Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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(88) und der verunreinigte Teil der irdischen Schöpfung der Sintflut übergeben. Die Heilsgeschichte wird fortgesetzt mit dem weißen (= reinen) Farren Noah und seinen drei weißen Genossen (Vertreter der übrigen Menschheit). Den vier reinen, menschengestaltigen Engeln, welche den himmlischen Teil der Schöpfung zur kultischen Reinheit zurückbringen,40 entsprechen die vier weißen Farren, welche den kultisch reinen Neubeginn der irdischen Schöpfung bezeichnen. Der Umschwung von der unreinen Zeit der Vermischung in die der Wiederdurchsetzung der Reinheit beginnt irdisch damit, dass Noah in ein Geheimnis eingeweiht wird (89,1). Auch bei ihm begleitet eine Art apokalyptisches Geheimwissen den heilsgeschichtlichen Umschwung. Der weitere Überblick über die Geschichte entspricht ganz der 10-Wochen-Apokalypse. Seit dem Exil untersteht Israel der Fremdherrschaft und damit auch einem ihr entsprechenden himmlischen Element (Fremdgötter, Strafengel, Dämonen [89,59]). Michael wird beauftragt, darüber zu wachen, dass die fremden Hirten nur entsprechend dem Befehl Gottes mit Israel verfahren (89,61-71). Der nachexilische Neubeginn ändert nichts an dieser Lage, weil die Neugründung des Kultbetriebs in Befleckung stecken bleibt (89,73). Mit 90,6ff. steuert die Schilderung auf die anti-hellenistische Erneuerung zu: Nicht von den blinden Kulterneuerern geht der Umschwung aus, sondern von den ‚weißen‘ Schafen, die wieder an die ‚weiße‘ Linie der Geschichte Israels anknüpfen. Michael tritt im makkabäischen Kampf als Helfer der Bedrängten auf (90,14). Bezeichnenderweise besteht seine Hilfe darin, dass der dem Böckchen (einem Makkabäerführer41) „alles“ zeigte. Darauf beginnt das Gericht über die fremden Herrscher, bzw. ihre himmlischen Entsprechungsfiguren: Die Macht geht zu den Schafen über. Zum Gericht wird der Gottesthron in dem lieblichen Land sichtbar, auf dem Zion.42 Gott thront, und Michael tritt vor ihn mit den geöffneten Gerichtsbüchern. Auf dem Zion beginnt also eine himmlisch-irdische Gerichtsszene. Wie die Tiere in den Abgrund geworfen wurden, so werden nun Hirten, Sterne und verblendete Schafe von den 7 ersten Weißen, Erzengeln, in den Abgrund geworfen, der rechts neben dem Haus ist (98,26). Hier klingt deutlich die apokalyptische Zionstopographie von 26f. an. Wie das kosmische Gericht vom Zion ausgeht, so besteht auch die Erlösung in einem Zionsereignis. Das alte Haus wird eingewickelt und zur Seite geschafft.43 Gott selbst bringt ein neues Haus, den eschatologischen Tempel, auf den Zion und wohnt selbst in ihm. In dem durch die Gottesgegenwart eschatologisch verklärten Tempel sind alle zu himmlischer Reinheit gewandelt (90,32).44 Alle Geschöpfe beten die neue Herrlichkeit am Zion an (90,30)45, ja die kultische Gottesschau wird geradezu zur Seinsform der Verklärten (90,35).46 Damit wird auch das apokalyptische Sehen nochmals in Entsprechung gesetzt zum kultischen Sehen der verklärten Gemeinde. In dieser schon endzeitlichen, auf dem verklärten Zion wohnenden, reinen Priestergemeinde wird der Messias geboren, als weißer Farre (90,37: es handelt sich um einen Rückgriff auf die Urzeit, vgl. 85-89,10), in dessen kultisch reine Gestalt sich alle Geschlechter verwandeln (90,38). Die Geschichte kehrt zurück aus der sündhaften Unordnung an ihren reinen und kultisch geordneten Anfang. Bemerkenswert ist der Hinweis auf die messianische Figur. Es ist wohl kaum ein davidischer Messias, sondern eher eine der kultischen, weißen Linie entstammende, priesterliche Erlöser-Gestalt. Ihre Aufgabe ist auch nicht der kriegerische Kampf gegen die Feinde, sondern er ist Anführer der Verklärung. Die Reinheit seiner Gestalt bewirkt, dass seine Gemeinde an seiner Reinheit teilbekommt.

