Charles Stephen Dessain

John Henry Newman


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an die Heilige Dreifaltigkeit. Er war es, diese Grundwahrheit der Religion meinem Geiste zuerst tief einprägte.«9 Die Lehre von der Trinität, der Inkarnation und der Erlösung wurde Newman jetzt zur Realität, wie die Gebete zeigen, die er zu dieser Zeit für den persönlichen Gebrauch niederschrieb. Er versuchte, in seinem Leben der von Scott immer wieder herausgestellten Lehre gerecht zu werden, dass der Heilige Geist in der Seele anwesend ist und in ihr Wohnung genommen hat. Er nahm uneingeschränkt den Glauben an die ewige Seligkeit an, aber auch den an die »ewige Verdammnis, wie vom Herrn selbst mitgeteilt«. Aus den calvinistischen Büchern, die er las, lernte Newman die »katholische Lehre vom Krieg zwischen der Stadt Gottes und den Mächten der Finsternis« kennen. Aus der gleichen Quelle übernahm er auch die Lehre, dass er nach seiner Bekehrung zur ewigen Herrlichkeit bestimmt sei. Doch ließ ihn dies nicht sorglos werden, und als er einundzwanzig Jahre alt war, spielte diese Vorstellung in seinem Denken keine Rolle mehr. Was er jedoch die »verabscheuungswürdige Lehre« von der Vorherbestimmung zum ewigen Tod nannte, so hatte sich Newman diese niemals zu eigen gemacht, und sie war auch von Scott eindeutig verworfen worden.10

      Newman wurde nun ein Anhänger des Evangelikalismus, aber er scheint keine für diese Bewegung typische Bekehrung erlebt zu haben. Sie war kein plötzliches Ereignis, sondern erstreckte sich über einen längeren Zeitraum und war auch nicht von jenen besonderen emotionalen Erlebnissen begleitet, die nach evangelikaler Auffassung so wichtig waren. Er wurde nicht von heftigen Gefühlen bewegt und musste zugeben, dass sich seine Bekehrung stark von den Schilderungen, die er gelesen hatte, unterschied. Evangelikale mussten bezweifeln, ob er überhaupt eine Bekehrung erlebt hatte. Newman nannte sein Erlebnis einen »Denkwandel«, um den intellektuellen Charakter zu unterstreichen, und er ahnte schon die rationale Rechtfertigung seiner neuen Gewissheiten. Er war beeindruckt von ihrem introspektiven Charakter – »Ich weiß, dass ich weiß« – und von ihrer inneren Folgerichtigkeit, jenem Kennzeichen der Wahrheit. Hier ist bereits An Essay in Aid of a Grammar of Assent (»Entwurf einer Zustimmungslehre«) im Keim erkennbar.11 Auch stellte er detaillierte Verzeichnisse von Schriftstellen zusammen, die die Trinität wie auch alle anderen Teile des Athanasischen Credos belegen. Die Offenbarungsreligion, die er nun angenommen hatte, wollte er in ihrer ganzen Fülle studieren. Gleichzeitig mit der intellektuellen Zustimmung wandte er sich uneingeschränkt dem Heiligkeitsideal des Evangeliums zu. Er begann, ein strengeres Leben zu führen und sich in Gottes Gegenwart zu versenken, »um im Gedanken der zwei Wesen zu ruhen, die einzig absolut und zweifelsfrei existent sind – ich und mein Schöpfer«. Die sichtbare Welt, so schön und bedeutsam sie auch sein mag, schien weniger wichtig als das Unsichtbare. Dies war nicht irgendeine Art von beginnendem Idealismus, sondern eine tief christliche Weise des Denkens. Sein objektiver Trinitätsglaube bewahrte ihn vor der subjektiven Kontemplation seines eigenen Ichs, zumal er von Natur aus ein Mann der Tat war. Zwei Aussprüche Scotts machte er sich zu eigen: »Heiligkeit statt Frieden« und: »Wachstum ist das einzige Zeichen von Leben«. Als die Zeit seiner Bekehrung zu Ende ging, fuhr er mit seinem Vater nach Oxford und trat ins Trinity College ein, wohnte jedoch dort erst ab Oktober des folgenden Jahres. Die dazwischenliegenden Monate, die unmittelbar auf seine Bekehrung folgten, verbrachte er in harter geistiger Arbeit. Er hatte nun seinen eigenen Weg durchs Leben zu finden, und seine Talente sollten im Dienste Gottes genutzt werden.

      In dieser Zeit ging eine weitere Veränderung in ihm vor, die im Allgemeinen nicht mit einer evangelikalen Bekehrung verbunden war: Im Herbst 1816 reifte in ihm der Gedanke, es sei Gottes Wille, dass er unverheiratet bliebe. Dies entsprang mehr oder weniger der Vorstellung, sein Lebenswerk verlange dieses Opfer. Um eine Parallele für Newmans erste Bekehrung zu haben, möge man sich einen begabten, aber in den Tag hinein lebenden Jungen vorstellen, für den eine Zeit der Zurückgezogenheit von seinen Altersgenossen oder die Lektüre eines klassischen Werkes der religiösen Literatur zum Beginn des geistlichen Lebens wird, allerdings mit dem Unterschied, dass bei Newman alles entschiedener hervortritt. Er »wurde zum Christen gemacht« und begann sein neues Leben. Er nahm die Offenbarung in der reinsten Form an, die ihm zugänglich war, und es war für ihn nur konsequent, sich Gott ganz hinzugeben. Dies war der Wendepunkt, der seinem Leben das einheitliche Gepräge geben sollte. Sein sich entfaltender Geist wurde von der christlichen Offenbarung ergriffen und sein Herz vom christlichen Ideal der Heiligkeit.

