Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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entrückten, engelgleichen Gemeinde.

      Die lehrmäßige, thetische ‚Oberfläche‘ (45,1f.) wird durch 45,3ff. und die Kapp. 46ff. in zwei Schichten begründet und ausgeführt. 46,3ff. beziehen das Wissen um Wohnung, Himmelfahrt und Verklärung auf den Tag, an dem der Auserwählte auf dem Thron der Herrlichkeit sitzen wird. Die Parallelität des Anfangs in 46,3 und 46,4 legt es nahe, das Gericht als himmlisch-irdische Szene vorzustellen, anhebend gleichsam auf dem in den Himmel ragenden bzw. aus dem Himmel herausragenden Zionsthron.55 Die Wohnungen der (unter den dann Lebenden?) Auserwählten werden zahllos sein, d. h. sie werden alle auf dem Zion wohnen und dort Platz haben.56 Sie werden vereint mit der Gemeinde der himmlischen Auserwählten, indem sie sie sehen und dabei ihr Geist erstarkt. Die Verklärung vollzieht sich im Sehen und als Stärkung des Geistes.57 V. 3 beschreibt also die anabatischen Seite des Vorgangs der Verklärung, während V. 4 die katabatische Seite ausdrückt: Der Auserwählte wird in der Mitte der verklärten Gemeinde wohnen und der Zionssegen wird als ewiger Segen und himmlisches Licht von einem verwandelten Himmel aus über ihnen sein.58 In diesem Vorgang wird auch die Erde verklärt und zu einer einzigen Segensquelle. Die Zionsattribute ‚Quelle des Segens‘59, des ‚Lebens‘60, der ‚Gerechtigkeit‘61, des ‚Lichtes‘62 und der ‚göttlichen Gegenwart‘63 bilden die Grundlage des apokalyptischen Wissens. Der Zionsthronende, der Auserwählte, steht hier in einer kaum noch sichtbaren David-Nachfolge; vielmehr ist er Repräsentant der himmlischen Gerechtigkeit und damit Repräsentant Gottes und der Gemeinde der auserwählten Gerechten. Auf der verklärten Zionserde haben natürlich die Sünder keinen Platz (45,5); für sie steht das Gericht bevor, das sie von der dann verklärten Erde ausschließen wird, während die Gerechten jetzt schon von Gott gesehen werden und sie – mit Heil gesättigt – jetzt schon vor ihm stehen zum kultischen Dienst.64

      Kapp. 46ff. vertiefen in verschiedenen Anläufen diese am Zion orientierte Verklärungseschatologie. 46,1 führt die 45,3 angekündigte Gerichtsszene visionär aus. Henoch sieht den Betagten und den Auserwählten mit den Attributen der himmlischen Reinheit. Der Betagte hat ein Haupt weiß wie Wolle und ‚der bei ihm‘ ein Antlitz wie das eines Menschen und zugleich anmutig wie das von einem Engel. Der bei Gott Seiende ist das Urbild der zur engelgleichen Heiligkeit verklärten Gemeinde der Gerechten. Als Repräsentant der Gemeinde ist er nach 46,3 Ursprung ihres himmlischen Wissens.65 Er steht ganz in der himmlischen Gerechtigkeit, und dieser entspricht die irdische Seite seines menschlichen Lebens in Rechtschaffenheit.66 Er ist bei Gott, um vom Zion aus die fremden Herrscher zurückzuweisen: Sie werden in die Finsternis (= Zionsferne) eingehen und nicht von den Toten auferstehen.67 V. 7 trägt nach, dass auch die innerjüdischen Opponenten, die die ‚Sterne des Himmels‘, die Glieder der apokalyptischen Gemeinde,68 richten, aus den Häusern seiner Versammlung und der Gläubigen vertrieben werden, „die da aufbewahrt sind bei dem Herrn der Geister.“ (46,8) Bei der eschatologischen Verklärung der Gemeinde wird sie von Leugnern gereinigt. Die Sünder, mögen sie sich auch zum Gottesvolk rechnen, haben nicht Anteil an der himmlischen Segnung, während für die Gerechten jetzt schon die heiligen Engel vor Gott ihre Gebete darbringen (Kap. 47). ‚Gebet‘ und ‚Blut der Gerechten‘ werden in den Tagen des Endgerichtes vor Gott ihre Wirksamkeit zeigen, in diesen Tagen (des geschichtlichen Weitergangs69) aber sorgen die himmlischen Heiligen dafür, dass Gott ‚Gebet‘ und ‚Blut der Gerechten‘ annimmt. Auch hier ist die Verklärung von Gemeinde, Himmel und Erde eine gegenwärtig verborgene Realität der kultischen Gemeinschaft der leidenden Gemeinde mit den heiligen Engeln.

