Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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der Himmel auf Erden,2 hier ist der Zugang zu Gottes Heiligkeit.3 Entsprechend schrieb Lietzmann über den urkirchlichen Gottesdienst: „Das Herz des christlichen Lebens ist der Gottesdienst der Gemeinde. Da ist die Stätte, wo die Kräfte der jenseitigen Welt in die Christenheit einströmen und sie zu dem neuen Volk der Gotteskinder machen, das nicht mehr von dieser Welt ist, sondern schon hier in wundersamer Gemeinschaft mit den himmlischen Bürgern des Gottesreiches lebt.“4

      Es ergeben sich aus dieser nur angedeuteten forschungsgeschichtlichen Konstellation für unsere Fragestellung folgende Grundprobleme:

      Sind eschatologisch-geschichtliches und kultisch-räumliches Denken unvereinbar?

      Steht das Kultverständnis der neutestamentlichen Gemeinde religionsgeschichtlich nur in Nähe zu den Mysterien oder kann man mit traditionsgeschichtlichem Nachwirken des Tempelkultes in Jerusalem und seiner Theologie rechnen?

      Ist forschungsgeschichtlich der Versuch vorgezeichnet, die Jesusfrage von der kultgeschichtlichen Betrachtung her anzugehen?

      Die kultgeschichtliche Betrachtung ging aus von einer Parallelisierung des urchristlichen Sakramentsgottesdienstes mit den hellenistischen Mysterien-Feiern. Die Mysterienkulte bildeten sich um die Verehrung chthonischer Götter. An deren den Wechsel der Jahreszeiten ausprägendem Vergehen und Wiedererstehen will der Myste Anteil bekommen. Es geht um die Befreiung von kosmischen Kräften und um die Versicherung eines Gott-gemeinschaftlichen Lebens im Jenseits. Ist schon das griechische Denken überhaupt an einem zyklischen Geschichtsbild orientiert, so verdichtet sich dieses in den Mysterien zu einer ausgesprochen individuell-soteriologischen Grenzüberschreitung. Sie ist unabhängig vom äußeren Weltlauf jederzeit möglich, sofern der Kultus mit seinem je eigenen Kairos dazu die Möglichkeit gibt.5 Das Denken der Mysterienkulte ist uneschatologisch.

      Der Verweis auf die Mysterienkulte und ihre Bedeutung für die urchristliche Religion untersteht von Haus aus dem von F. Chr. Baur eingeführten Schema des doppelten Ansatzes, in dem sich die individuelle Vater-Frömmigkeit Jesu6 bzw. die eschatologische Frömmigkeit Jesu7 und der – auch in Bezug auf die Lehrbildung – geordnete Kult der hellenistischen Gemeinde gegenüberstehen. Die Spannung zwischen Juden- und Heidenchristen ermöglichte die Klarheit einer echten These-Antithese-Bildung. Diese Grundposition des klassischen ‚doppelten Ansatzes‘ wirkt bekanntlich nach bis hin zu Bultmanns Aufriss der Theologie des NT, ja seiner Eliminierung der zukünftig-eschatologischen Passagen im Johannesevangelium.

      Kommt nach dieser These mit dem an den Mysterien orientierten Christus-Kult etwas Fremdes in das Christentum hinein, das ihm himmlische, uneschatologische, mystische und christologisch-dogmatische Perspektiven erschließt, so ist die kultgeschichtliche Betrachtung in einem anderen Zweig der Forschung gerade auf eine Harmonisierung von Jesus-Evangelium und Kultfrömmigkeit ausgerichtet gewesen. „Unsere heilige Urgeschichte hat in Wirklichkeit darin ihren inneren Fortschritt, dass die durch das Evangelium Jesu entstandene messianische Bewegung mit ihrer völligen praktischen Eingestelltheit auf das nahe Weltende und die nahe Zukunft des Gottesreiches sich zuletzt als Kult historisch konsolidiert, als Kult Jesu des Herrn; anders ausgedrückt: dass das Evangelium sich umsetzt in Christentum.“8 Das Christentum bildet sich nach Deissmann als Kult ‚reagierenden Typs‘, insofern der galiläische Fischer Simon durch Offenbarung am Messiasbewusstsein Jesu teilbekomme. Jesus selbst habe keinen neuen Kultus gestiftet, sondern die neue Zeit verkündet; aber durch sein gewaltiges Ich-Bewusstsein habe er gemeinschaftsbildend gewirkt und damit die Entstehung des Felsens ermöglicht, auf dem dann die Gemeinde entstand. Jesu eschatologisches Ich-Bewusstsein habe als gemeinschaftsbildendes kultinitiatorische Kraft gehabt, so dass von Anfang an, schon in der apostolischen Urkirche Palästinas, der Bezug auf Jesus den Messias kultisch ausgeprägt sei, wie es sich deutlich im palästinischen Gebetsruf „Maranatha“ zeige. Mit dieser von Deissmann als organische Entwicklung postulierten Bewegung kontrastiert nun jedoch, dass der Kultus selbst in seinen Denkformen ganz aus hellenistischer Tradition stammen soll: „Das Evangelium Jesu verbindet die Anfänge unserer Religion aufs engste mit seiner Mutterreligion, dem Judentum. Der apostolische Jesuskult wirft dann, eben mit dem Kultischen, wie es ihm eigentümlich war, ein jedenfalls dem amtlichen Judentum wesensfremdes Element in den Schmelztiegel … Durch das Kultische tritt die andere der providentiellen Kräftegruppen der praeparatio evangelica in schöpferische Tätigkeit: die antike Welt der ‚Völker‘.“9

