Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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ca. 200 v. Chr. bis zur Zeitenwende, also die Epoche, die im Besonderen den Hintergrund für Jesus und das Neue Testament bildet.

      Der hier sichtbar werdende, vorrabbinische Pharisäismus ist geprägt durch die Aufnahme und Umsetzung priesterlicher Aufgaben und Ideale; dazu gehört auch die Erwirkung einer Verbindung von himmlischer und irdischer Welt, welche die Grundlage des vom Kult ausgehenden Segens und der priesterlichen Offenbarung bildete.

      Die priesterlichen Ideale werden im frühen Pharisäismus zunächst von Priestern formuliert und hochgehalten; doch schon im priesterlichen Pharisäismus deutet sich an, dass die kosmische, Himmel und Erde verbindende, Bedeutung des Kultes sich vom Priestertum, welches durch stammesmäßige Herkunft definiert ist, löst und vom gelehrten Frommen wahrgenommen werden kann. Der Schriftgelehrte ist der wahre Aaron-Jünger, ohne aus priesterlichem Geschlecht stammen zu müssen. Wenn so die Ordensgemeinschaft חבורהan die Stelle der Priesterschaft כהונה tritt, so ist es im Besonderen die Figur des Hohenpriesters, die an einem in ihr liegenden Anspruch gemessen wird, der sich in der Gestalt des pharisäischen Chasid neu verwirklicht.

      Man stößt auf einen Grundzug in der Theologie dieses priesterlichen Pharisäismus, der das Gehaltensein der Schöpfung durch die חסד Gottes betont und so in der Barmherzigkeit allen Menschen gegenüber den vorzüglichen Ausdruck seiner Frömmigkeit findet. Offenbar ist dabei weniger die Erwartung des zukünftigen Gerichtes Grundlage, als vielmehr das Wissen in einer jetzt schon mit dem Himmel verbundenen Welt zu leben: Der priesterliche Pharisäer dient dem שלום; er erwirkt gesegnetes Leben für Israel und die Schöpfung; er besitzt mit der Tora eine kultisch-kosmische Größe, die dem Tempel-Ritual überlegen ist; der geheime Gottesname, der bis zur Zeit des ‚Simon der Gerechte‘ im Kultus öffentlich verwendet wurde, wird dem Vollzug im Allerheiligsten vorbehalten und gleichzeitig dem pharisäischen Aaron-Jünger anvertraut. Aus dem Versuch, den Gottesnamen zu schützen, ergibt sich andererseits der Beleg für die Gefahr einer ‚mystischen‘ oder ‚magischen‘ Verwendung bereits in vor-mischnischer Zeit.

      Neben der Verwendung des ‚Namens‘ deuten sich andere Möglichkeiten des priesterlichen Kontaktes zur himmlischen Welt an, die nun der pharisäische Aaron-Jünger übernimmt: die priesterliche Verklärung, der Empfang der Himmelsstime בת קול, die Hinwendung zur Gestalt der Gottheit und die Entrückung in der Todesstunde.

      C) Die apokalyptische Rezeptionslinie: der himmlische Hintergrund des Kultes als Ausgangspunkt einer eschatologischen Neuordnung der verklärten Schöpfung

      Die vorrabbinische, pharisäische Tradition war nach MAb 1,2-15 im Zentrum bemüht um die Wahrnehmung der Segenskräfte des Kultes für das Volk Gottes, ja für die ganze Schöpfung. Der Pharisäer versteht sich als der wahre Aaron-Jünger, der Frieden und Barmherzigkeit als die kultischen Segenskräfte für die Schöpfung erwirkt.

      Das Zentrum dieser vorrabbinischen, pharisäischen Kultrezeption ist nicht eschatologisch ausgerichtet. Es geht um die kultische Bestimmung der alten Schöpfung durch eine neue, priesterlich-pharisäische Frömmigkeit.

      Neben der priesterlich-pharisäischen Rezeption des Kultanspruchs steht eine Linie priesterlich-apokalyptischer Verdichtung. Hier blickte man nicht so sehr auf eine Laisierung priesterlicher Frömmigkeit, als vielmehr auf das vom Kult erschlossene Geheimnis des himmlischen Teils der Schöpfung, von dem aus man auf eine eschatologische Neuordnung der ganzen Schöpfung wartet. Hanson1 wies die Anfänge der apokalyptischen Bemühung um eine Enthüllung des himmlischen Schöpfungsteils priesterlichen Außenseiterkreisen zu. Die spätprophetische Zionseschatologie hätten sie durch visionäre Enthüllung der ‚Vorbereitung im Himmel‘ verstärkt.

      Wir untersuchen diese apokalyptische Rezeption des Kultanspruchs am Beispiel des 1Hen, weil diese Schrift die genannte Konzeption besonders deutlich zeigt. Zudem umgreift das kontinuierliche traditionsgeschichtliche Wachsen dieses Blocks die für das Neue Testament entscheidende Epoche von ca. 200 v. Chr. bis in die nachneutestamentliche Zeit.2

      Da die vorchristliche Entstehung des die Menschensohn-Gestalt bezeugenden Teils 1Hen 37-71 fraglich ist,3 werden wir zusätzlich auf die Ausformung der kultapokalyptischen Erlösergestalt in der Levi-Tradition eingehen. Hier ist das Bild einer Erlösergestalt vor dem Hintergrund des Rückgriffs auf den himmlischen Haltegrund des Kultes gezeichnet. Die Erlösergestalt in der Levi-Tradition entstammt apokalyptischer Kultrezeption.