      Die Verklärung der Zionsgemeinde ist schließlich auch Hauptmotiv der Bilderreden (37-71).47 Kap. 38 nennt das Thema der ersten Bilderrede und der dann visionär erschlossenen Antworten: Es geht um das Sichtbarwerden der Gemeinde der Gerechten und um die Bestrafung der Sünder. Der Gerechte erscheint vor den Gerechten, wobei das Licht über ihnen leuchten wird, ja, das leuchtende Antlitz der Gerechten, das durch das Zionslicht48 geradezu mit himmlischer Qualität scheint, wird die Sünder wegtreiben, weil sie dieses Licht nicht aushalten können. Kap. 39 führt das in 38 Genannte visionär aus: Henoch schaut die Wohnungen der Gerechten und die Lagerstätte der Heiligen. Es handelt sich um die himmlische Gemeinde der verstorbenen Gerechten, die bei den Engeln, den Heiligen, wohnen und mit ihnen eine Gemeinde bilden (39,4-5). Sie sind die Fürsprecher der irdischen Gemeinde und begleiten ihr irdisches Geschick mit Gebeten. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bilden ihre himmlische Sphäre und sind geradezu Attribute ihrer himmlischen Herrlichkeit (39,5). Was der Kultus der irdischen Gemeinde je und je darbietet,49 ist in der himmlischen Lagerstatt immerwährende Wirklichkeit. Dem Bild der himmlischen Gemeinde, die am Ende der Tage auf dem verklärten Zion sichtbar werden wird, entspricht das Bild von dem Gerechten. Er wohnt direkt unter den Fittichen des Herrn der Geister, also über der Gemeinde aus Gerechten und Engeln (39,6f.). Das Erstrahlen himmlischen Lichtes, von dem in Kap. 38 in Bezug auf die verklärte Zionsgemeinde die Rede war, wird nun als Auszeichnung der zum himmlischen Gottesdienst versammelten Gemeinde gedeutet (39,7). Strukturell stößt man hier besonders deutlich auf den offenbar grundlegenden Dreischritt apokalyptischen Wissens: Kultmotiv, himmlischer Hintergrund, eschatologische Verklärung. Der himmlische Lobpreis ist die besondere Daseinsform der Engel und Gerechten (39,7). Kap. 38 benennt also den Zustand, an dem auch irdisch der im Kultus stets als Geheimnis gewusste, aber bis jetzt nur im Himmel verwirklichte Glanz der Schekina sichtbar werden wird. Wie der Farre in der Tiersymbolapokalypse, so ist hier der Gerechte, bzw. der Auserwählte der Gerechtigkeit, inklusiver Repräsentant der Gemeinde der Endzeit. Er ist jetzt im Himmel eine Art himmlischer Kultleiter, der über den verstorbenen Gerechten, aber auch über den Engeln steht.50 Das Geheimnis dieses Auserwählten der Gerechtigkeit wird hier schon für einen Moment gelüftet: Der Seher Henoch hat Verlangen nach der geschauten himmlischen Wohnung der Gerechten und Heiligen; denn er weiß, dass hier der Ort ist, der ihm schon früher vom Herrn der Geister zugewiesen wurde. So mischt er sich ein in den himmlischen Chor und zitiert das den Engeln obliegende Trishagion. Er hat sein Wissen als einer, der jetzt schon Zugang zur himmlischen Gemeinde hat und damit auch in den Bereich des Auserwählten der Gerechtigkeit gehört. Damit enthüllt 39 visionär, was die Einleitungsrede Kap. 37 voraussetzt: Henoch trägt seine Weisheitsrede vor dem Herrn der Geister vor, also im Zusammenhang einer kultischen Gegenwart Gottes. Als kultische Rede ist sie ausdrücklich ein Generationen verbindendes Sprechen. Urvater und Nachkommen sind verbunden, wenn das Wort ergeht, das vor dem Herrn der Geister vorgetragen wird.51 Diese Generationen verbindende und kosmische Ordnung ausdrückende Rede bedarf aber einer besonderen Legitimation. Wer diese Worte bringt, mit ihnen vom gegenwärtigen Herrn der Geister aus spricht, ist mehr als ein dem gegenwärtigen Geschlecht entsprechender Mensch. Dem Urvater Henoch ist Weisheit und das Los himmlischen Lebens beschieden (37,4). Henoch spricht also schon in Kap. 37 als Himmlischer. Kap. 39 deutet dies als Zugehörigkeit zur himmlischen Gemeinde. Apokalyptisches Wissen ergeht also im 1Hen als kultische Rede und vor dem Hintergrund einer kultisch geordneten und himmlisch gehaltenen Schöpfung.

      Kap. 40 enthüllt die Rolle der Erzengel: Sie sind Fürsprecher der Menschen und bringen ihr irdisches Geschick in die Liturgie vor Gott ein. Diese Vermittlung ist unmittelbar bezogen auf das himmlische Gericht, die Verteilung des Reiches und die Zuweisung der himmlischen Wohnungen (Kap. 41). Die Verteilung des Reiches, das Anteilbekommen am Reich, ist in 41,1f. gleichbedeutend mit der Zuweisung einer himmlischen Wohnung bei den Engeln. Das Reich ist ein Reich der Verklärung. Kap. 41 macht in besonderer Weise die Nähe von apokalyptischem Wissen und Verklärungseschatologie deutlich: Die Vereinigung von Himmel und Erde ist Ziel dieser Verklärungseschatologie, ein Vorgang, den der Visionär durch seine Himmelsreise geradezu vorwegnimmt.

      45,1 nennt als Thema der zweiten Bilderrede das Schicksal der Sünder. Ihre Sünde besteht im Leugnen dessen, was die apokalyptische Gemeinde ‚weiß‘: Es geht um die Wohnung der Heiligen, also den Zwischenort der verklärten, engelgleichen Gemeinde, und um Gott als den Herrn der Geister.52 Das Geschick der Sünder besteht entsprechend darin, dass sie von dem ausgeschlossen werden, was sie leugnen: Für sie gibt es keine (intramortale)53 Himmelfahrt und keine Herabkunft auf die eschatologisch verklärte Erde: „Sie werden nicht in den Himmel hinaufsteigen und auf die Erde nicht gelangen.“ Damit liegt in 1Hen 45,lf. eine lehrmäßige Zusammenfassung (wenn auch im Negativabdruck) der Erlösungslehre, die sich auch in den älteren Schichten des 1Hen abzeichnete: Die Zuversicht der apokalyptischen Gemeinde kommt aus dem Wissen um die Wohnung der Heiligen und das Verbundensein mit dem Herrn der Geister. Dieses kultspirituale Grundwissen kennen wir aus den Psalmen. Es ist die Andeutung einer Entrückung durch den Tod hindurch, die hier konsequent mit der Zionstheologie verbunden ist. Die Entrückung zur himmlischen Gemeinde ermöglicht eine intensivierte kultische Verbundenheit mit den Himmlischen, weitergehende Gemeinschaft mit der irdischen