Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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hervor (28f.).16 Die vom Zion ausgehende Segens- und Lebenskraft steht in Verbindung17 mit der Fruchtbarkeit und dem ewigen Leben im Garten der Gerechtigkeit. Unter den vom Seher geschauten Gewächsen dieses Gartens befindet sich der Baum der Weisheit, von dessen Frucht die Heiligen essen. Als Adam und Eva von diesem Paradiesbaum aßen, mussten sie den Garten verlassen, denn sie erkannten nun ihre Nacktheit und verloren dadurch das engelmäßige Leben ohne Geschlechtlichkeit. Hier klingt ein Thema an, das zur Erwartung der Verklärung des Zion und der erwählten Zionsbürgerschaft gehört: die Rückkehr zur Gemeinschaft mit den Engeln und die Realisierung engelähnlichen Lebens.18

      Bezeichnend ist, dass diese augenscheinlich eschatologisch bedeutsamen Enthüllungen nahtlos zusammenstehen mit kosmischen Enthüllungen astronomischer und meteorologischer Geheimnisse (33-36). Offenbar handelt es sich überhaupt nur um einen Bereich des weisheitlichen Wissens: apokalyptisches Wissen ist hier Wissen um Schöpfungsgeheimnisse. Das traditionelle kultische Wissen um die Schöpfungsordnung dehnt der Visionär aus auf alle räumlichen Bereiche der Schöpfung, die für Leben und Tod, Segen und Gericht, Verklärung der Kultgemeinde des himmlischen Königs und Verdammung der Sünder entscheidend sind. Entsprechend steht auch am Ende dieses Durchgangs der abschließende Segensspruch: „Als ich (es) sah, pries ich (ihn), und zu jeder Zeit preise ich den Herrn der Herrlichkeit, der die großen und herrlichen Wunder(werke) geschaffen hat, um die Größe seines Werkes seinen Engeln und den Seelen der Menschen zu zeigen, damit sie sein Werk und seine ganze Schöpfung preisen, damit sie das Werk seiner Macht sehen und seine ganze Schöpfung preisen und ihn rühmen bis in Ewigkeit.“ (36,4) Damit sind die Grundmotive dieser sakralen Zionsapokalyptik in aller Klarheit summiert: Es geht um die Schöpfungsgeheimnisse, um die geheime Schöpfungsordnung,19 von denen zu wissen Engel und Menschen eint, und die deshalb gemeinsam in das Lob des Schöpfers einstimmen können. Formgeschichtlich ist auffällig, dass die abschließenden ברכות mit den Anfängen derהודיות der Qumran-Gemeinde übereinstimmen. Das himmlische Wissen, auf das die הודיות zurückblicken,20 ist im 1Hen breit ausgeformt, während die abschließende ברכהder Loblieder ausgestaltet ist. Man hat den Eindruck, als verwiesen diese Gattungen aufeinander, so dass der gleiche Grundbestand an apokalyptischem Wissen um die Schöpfungsgeheimnisse vorliegt, jedoch einmal mehr didaktisch und im anderen Fall im Lobpreis der bereits Belehrten und Wissenden vorgetragen wird. Es ergibt sich die Frage, ob für 1Hen nicht der Zion in seiner himmlisch-eschatologischen Qualität Ort des Offenbarungsempfangs ist.

      Dies scheint der Beginn des Reiseberichtes in Kap 17 anzudeuten. Henoch wird eingangs an einen Ort gebracht, „wo die dort (Befindlichen)21 wie flammendes Feuer sind, und wenn sie wollen, erscheinen sie wie Menschen.“ Ein loderndes Feuer nennt 18,8f. im Zusammenhang einer Thronvision, so dass Beeinflussung durch Ez 1,4f.13f. wahrscheinlich ist. Auch der Sturmwind zu Beginn der Vision begegnet hier wie dort. Der Berg, der bis in den Himmel reicht, erinnert an den ‚sehr hohen Berg‘, von dem aus Ezechiel das auf ihm liegende himmlische Tempelgebäude sieht (40,2ff.).22 17,1 und 17,2 hängen dann so zusammen, dass Henoch auf den Zionsberg entrückt wird bzw. auf den als himmlisches Geheimnis hinter dem Zion liegenden himmlisch-irdischen Ort. Auf dem Zion als Verbindungsort von Himmel und Erde liegt der Zugang zur heiligen Thronwelt Gottes; von hier aus erschließen sich die Schöpfungsgeheimnisse (17,3-10; 33f.), sowie die Geheimnisse der Aufbewahrungsorte in Paradies und Unterwelt.23 Der Zionsberg ist der Punkt, von dem aus sich die Erkenntnis der Schöpfungsgeheimnisse dem Visionär erschließt. Auch 14,8ff. bezeugen dies alte Offenbarungsschema: Der Apokalyptiker empfängt seine Offenbarung vom himmlischen Thron aus. I. Gruenwald sieht hierin eine traditionsgeschichtliche Abhängigkeit von der priesterlich-apokalyptischen Merkaba-Lehre Ezechiels.24

