Jan-A. Bühner

Jesus und die himmlische Welt


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in übermenschlicher Gestalt erscheinen kann.

      Zu den wunderbaren Aspekten der Amtszeit des idealen, gottgefälligen Hohenpriesters gehört daneben, dass der Kultus mit Zeichen göttlicher Offenbarung und himmlischen Segens ausgestattet ist. Nach bJoma 39a par jJoma 6,3 (43c, Z. 49-66) fiel während der 40-jährigen Amtszeit des ‚Simon der Gerechte‘ das Los immer auf den rechten Bock; der rote Wollstreifen wurde als Zeichen der tatsächlich hinweggenommenen Sünde immer weiß; die westliche Lampe brannte immerzu, als Zeichen der fortwährenden Gegenwart der Schekina18 und als Symbol des beständigen göttlichen Lichtes in der Schöpfung; das Altarfeuer brannte von selbst; in den Darbringungen, die für die Speisung der Priester vorgesehen waren, steckte eine solche Segenskraft, „so dass, wenn ein Priester ein olivengroßes Stück erhielt, er es entweder aufaß und satt war oder gar nicht aß und noch zurückließ.“

      Man kann vor diesem Hintergrund fragen, ob es Zufall ist, dass Ben Sirach, der in Kap 50 den Hohenpriester Simon (II.) in der ganzen Herrlichkeit seiner kultischen Offenbarungswürde zeigt, zugleich Kenntnis früher Henoch-, Adam- und Merkaba-Traditionen besitzt.19 Dieses frühe apokalyptische Spezial-Wissen entstammt dem kultischen Bemühen um Erhellung des himmlischen Hintergrundes von Schöpfung und Geschichte.

      Die himmlische Dimension im Kultus, und besonders in der Amtsperson des Hohenpriesters, hat die rabbinische Tradition mit dem idealen, gottgefälligen Hohenpriester ‚Simon der Gerechte‘ verbunden, der zugleich am Übergang in das historische Licht des vorrabbinischen Lehrbetriebs steht. Er nennt ‚Tora‘ und ‚Barmherzigkeit‘ als aus dem Kult kommende, geradezu kosmische Größen, die den Kultus in seiner kosmischen, die Schöpfung stützenden und Himmel und Erde verbindenden Bedeutung ergänzen, ja einst ersetzen können. Wenn die Rabbinen in ihm den Ausgangspunkt der priesterlich-pharisäischen Kultrezeption sehen, so weisen sie daraufhin, dass hier Offenbarungsmöglichkeiten liegen, die vorbildlichen Charakter behalten. Wir werden feststellen, dass die genannten Größen, die in ihrer Zusammenfassung die Möglichkeit des Kultes ausmachen, nämlich Himmel und Erde heilvoll zu verbinden, im Rahmen der pharisäischen, laisierten Kultrezeption neu aufgenommen werden.

      2. Antigenos aus Sochos (um 180 v. Chr.)

      Von Antigenos aus Sohos ist nur der Spruch MAb 1,3 überliefert, der in der Parallele ARN A 5 (13a), bzw. ARN B 10 (13a), deutlich abgewandelt ist. Heißt es in MAb 1,3: „Seid nicht wie Diener, die dem Herrn dienen in der Absicht, Lohn zu erhalten; sondern seid wie Diener, die dem Herrn dienen ohne die Absicht, Lohn zu erhalten; nur die Ehrfurcht vor dem Himmel sei über euch“, so ist in ARN jeweils eine pharisäische Entschärfung angehängt: „damit euer Lohn verdoppelt werde in der Zukunft“ (Rez A); „damit ihr Lohn empfangt in der zukünftigen Welt entsprechend euren Taten in dieser Welt“ (Rez B). Diese pharisäischen Zusätze verbindet die Tradition mit der Legende, wonach die Lehre des Antigonos Ursache für die Abspaltung der priesterlichen Gruppen der Sadduzäer1 und Boothusäer2 geworden sei. Entsprechend wird dem Lohngedanken gerade doch wieder ein entscheidendes Recht eingeräumt. Wie kann man aber den Spruch des Antigenos gemäß der in diesem Fall offenbar ursprünglicheren Fassung der Mischna verstehen?

      Antigenos ist in der Tradentenkette von MAb 1 von Priestern gerahmt, ohne dass wir in seinem Fall wissen, ob er selbst Priester war. Diese Rahmung macht aber wahrscheinlich, dass er zum frühen priesterlichen Proto-Pharisäismus gehörte. Wenn das Verhältnis des Menschen zu Gott gerade nicht auf dem Lohngedanken und der Erwartung eines zukünftigen Ausgleichs ruht, so liegt es nahe, auf die priesterliche Basis der durch den Kult vermittelten Schöpfungsordnung als Rahmen zurückzugreifen. Es ergeben sich dann Entsprechungen zur Tradition von ‚Simon der Gerechte‘ nach ARN:3 Die Schöpfung gründet in der חסד Gottes und ist als derart qualifizierte dem Menschen vorgegeben. Das Ziel der Frömmigkeit liegt nicht so sehr im Lohn der zukünftigen Welt, sondern im Einstimmen in die Barmherzigkeit und in den Segen der Schöpfungsordnung. Im Spruch des Antigenos liegt so ein eigentümlich präsentischer Zug, ja vielleicht gar ein präsentisch-eschatologischer, der Verbindungen zur Kultspiritualität der Psalmen hat.4 Die Ehrfurcht vor dem Himmel ist Ausdruck einer Frömmigkeit, die über das Irdische hinaus auf die himmlische Seite der Schöpfung blickt und darin eine in sich erfüllte Gottesbeziehung findet.

