dem Messiasbewusstsein Jesu4 ableiten wollte, in der Qualifizierung dieses Verhältnisses von der Sittlichkeit Jesu5 und der sittlichen Abhängigkeit der Jünger, die religiöse Verehrung mit sich bringe.6

      Deissmann benutzte ein etwas anderes Vokabular: Er sprach vom gewaltigen ‚Ichbewußtsein‘ Jesu, welches gemeinschaftsbildend gewirkt habe. Deissmann setzt dabei ebenso die Kategorie des sittlichen Individuums voraus, wie er religionsgeschichtlich Jesus an die alttestamentlichen Propheten bindet.7 Obgleich Deissmann ausdrücklich gegen die Theorie eines ‚doppelten Ansatzes‘ protestierte,8 stellte er dennoch einen anderen Bruch heraus, den zwischen Jesus und der palästinischen Gemeinde: „Sie haben den Propheten des Gottesreiches zum Objekt der apostolischen Frömmigkeit gemacht, indem sie das Siegel unter seine messianische Selbstoffenbarung setzen.“9 „Jesus selbst hatte keinen neuen Kult gestiftet; er hatte die neue Zeit verkündet.“10 Religionsgeschichtlich stehe Jesus auf dem Boden seiner jüdischen Mutterreligion, während der apostolische Jesuskult heidnische Elemente aufnehme.11

      Auch Lohmeyer sprach in den 20-er Jahren im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Theorie einer ‚Kultmystik‘ des Urchristentums unter Verwendung des liberalen Prophetenbegriffs von Jesu Gebundenheit an den Vatergott; er sei gottgesandter Prophet,12 der vorwiegend ethisch denke.13

      In seiner Berliner Probevorlesung von 192214 hat G. Bertram die Probleme der kultgeschichtlichen Methode bei einer Einbeziehung des irdischen Jesus in die einheitliche Linie dargestellt: Bertram spricht von einer immanenten kultischen Bedeutung der Worte und Handlungen Jesu: „Wie weit hat Jesus bewusst so gehandelt, solche Forderungen an seine Gemeinde gerichtet (Bertram spricht allgemein von den die Evangelien formgeschichtlich prägenden Elementen der Wort- und Tatüberlieferung), dass Handlung und Forderung nicht in sich selbst ihr Ziel, ihren Sinn hatten, dass sie vielmehr zur Darstellung einer hinter ihnen liegenden Idee oder religiösen Wahrheit dienen sollten, also eine immanente kultische Bedeutung hatten?“15 Auffällig ist hier, dass Bertram den besonderen kosmischen Zeitaspekt des Kultus nicht religionsgeschichtlich, sondern allgemein idealistisch fasst; ebenso ungeschichtlich ist die Verbindung des Glaubens der Urgemeinde an Jesus als Kultheros mit dem irdischen Jesus über den Eindruck, den Jesu „Persönlichkeit“ ausgestrahlt habe.16 In und an Jesu Persönlichkeit werde etwas Unbedingtes erlebt. Daraus entstehe letztlich Jesu Verehrung als Kultheros.17 „Jesus selbst sind die Formen dieser Religion fremd. Trotzdem ist er ihr Stifter geworden, weil er in sich die Kraft alttestamentlicher Sittlichkeit mit dem Willen zum stellvertretenden Leiden vereinte. Er hat den Gedanken von Jes 53 in die Tat umgesetzt und damit die Heilsweissagung des Alten Testaments erfüllt.“18

      Obgleich Bertram sich ausdrücklich vom Historismus und der liberalen Ethisierung des Christentums absetzt, ja ein streng religionsgeschichtliches Verständnis des Urchristentums fordert, welches den A-Historismus des kultischen Denkens der Zeit des NT ernst zu nehmen habe und ihn nicht unter der Hand in ein unhistorisches, aus der Moderne bezogenes Denken verwandeln dürfe; obgleich sich daraus für Bertram überlegenswerte Perspektiven einer Deutung von Kreuz und Ostern ergeben,19 ja sein Kampf um einen einheitlichen Ansatz betont werden muss, so bleibt doch bei Bertram ein Jesusbild, das den bekämpften Kategorien des sittlichen Vorbilds, des persönlichen Eindrucks, des prophetischen Gottesbewusstseins und damit den ungeschichtlichen Kategorien des Liberalismus verpflichtet ist.

      So weist Bertram auf die notwendige religionsgeschichtliche Arbeit an einem dem Ansatz der einheitlichen kultgeschichtlichen Betrachtung entsprechenden Jesusbild. Bertram nennt auch Zielpunkte, auf die eine solche Betrachtung hinführen müsse: ausgeprägte Christologie bei Jesu selbst, seine Teilhabe an der himmlischen Welt, Einbeziehung der besonderen Zeiterfahrung kultischen Denkens; Bertram vermag diesen Schritt jedoch religionsgeschichtlich nicht zu gehen, sondern bleibt bei der Verwendung platonisierender Begriffe.

      Etwas weiter führt K.L. Schmidts Beitrag ‚Eschatologie und Mystik‘20, der ebenso um einen einheitlichen Ansatz der kultgeschichtlichen Betrachtung ringt. Religionsgeschichtlich setzt er bei Jesus die Kategorie der Vision als Vorstufe der späteren Kultmystik ein. Die Vision himmlischer Ereignisse löse die eschatologische Spannung und sei Vorstufe der Kult-Mystik.21 Da Jesus zumindest nach einigen Texten der Evangelien Visionär sei, könne man sagen, dass seine Eschatologie eine visionäre Komponente hatte und somit offen war für die im Rahmen des urchristlichen Kultus sich