      I) Die Kultordnung des Himmels und die eschatologische Verklärung des Zion nach 1Hen

      Die Verklärungstradition begegnet im vermutlich ältesten Teil1 des 1Hen, dem angelologischen Buch (Kapp. 6-36), in zwei parallelen Entwürfen: 24f. beginnt mit Henochs Schau des inmitten prächtiger, überirdischer Berge stehenden göttlichen Thronberges (24,3).2 Bei ihm sind wohlriechende Bäume und unter ihnen ein besonderer (24,3f.).3 Henoch erfährt, dass Gott auf diesem Thronberg sitzen wird, wenn er herabkommt, die Erde mit Gutem heimzusuchen (25,3). Das Gut dieser göttlichen Katabasis besteht in der Übergabe des Lebensbaumes an die Auserwählten (25,3-5). Der Lebensbaum wird an den Zion verpflanzt werden.4 „Dann werden sie sich überaus freuen und in das Heiligtum eingehen (Knibb: „will be glad in the holy place“), indem sein Duft ihre Gebeine erfüllt. Sie werden ein längeres (eth.: langes) Leben auf Erden führen als das, welches deine Väter geführt haben …“ (25,6). Die apokalyptische Vision und die Deutung des Engels enthüllen einen Heilszustand, wie er traditionell von der Zionstheologie beschrieben wird und den vor allem Tritojesaja als eschatologische Wirklichkeit ankündigte: Der Zion ist der Ort, an dem Gott thronen wird und von dem das kultisch vermittelte, gesegnete Leben sowie die Verfluchung der Sünder ausgehen werden.5 Göttliche Katabasis und Verpflanzung des paradiesischen Lebensbaumes werden die jetzt visionär enthüllte himmlische Perspektive des Zion real werden lassen.

      Vergleicht man 1Hen 24f. mit der spätprophetischen Zionseschatologie, so sieht man, dass der Apokalyptiker beim himmlischen Hintergrund der traditionellen Kulttheologie ansetzt. Der Sprung in die Zukunft geschieht mittels eines Rückgriffs auf das himmlische Geheimnis des Zion. Er ist Thronsitz des himmlischen Königs und Ausgangsort gesegneten Lebens.6 Dieses Hindurchdringen auf das himmlische Geheimnis und der Vorgriff auf die eschatologische Erfüllung implizieren eine Kritik am nachexilischen Kult als einem theologisch missglückten Unternehmen, wie dann deutlich in der Tierapokalypse (89,73) ausgesprochen. Das apokalyptische Kultwissen nimmt offenbar den alten priesterlichen Grundsatz der Priorität des himmlischen Teils der Schöpfung (Gen 1,1) ernst. Deshalb wird der traditionelle Anspruch des Zionskultes, vom göttlichen Herrn und seiner Präsenz aus Leben und Gerechtigkeit zuzusprechen,7 am himmlischen Hintergrund des Kultes festgemacht. Von ihm her scheint der irdische Zion als ersatzbedürftig. Am Ende der Zeiten wird er seiner himmlischen Bestimmung entsprechend verklärt. Er bedarf der Katabasis, der Verpflanzung, der Verklärung. Gegenwärtig ist zugänglich das visionär vermittelte Wissen darum, dass eine die heilsgeschichtliche Bestimmung des Zion tragende himmlische Wirklichkeit verlässlich gegeben ist. Dieser Prozess des betonten und ausgeformten Rückgriffs auf die himmlische Verankerung und des daraus entstehenden Vorausverweisens auf die eschatologische Erfüllung markiert die eigentlich apokalyptische Umsetzung priesterlichen Wissens.8 Es ist deshalb dem Inhalt und dem Sitz im Leben9 dieser Kultapokalyptik angemessen, dass der Apokalyptiker am Ende des visionären Durchgangs einstimmt in den Lobpreis des Herrn der Herrlichkeit: Er hat die Zionsherrlichkeit und den vom Zion ausgehenden Segen als Geheimnis seiner Schöpfung zubereitet.10

      26-36 bringen in einer Art Dublette eine weitere Enthüllung des himmlischen Geheimnisses des Zion. Augenfällige Zionsattribute werden zur Bezeichnung des geschauten Ortes genannt: Mittelpunkt der Erde (26,1)11, Ort, von dem Segen und Fruchtbarkeit ausgehen (26,1f.)12, heiliger Berg (26,2)13. Diese kosmisch-kultischen Zionsattribute begegnen im Rahmen einer visionären Beschreibung der Jerusalemer Topographie.14 Der Deuteengel enthüllt, dass das Kidrontal Aufbewahrungsort der Sünder bis zum Gericht ist (27,2). So werden sich in den Tagen des Gerichtes die Gott preisende Gemeinde der Erwählten, die Gerechten, die Erbarmung fanden, und die vom Gotteslob Ausgeschlossenen gegenüberstehen (27,3). Der Zion ist Ort des Lebens und des Gerichtes, ja Paradies und Scheol sind jetzt schon mit dem Zion geheimnisvoll verbunden.15

      Die folgenden Kapp. 28-36 zeigen die Auswirkungen der eschatologischen und