      Deissmann behält also die grundlegende religionsgeschichtliche Herleitung des Christus-Kultes aus den Mysterien bei und bleibt damit auch bei dem theoretischen Gegensatz von Kultus und Eschatologie stehen. Was nach dem klassischen ‚doppelten Ansatz‘ des Evangeliums sauber auf zwei Gemeinde-Typen und Epochen verteilt wurde, erscheint hier als bereits im palästinischen Christentum verschmolzen. Deissmann baut dabei auf zwei Voraussetzungen: Jesu messianisches Ich-Bewusstsein wirke gemeinschaftsbildend und dadurch kultinitiatorisch; ferner sei Palästina zur Zeitenwende bereits so stark hellenisiert, dass man auch hier die jenseits des Judentums stehenden, hellenistischen Kultformen gekannt habe. Kultus und Eschatologie bleiben also religionsphänomenologisch in einem Gegensatz, der im NT ausnahmsweise überwunden werde.

      Auch A. Schweitzer ist um eine Versöhnung der angeblichen Gegensätze Eschatologie und kultische Mystik bemüht.10 Die Mystik des Apostels Paulus, die er zentral in der Aussage des ‚Seins in Christo‘ findet, gründe in der Eschatologie Jesu und in der der vorpaulinischen Gemeinde. „Die Eschatologie unternimmt ja die Aufhebung der Transzendenz. Sie lässt die natürliche Welt durch die übernatürliche abgelöst werden und dieses Ereignis in dem Sterben und Auferstehen Jesu seinen Anfang nehmen. Ist es da nicht denkbar, dass einer spekulativen, in eschatologischer Erwartung glühenden Betrachtungsweise die beiden Welten für den Augenblick, in dem sich die unmittelbar einsetzende Ablösung vorbereitet, ineinandergeschoben erscheinen?“11 Durch die brennende Naherwartung erscheinen also diese und die zukünftige Welt gleichsam als obere und untere auf einander zugeschoben, so dass die eschatologische Naherwartung der zukünftigen Welt sich realisiere als mystisches Eindringen in die zukünftige als obere Welt. Die Sakramentsmystik des Paulus sei also eine Zuspitzung der alten Eschatologie Jesu. Dieser Prozess, dass Mystik aus eschatologischer Erwartung entsteht, ist auch für Schweitzer etwas religionsgeschichtlich Einmaliges.12 Zwar kommt die Sakramentsmystik des Paulus in auffällige Analogie zur Mystik der hellenistischen Mysterienreligionen, doch hängt für Schweitzer an dieser religionsgeschichtlichen Analogie nicht viel, da Paulus den Symbolismus der Mysterien nicht aufnehme und eben im Gegensatz zu den Mysterien eschatologisch denke.13 Eine gewisse religionsgeschichtliche Vorläuferschaft für die paulinische Verschmelzung von Eschatologie und Mystik sieht Schweitzer in den Apokalypsen Baruch und Esra, die die prophetische Messias- und die apokalyptische Menschensohnerwartung zur Abfolge zweier Epochen ordneten.14 Paulus übernehme diese doppelte Eschatologie, die er aber im Sinne einer einmaligen Lehre der doppelten Auferstehung umforme: Auch die Teilhaber am vorübergehenden messianischen Reich seien bereits, sakramental, in der Seinsweise der Auferstehung.15 Zum Teilhaber an dem messianischen Reich Christi werde man im sakramentsmystischen Zustand des Seins in Jesus, der Lebende und Verstorbene von der übrigen Welt seinsmäßig trenne.16 „Erlöst sind für ihn die Gläubigen dadurch, dass sie in der Gemeinschaft mit Christo durch ein geheimnisvolles Sterben und Auferstehen mit ihm schon in der natürlichen Weltzeit in den übernatürlichen Zustand eingehen, in dem sie im Reich Gottes sein werden.“17

      Über Deissmann und Schweitzer hinaus hat K.L. Schmidt den Versuch unternommen, Mystik und Eschatologie einheitlich zu verstehen und diese Verbindung auf Jesus zurückzuführen. Beides gehöre von Anfang an zusammen: Vom Täufer bis zur Joh. Apok. sei die neutestamentliche Gemeinde eschatologisch ausgerichtet.18 Ja, von Jesus bis zur Joh. Apok. sei zugleich eine visionäre und mystische Bezugnahme auf das Himmlische gegeben.19 Schmidt bleibt in der religionsgeschichtlichen Analyse dennoch dabei stehen, dass grundsätzlich die mystischen Elemente zum hellenistischen Charakter des Urchristentums gehörten.20 Dass beide Elemente ineinandergriffen, ja dass sogar schon Jesus jenseits von Eschatologie, Ethik und Mystik stünde, ist religionsgeschichtlich für Schmidt nicht weiter zu erhellen.

      G. Bertram ist innerhalb der kultgeschichtlichen Betrachtung des NT unter geschichtsphilosophisch-methodischen Aspekten zu einer Kritik des Historismus gekommen: Eschatologische Erwartung und gegenwärtiger Heilsbesitz lägen für die urchristliche Kultgemeinde ineinander.21 Bertram konfrontiert