      Auch die aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert stammende Tiervision (Kapp. 85-90)25 geht von diesem kultapokalyptischen Offenbarungsverständnis aus. Die rein gebliebenen, weißen Engel führen den kultisch reinen (85,3) Henoch an dem Punkt der Vision, an dem sich der Umschwung zu Gericht und Erlösung eröffnet, auf einen hohen Ort und zeigen ihm einen Turm hoch über der Erde, von dem aus alle anderen Hügel niedrig sind (87,2). Es handelt sich um den Zion als Himmelsberg, um den himmlisch-irdischen Tempel in der Gestalt des Turmes.26 Diese Symbolik wird ausdrücklich in der von diesem Berg und Turm aus anhebenden Vision mit dem Tempel in Verbindung gebracht. Zum 1. Tempel heißt es in 89,50: „Jenes Haus aber wurde groß und breit, und ein hoher und großer Turm wurde für jene Schafe gebaut, jenes Haus war niedrig, aber der Turm war ragend und hoch, und der Herr der Schafe stand auf jenem Turm, und man setzte ihm einen vollen Tisch vor.“ 89,73 heißt es vom 2. Tempel: „Da begannen sie wiederum wie zuvor zu bauen und führten jenen Turm auf, und man nannte ihn den hohen Turm; sie begannen wiederum einen Tisch vor den Turm zu stellen, aber alles Brot auf ihm war befleckt und unrein.“ Das eschatologische Haus ersetzt dann diesen nicht mehr seiner Bestimmung entsprechenden Ort. Ein neues Haus wird sichtbar, in das, als der neuen Basis der Verbindung von Himmel und Erde, der Seher nunmehr hinaufgebracht wird. Der himmlisch-irdische Kultort, der einst ganz in eine neue Verbindung von Himmel und Erde verklärt werden wird, ist der Bezugspunkt des Visionärs, seine Warte27, von der aus er Offenbarung empfängt und von der aus die eschatologischen Heilsprozesse sich entrollen. Die Zehn-Wochen-Apokalypse (93,3-10, 91,12-17)28 verweist auf die Zionsverklärung am Ende eines von Anfang an eschatologisch ausgerichteten Geschichtssummariums: Von Henoch über Noah, den Noahbund und Abraham (Pflanze der Gerechtigkeit) berührt dieser Überblick den Sinai-Bund, welcher durch die Elemente ‚Gottesvision‘29,‘Tora-Gabe‘ und Einrichtung einer ‚Einfriedung‘30 gerahmt ist. Danach nennt der Überblick sofort den salomonischen Tempelbau, bezeichnet als Bau des ‚Hauses der Herrlichkeit und Herrschaft für immer‘ (93,7). Es folgt eine Epoche der Verblendung und des Mangels an Weisheit, aus der nur Elia positiv herausragt; das Haus der Herrschaft wird verbrannt und mit ihm die auserwählte Wurzel (der Gerechtigkeit) zerstreut (93,8). In Zuspitzung des Schemas der Tiersymbolapokalypse (89,73) wird die nachexilische Restauration ganz übersprungen. In die anhaltende Epoche des nachexilischen Abfalls fällt die (gegenwärtige) eschatologische Wende: „Am Ende derselben (der 7. Woche, die durch die verfehlte nachexilische Restauration gekennzeichnet ist) werden die auserwählten Gerechten der ewigen Pflanze der Gerechtigkeit auserwählt werden, um siebenfache Belehrung über seine ganze Schöpfung zu empfangen.“ (93,10)31 Der Umschwung beginnt also als apokalyptische Belehrung der ewigen Pflanze der Gerechtigkeit, also mit einer Neu-Konstituierung der Abrahamkindschaft und der mit dem Haus der Herrschaft verbundenen Wurzel.32 Danach hebt die Zeit der Gerechtigkeit an, in der die Ungerechten und Sünder beseitigt werden (91,12). Am Ende der Zeit der Gerechtigkeit werden die Auserwählten Häuser erwerben und „das Haus des großen Königs wird in Herrlichkeit für immer gebaut werden.“ (91,13)33 Das apokalyptische Wissen als Gabe am Beginn der eschatologischen Zeiten zielt auf die Beseitigung der Ungerechtigkeit und Sünde und wird so selbst zur Voraussetzung des Tempelbaus und seiner eschatologischen Segnungen für eine in einem sündlosen Land wohnende Bürgerschaft.34 Von der Erfüllung der im 1. Tempel angedeuteten, im 2. ganz verfehlten himmlischen Bestimmung des Kultes aus vollzieht sich der Ausblick auf das ewige Ende der Heilsgeschichte: Die ganze Menschheit schaut auf die Zionsherrlichkeit, so dass auf der ganzen Erde alle Gottlosigkeit verschwindet (91,14).35 Dem korrespondiert das Gericht unter den Engeln (91,15), so dass nun im Himmel und auf der Erde die Voraussetzungen gegeben sind für eine neue Schöpfung.36 Ein neuer Himmel wird mit siebenfacher Intensität des Segens37 über der Erde stehen (91,16), die in zahllosen Wochen bis in Ewigkeit ohne Sünde und ganz in Güte und Gerechtigkeit sein wird (91,17).

      Die Verklärung der Schöpfung bis in den Himmel hinein geht von dem zu seiner himmlischen Bestimmung gekommenen Zion aus. Sie setzt ein als Belehrung über die Schöpfungsgeheimnisse. Das siebenfache Wissen der Apokalyptiker entspricht der siebenfachen Erleuchtung der eschatologischen Schöpfung und ist damit der erste Ausdruck des eschatologischen Umschwungs. Formal und inhaltlich gibt sich die apokalyptische Offenbarung des 1Hen auch in diesem Stück als Wissen um die geheime Ordnung der Schöpfung und damit als vom Zion ausgehendes Geheimwissen zu erkennen.

      Auch die Tiervision (85-90), auf deren Offenbarungsverständnis wir oben bereits hinwiesen,38 bezieht ihren eschatologischen Zielpunkt für den Geschichtsüberblick von Adam bis in die Hasmonäerzeit aus der geschauten Verklärung des Zion. Bis zum Fall der Sterne (= Engel)39, geschildert in 86,1-3, war die Schöpfung in kultisch reiner Ordnung (85). Der Verunreinigung der Schöpfungsordnung durch die Sterne (86,4-6)