      Die kultische Vermittlung von Segen und Offenbarung aus der himmlischen an die irdische Welt hängt im priesterlichen Protopharisäismus an einer intensivierten Gottesbeziehung, die eher Grundlage für das Heil der zukünftigen Welt denn Vorwegnahme des Gerichtes ist.

      3. Jose ben Joezer und Jose ben Jochanan (um 150 v. Chr.)

      Mit Jose ben Joezer1 und Jose ben Jochanan2 (um 150 v. Chr.)3 nennt MAb 1,4f. das erste Lehrerpaar der vorrabbinischen Zeit, welches deutlich die neue soziologische Grundlage des Pharisäismus herausstellt: das Gelehrtenhaus, in dem sich Weise und Arme einfinden.4 Beide sind zugleich Priester. Von Jose ben Joezer heißt es MHag 2,7 „Jose ben Joezer war der frömmste unter der Priesterschaft.“ Nach M Sota 9,9 waren sie die ‚Fruchttrauben‘, und zwar die letzten, die es in Israel gab.5 Da אשכול ‚Fruchttraube‘ in Micha 7,1f. im par. mit חסיד steht, ist gemeint, dass mit ihnen die letzten wirklichen priesterlichen Chassidim in Israel waren.6 Beide sind mit Fragen der Priesterhalacha und der Bestimmungen von rein-unrein befasst.7 Für diese priesterlichen Pharisäer ist bezeichnend, dass sie das Land der Völker für unrein erklärt haben; durch den Tempel in seiner Mitte sei nur das Land Israel rein.8

      Was das Thema der ‚himmlischen Welt‘ betrifft, so verbindet die Legende mit Jose ben Joezer die Erwartung der Entrückung des Gerechten in seiner Todesstunde in den Gan Eden.9 Jose ben Joezer sah in der eigenen Todesstunde den von den Syrern eingesetzten Hohenpriester Alkimus, ihm, dem Jose, zuvorkommend, in den Garten Eden gelangen, nachdem dieser aus Reue an sich die vier Todesstrafen des biblischen Kriminalrechts vollzogen hatte. An dieser Legende ist interessant, dass der priesterliche Pharisäismus die Entrückung des Gerechten ohne Auferstehungslehre und ohne Bemühung einer Seelenlehre auszudrücken vermag. Auch hier liegt es nahe, Nachklänge älterer, priesterlicher Kultspiritualität und ihrer Entrückungslehre10 zu sehen: Der priesterlich-pharisäische Chassid weiß, dass er Zugang zu einem Bereich kultischer Reinheit hat, die der Reinheit der Himmlischen und Gerechten im Gan Eden nahekommt.

      4. Joshua ben Perachia und Nittai aus Arbela (um 110 v. Chr.)

      Joshua ben Perachia und Nittai aus Arbela – beide gehören in die späte 2. Hälfte des 2. vorchr. Jh. – bilden nach MAb 1,6f. das nächste Jochpaar. Die ihnen zugeschriebenen Sprüche stehen in einem Verhältnis der Ergänzung und Spannung zueinander; sie beschreiben die Bildung der pharisäischen חבורה und das dementsprechende Verhältnis des Pharisäers zu seinen Mitmenschen.

      Zur Bildung der חבורה gehört die Sammlung einer Schülergruppe um einen Lehrer einerseits – so Joshua ben Perachia – und die Trennung von üblen Nachbarn und Schuldigen andererseits, so Nittai.

      bSchab 127b kennt die anonym tradierte Sentenz: „Wer seinen Nächsten nach der Seite des Verdienstes beurteilt, über den wird ebenfalls nach der Seite des Verdienstes geurteilt werden“; der Kontext betont den Zusammenhang von jetzigem irdischen Verhalten und einstigem, jenseitigen Ergehen. Demgegenüber hat die auf Joschua ben Perachia zurückgeführte Überlieferung in MAb 1,6f. ihre eigene Zuspitzung, weil sie das Verhalten nicht auf den חבר sondern auf כל אדם bezieht. Die ergänzende Parallelisierung mit dem Spruch des Nittai – ‚überlass dich nicht dem Zweifel an der Vergeltung‘ – unterstreicht im antisadduzäischen Sinn den eschatologischen Vorbehalt des Pharisäismus. Der Spruch des Joshua ben Perachia bildet in seiner umfassenden Schlichtheit eine Aufnahme des kultisch getragenen Gottesverhältnisses und der in ihm begründeten גמילות חסידים. Wie der Tempel für den Priester, so bildet die Chavurah für den Pharisäer die Grundlage seiner reinen und heiligen Lebensform. Die Abgrenzung vom Unreinen und Unheiligen erschöpft sich jedoch hier wie dort nicht im Rückzug, sondern ist mit dem Anspruch verbunden, eine für das ganze Volk segnende und sündentilgende Kraft zu haben. Der חבר ist in der Lage, alle Menschen nach der Seite des Verdienstes zu beurteilen, so wie der Priester den Anspruch hat, Unreinheit und Sünde zu tilgen. Der Pharisäismus übernimmt offenbar zunächst das kultisch-positive Gottes- und