Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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      Wir halten fest:

      Die konsequent-eschatologische Deutung der Jesus-Tradition kann die neu erkannte Bedeutung des transzendenten Charakters der Basileia nur negativ abgrenzen. Eine Pneumatologie, die geeignet wäre, auch für die Gegenwart (Jesu und der Gemeinde) eine positive Beziehung zum Reich auszusagen, ohne es in die Immanenz hinabzuziehen, fehlt im klassischen Ansatz von Weiss. Die konstatierten Phänomene religiöser Hochstimmung müssen theologisch irrelevant und unkontrolliert bleiben.

      Die konsequente Eschatologie hat schon bei Weiss die Tendenz, sich auf eine endgeschichtliche Offenbarung zu beziehen, die sich schließlich doch dem Evidenzdruck immanenter geschichtlicher Erfahrung wird beugen müssen. Boussets Weiterentwicklung führt zur Konstruktion eines doppelten Ansatzes: Dadurch wird die konsequent-eschatologische Jesus-Deutung geschützt. Die religionsgeschichtlich unabweisbare Frage nach dem positiven, lebendigen Zentrum der urchristlichen Religion, welches allein sie hat zur geschichtlichen Größe werden lassen, wird beantwortet durch Hinweis auf den Kyrios-Kult der hellenistischen Gemeinde. Dadurch wird aber andererseits die palästinische Jesus-Tradition stark isoliert.

      2. Die Lösung der Eschatologie von Raum und Zeit

      Die konsequente Eschatologie versuchte, die Transzendenz des Reiches durch eine radikale Futurisierung zu sichern. Die dialektische Theologie, zumal in ihrer auf die Deutung der menschlichen Existenz bezogenen Ausformung, ist von dem theologischen Impetus getragen, die Transzendenz des Reiches nochmals gegen die in der alleinigen Futurisierung liegenden Gefahren zu schützen. Da hierzu die vor-moderne Kategorie des Himmels nicht mehr zur Verfügung stand, wurde eine neue Grenzlinie für den Einbruch der Transzendenz in die Immanenz gefunden: das Individuum in seiner Betroffenheit. Der streng eschatologische Ansatz bei Weiss, Bousset und Schweitzer1 steht an den Anfängen der dialektischen Theologie und der existentialen Jesus-Interpretation bei Bultmann.2 Um diese Zusammenhänge sichtbar zu machen und damit die Forschungssituation – sofern sie von dieser Seite her bestimmt wird – zu erhellen, gehen wir ein auf das Jesusbuch von G. Bornkamm.3 Diese häufig abgedruckte Darstellung repräsentierte für eine lange Zeit, wohl wie keine andere, die Perspektiven und Ausdrucksmöglichkeiten der eschatologisch-dialektisch-existentialen Betrachtung Jesu. Auch Bornkamm setzt ein mit dem klassischen Topos einer Ankündigung der zukünftigen Weltenwende durch Johannes den Täufer und Jesus. Diese Ankündigung geschieht nun aber nicht als Einstimmung in eine brennende Naherwartung, sondern gemäß existentialer Interpretation als Ruf, der kommenden Weltenwende schon jetzt im Dasein Raum zu geben.4 Wie der Täufer durch die Taufe gleichsam die zukünftige Wende in die Gegenwart hineinhalte, so tut Jesus dies durch sein Wort und die helfende Tat.5 Die Interpretation Bornkamms hat also – anders als die ältere eschatologische Deutung – den Impetus, die Kategorie der Gegenwart hervorzuheben.6 Der Vorwurf Bornkamms an das Judentum, man habe sich zwischen Vergangenheit und Zukunft verloren,7 trifft auch die Jesus-Deutung der älteren, konsequent-eschatologischen Richtung.8

      Wir bemerken, dass die Gewinnung einer theologisch relevanten Kategorie ‚Gegenwart‘ für die Forschung offensichtlich ein Problem ist: Für Weiss war die Bestimmung der Gegenwart in einem theologisch qualifizierten Sinn ein vom Ansatz her unlösbares Problem, da Jesu Verkündigung und Tun ausschließlich durch Bezug auf die zukünftige Wende als sinnvoll erscheint. Die Antizipation des Umbruchs ist gebunden an nicht eigentlich vermittelbare, religiöse Hochstimmungen Jesu. Bousset verwies auf den Kultus der heidenchristlichen Gemeinde als allererste Ermöglichung für die Erfahrung einer theologisch qualifizierten Gegenwart. Nach Bornkamms Darstellung hat sich nur der Täufer eines kultähnlichen religiösen Mittels zur Vergegenwärtigung der Ansage von Gericht und Heil bedient, während Jesus diese Vergegenwärtigung ohne bestimmbare, äußere, traditionelle, ja religiöse Kennzeichen bewirke: Weil er jede Legitimation für sich und seine Botschaft ablehne9, wird im Ganzen die Kategorie einer sich nicht weiter ausweisenden oder auch religionsgeschichtlich explizierbaren Unmittelbarkeit für Bornkamm zum Verstehensschlüssel für diese Vergegenwärtigung bei Jesus. „Immer ist die Wirklichkeit Gottes und Autorität seines Willens unmittelbar da und wird so zum Ereignis.“10 „Aus dieser Unmittelbarkeit des Ereignisses Gottes ergibt sich die erstaunliche Souveränität Jesu, mit der er … die Situation meistert.“11 Schimmert im Souveränitätsbegriff alte liberale Tradition noch durch, so macht Bornkamm diesen und den des Ereignisses fest an einem betont überweltlichen, übergeschichtlichen und deshalb unreligiösen Gottesbergriff.12 Der überweltliche Gott könne sich innerweltlich nur als Souverän erkennbar machen, der übergeschichtliche nur so, dass er nicht Teilhaber des menschlichen Geschichtsverlaufs werde, sondern in seiner übergeschichtlichen Macht je und je Augenblicke zum eschatologischen Ereignis werden lasse. Jesus partizipiere an der Souveränität Gottes; zu fragen, wie, das hieße etwas fragen, was die Souveränität der Offenbarung, ihre Überweltlichkeit und Übergeschichtlichkeit, aufheben würde. Deshalb betont Bornkamm: Anders als die Propheten lehne Jesus jede Legitimation für sich und seine Botschaft ab; es gäbe keine Berufungsgeschichte, keinen Prophetenspruch, keinen Rückgriff auf Entrückungen und Gesichte, keine Offenbarung der jenseitigen Welt, keine Einblicke in Gottes wunderbare Ratschläge.13