      Im Oktober 1817 kam Newman im Alter von sechzehneinhalb Jahren nach Oxford, das er ein Vierteljahrhundert später »die religiöseste Universität der Welt« nennen sollte.12 Jeder Student hatte die Neununddreißig Artikel13 zu unterschreiben, sodass nur Anglikaner zugelassen werden konnten. Die meisten Angehörigen des Lehrkörpers – die Fellows of the Colleges – mussten sich ordinieren lassen, wenn sie ihre Zugehörigkeit zu einem College und damit ihre Stelle behalten wollten. Bei Heirat hatten sie aus dem College auszutreten. Obwohl es weder in Oxford noch in Cambridge eine Theologische Fakultät gab, kamen aus diesen beiden Universitäten die weitaus meisten Geistlichen der Kirche von England. Der Anteil der Absolventen, die in ihren Dienst traten, war sehr viel größer als derjenigen, die andere Berufe ergriffen. Das bedeutete nicht, dass Oxford in irgendeiner Weise einem Priesterseminar geähnelt hätte. Noch waren Moralauffassungen und Lebensgewohnheiten des 18. Jahrhunderts nicht tot, und Newmans neu gewonnene evangelikale Einstellung wurde am Trinity College hart auf die Probe gestellt. Sein Leben war bestimmt von Gebet, innerer Sammlung und intensivem Studium, doch spielte das Trinity College in seiner religiösen Entwicklung nur eine geringe Rolle. Im November 1817 ging er zum ersten Mal zur Kommunion. Es war in der College-Kirche, deren Bild bis an sein Lebensende sein Zimmer schmückte. Das College war ihm »ein sehr lieber, aber auch ein recht müßiger Ort«.14 Wie stets in seinem Leben schloss er viele Freundschaften. Am nächsten stand ihm in dieser Zeit der aus einer wohlhabenden Familie der Isle of Wight stammende William Bowden, der später Regierungskommissar für Abgaben und Steuern wurde und als anglikanischer Laie eine Lebensbeschreibung Gregors VII. verfasste. Im Trinity College gaben sie zusammen anonym eine Zeitschrift The Undergraduate heraus und schrieben ein romantisches Gedicht – »Die Bartholomäusnacht« – über einen protestantischen Edelmann und eine katholische Dame, die beide durch die Machenschaften eines fanatischen Priesters den Tod finden.

      Im Jahr 1818 gewann Newman ein College-Stipendium von 60 ₤ im Jahr, das ihm für neun Jahre zustand. Wegen des traurigen Zustandes, in dem sich die familiären Finanzen befanden, war dies für ihn von großer Bedeutung. Sein Abschlussexamen fand im Jahr 1820 statt und alle erwarteten, dass er den akademischen Grad in zwei Fächern mit Auszeichnung erwerben würde, aber vor Überarbeitung und Aufregung wurde er schwer krank und musste seine Absicht aufgeben. Es gelang ihm nur, den üblichen Grad eines Bachelor of Arts (B. A.) zu erringen. Das war mehr als nur eine persönliche Enttäuschung für ihn; es war ein harter Schlag, denn nun schien es sehr unwahrscheinlich, dass er in absehbarer Zeit in der Lage sein würde, seine Familie zu unterstützen. Um die Situation doch noch zu retten, entschloss er sich trotz erheblicher Bedenken, sich um eine Fellowship am Oriel College zu bewerben, das damals eine herausragende Stellung einnahm und im Zenit seines literarischen und intellektuellen Ruhmes stand. Am 12. April 1822 wurde er zum Fellow (Gelehrter, der an einer Hochschule oder Universität zum Zweck der Lehre oder Forschung finanziell unterstützt wird, Anm. d. V.) des Oriel College gewählt und trat damit in eine Gemeinschaft ein, die für seine Entwicklung von entscheidender Bedeutung sein sollte. Newman nannte diesen Tag »von allen den denkwürdigsten. Er hob mich aus Unbekanntheit und Not zu Verantwortung und Ansehen.«15 Obwohl er jetzt über ein gesichertes Einkommen verfügte, arbeitete er sich durch Privatstunden fast zu Tode, um seiner Familie Geld schicken zu können. Ende 1821 hatte sein Vater Konkurs anmelden müssen und das Haus in der Southampton Street wurde verkauft. Drei Jahre später starb er. Kurz vorher, im Jahr 1822, war sein jüngster Sohn Francis ins Worcester College eingetreten. John zahlte alle Ausgaben und trug überdies in erheblichem Maß zum Lebensunterhalt seiner Mutter und seiner drei Schwestern bei.

      In der freimütigen und aufgeschlossenen Atmosphäre, die am Oriel College herrschte, kam Newman »aus seiner Schale« heraus. Er wurde Richard Whately, dem späteren Erzbischof von Dublin, zugeteilt, der erst unlängst wegen seiner Heirat auf seine Fellowship am Oriel College verzichtet hatte. Newman schrieb über ihn, er sei »frei und gewandt in seinem Benehmen« gewesen, »freilich