      Nach 48,1 haben die himmlischen Gerechten, Heiligen und Auserwählten einen ‚Brunnen der Gerechtigkeit‘ und viele ‚Brunnen der Weisheit‘. An die Zionstradition erinnern die Wasser, die die Schöpfung erquicken.70 Die Gerechten, die jetzt schon in den himmlischen, paradiesischen Teil des Zion eingegangen sind, bekommen aus diesen wunderbaren Wassern die himmlischen Gaben, die zum Wohnen im Bereich himmlischer Heiligkeit befähigen: ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Weisheit‘. Das kultisch gesegnete Leben ist für die himmlische Zionsgemeinde Wirklichkeit. Mit Kap. 50 werden die in Kapp. 48f. angedeuteten Zionsmotive zu einer Umwandlungslehre ausgeformt: „In jenen Tagen wird eine Umwandlung für die Heiligen und Auserwählten stattfinden.“ (50,1) Immerwährendes Tageslicht wird über ihnen wohnen, dazu Herrlichkeit und Ehre.71 Die Herrlichkeit der Zionsgemeinde wird die Sünder in das Unheil ausstoßen, aber diejenigen, die diese Herrlichkeit sehen und Buße tun, werden dadurch gerettet werden.72 Mit der Verklärung der dann lebenden Gemeinde der Heiligen und Auserwählten einher geht die Rückgabe der Toten aus Erde, Scheol und Hölle (51,1). Der Auserwählte, der auf dem Thron sitzt, wird die Gerechten und Heiligen unter ihnen auswählen; offenbar sind nach 51,2 auch die Heiligen und Gerechten dem Totenreich anheimgegeben und keinesfalls bereits in einen paradiesischen Zwischenzustand eingegangen. Entscheidend für unseren Zusammenhang ist jedoch, dass mit dem Thronen des Auserwählten die Verklärung der Gemeinde einhergeht: Die anderen Berge weichen furchtsam vor dem Zion zurück;73 „alle werden Engel im Himmel werden. Ihr Antlitz wird vor Freude leuchten, weil in jenen Tagen der Auserwählte sich erhoben hat, die Erde wird sich freuen, die Gerechten werden auf ihr wohnen …“ (51,4f.). Durch die Verklärung und Engelwerdung hört der jetzt bestehende, der Schöpfungsordnung nicht entsprechende Auseinanderfall von Himmel und Erde auf; die auf der Erde wohnenden Verklärten wohnen um den himmlisch-irdischen Zionsberg herum.

      Die 3. Bilderrede nennt in Kap. 58 die Verklärung der auserwählten Gerechten als Ziel der eschatologischen Seligkeit. Kultische Segensfülle wird ihnen zukommen: ‚herrliches Los‘74, ‚Licht der Sonne‘75, ‚Licht ewigen Lebens‘ (V. 2f.). Ihre Lebenstage als Heilige werden kein Ende haben (V. 3). ‚Licht‘, ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Frieden‘ werden sie finden, ja der Himmel steht ihnen offen: Dort werden sie die Geheimnisse der Gerechtigkeit und das Los des Glaubens finden (V. 4f.). Freilich wird der Himmel nicht wie jetzt ein von der Erde getrennter Raum sein; indem auf der Erde die Finsternis ganz dem Licht weichen muss, so treten Himmel und Erde in eine neue, im ursprünglichen Sinne schöpfungsmäßige Beziehung zueinander. Die in aller Fülle kultisch gesegnete Erde ist der Zielort dieser zionstheologischen Apokalyptik. Nochmals wird deutlich, dass die traditionell kultische Beziehung zur himmlischen Welt, wie sie in besonderer Weise in der Zionstheologie geschichtlich ausgestaltet ist, die apokalyptische Perspektive trägt und allererst ermöglicht. Für diese Art Kultapokalyptik ist es entsprechend charakteristisch, dass in ihr die Segnungen der himmlisch verklärten Erde mit den Geheimnissen der Schöpfungsordnung zu tun haben. Das kultisch segnende Licht über der verklärten Zionsbürgerschaft ist eine Sonderform des in der Schöpfung waltenden Lichtes der Sterne und Blitze (Kap. 59). Kapp. 61ff. entfalten dann wieder im Visionsstil die in 58 in der Form des Makarismus vorangestellte, lehrmäßige Zusammenfassung. Zentralmotiv in 61,4a ist die Enthüllung der himmlisch-irdischen Gemeinschaft der dann verklärten Gemeinde: „Die Auserwählten werden anfangen bei den Auserwählten zu wohnen.“ Dazu bringen die Engel die Maße, mit denen die Geheimnisse der Gerechtigkeit und des Glaubens ergründet werden können, „damit sie (die Gerechten) sich für immer und ewig auf den Namen des Herrn der Geister stützen“ (61,3). ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Glaube‘ sind ebenso himmlische Schöpfungsgeheimnisse wie die Tiefe der Erde. Die verklärende Gemeinschaft mit den Auserwählten beginnt nach 61,1-5 mit der Offenbarung dieses himmlischen Wissens und geht hinüber in die Darstellung des himmlischen Gerichtes. Der Auserwählte wird himmlisch inthronisiert, begleitet von einer akklamierenden Anbetung durch die Himmlischen, die einstimmig, in einem Licht, in Weisheit und im Geist des Lebens geschieht. Dieser das Gericht begleitende einstimmige Lobgesang vereint Himmlische und Irdische (61,8-13).76 Auch das Bild dieser kultischen Gerichtsszene stammt aus der Zionseschatologie: Kap. 62 bringt als Ausführung zur Gerichtsszene die Aufforderung Gottes an die irdischen Könige, auf den Auserwählten zu schauen, wie er auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzt.77 Die irdischen Herrscher müssen geradezu in das Lob Gottes und seines Auserwählten einfallen, aber sie werden von der Erde vertilgt. Nun wird der verklärte Endzustand der Gemeinschaft der irdisch-himmlischen Gemeinde aus Heiligen und Auserwählten einkehren. Die Schekina kommt mitten unter sie, und sie werden gesegnete Lebensgemeinschaft mit dem Menschensohn in Ewigkeit haben (62,14). Die verklärte Gemeinde erhält himmlische Kleider der Herrlichkeit und Reinheit. Die Einwohnung der Schekina in der verklärten Gemeinde, (Opfer-)Mahlgemeinschaft mit dem Menschensohn und Bekleidetwerden mit himmlischer ‚Dienstkleidung‘ bilden den Abschluss der zionstheologischen Verklärungslehre.

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