      Bornkamms Interpretation – und damit die dialektisch-existentiale Jesus-Deutung in ihren Grundzügen – kann man forschungsgeschichtlich also charakterisieren als nochmalige Zuspitzung der eschatologischen Deutung seit Weiss. Gemeinsam ist die antiliberale Frontstellung, wobei Bornkamm den Vorgriff auf die reine Zukunft umdeutet in die Überweltlichkeit und Übergeschichtlichkeit Gottes und seiner Offenbarung. Während Weiss und die frühe Phase der Überwindung des Liberalismus also auf der Ebene der Geschichte als Bezugsbasis für Jesu Reich-Gottes-Predigt blieben und damit grundsätzlich auch in geschichtlichen, religionsgeschichtlichen und religiösen Kategorien, lässt Bornkamm, unter einem übergeschichtlichen Begriff des Reiches Gottes als der Nähe Gottes, die immer wieder an die Immanenz gebundenen Kategorien von Raum und Zeit hinter sich: Der nahe Gott ist im eschatologischen Ereignis der existentiellen Entscheidung jenseits von Zeit und Raum nahe.

      Somit ergibt sich:

      Die Bedeutung der Gegenwart wird – im Rahmen einer historischen Jesus-Darstellung! – durch die theologische Aussage der Nähe Gottes bestimmt und philosophisch als Ermöglichung von Entscheidung gefasst; sie bleibt aber religionsgeschichtlich ungedeutet. Hermeneutisch fehlt der Versuch, Jesus positiv aus seiner Zeit heraus zu verstehen.

      Hatte der Liberalismus die Kategorie des Raumes aus seinem theologisch relevanten Weltbild entlassen und hatte die konsequent-eschatologische Exegese versucht, den immanenten Geschichtsprozess mit der Transzendenz des Reiches an einem rein zukünftigen Punkt kollidieren zu sehen, so löst sich die dialektisch-existentiale Interpretation ganz von einem religiösen, u.d.h. in der Anschauung von Raum und Zeit festgemachten, Bezugsfeld. Es entsteht die Gefahr, Jesus nicht wirklich geschichtlich zu verstehen; sie zeigt sich im wohl höchst zeitgebundenen und theologisch einseitigen14 Bild vom Souverän.

      3. Das Ergebnis der religionsgeschichtlichen Betrachtung: Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes

      Wer in Hinblick auf ein historisches Verständnis von Handlung und Botschaft Jesu nach einer religionsgeschichtlich verantworteten Aufnahme der räumlichen Kategorie ‚Himmel‘ und der durch sie bestimmten der Gegenwart – ‚das Reich Gottes ist nahe‘ – sucht, muss die Fragestellung der konsequenten Eschatologie und ihrer Nachfolger verlassen. Als forschungsgeschichtliche Alternative verbleibt der Ansatz der älteren religionsgeschichtlichen Forschung, die eine kultgeschichtliche Betrachtung des NT forderte.1

      Schon in unserem ersten Hinweis auf Bousset wurde deutlich, dass kultische Frömmigkeit, mit der Bousset für die hellenistische Gemeinde rechnet, an einem grundsätzlich mehr vertikalen Weltbild ausgerichtet ist. Die Kategorien des ‚Himmlischen‘ und der aus dem Bezug zum Himmlischen qualifizierten ‚Gegenwart‘ gehören zu einer kultischen Weltdeutung.

      Bousset dachte als religionsgeschichtliche Basis für den Christus-Kult des (hellenistischen) Urchristentums an die am Sterben und Auferstehen chthonischer Gottheiten orientierten Mysterien.

      Andererseits partizipiert auch der Kult in Jerusalem an der Grundlage der Kult-Symbolik des Alten Orients. Im Bau des Tempels liegt eine kosmische Symbolik, so dass vom Tempel