um sich einen Überblick zu verschaffen, ragte die dunkle Bordwand des sowjetischen Schiffes unmittelbar vor ihm auf. Der Frachter hätte mal wieder einen Anstrich nötig, dachte er flüchtig, dann glitt er dicht neben der Bordwand weiter.
Das Schiff war nicht sein Ziel. Er musste zum Strand. Die Strecke, die noch dazwischenlag, schaffte der Agent in zehn Minuten. Als er dann wieder kurz auftauchte, war er dicht vor der merkwürdigen Konstruktion, die einem Bohrturm glich.
Erstmalig stellte er fest, dass das Gerüst überhaupt nicht auf dem festen Land gebaut war, sondern im Wasser lag. Es ruhte auf mehreren großen, pontonartigen Gebilden, die unter dem schweren Gewicht tief im Wasser lagen.
Die drei mächtigen Stahlrohre, die eine dicke Plattform trugen, waren mindestens zehn Meter hoch. Lautlos zerteilte Steve das Wasser und glitt näher heran.
Er schob sich auf einen der Pontons hinauf und hielt sich fest. Eine kleine Ruhepause tat gut. Er sah, dass die Befestigung auf den Pontons nur provisorisch war. Mächtige Halterungen verrieten, dass die ganze Anlage irgendwo anders befestigt werden sollte. Und da gab es eigentlich nur eine Möglichkeit: am Meeresgrund.
Die Zusammenhänge wurden ihm plötzlich klar. Dieses gewaltige Gerüst war das Fundament einer Unterwasserortungsanlage. Deshalb war Oleg Petrow hier und deshalb hatte man ihn über die Grundbegriffe der Schallortung unter Wasser eingeweiht. Die Sowjets planten also, vor der syrischen Küste dieses Gerät zu installieren. Ihm war klar, was das bedeutete.
Er umrundete den Ponton und sah nach oben, wo die fast kreisrunde Plattform drohend über ihm hing. Vorher hatte er gesehen, dass auf der Plattform eine ganze Reihe rätselhafter Einrichtungen angebracht waren – vermutlich die eigentlichen Ortungsanlagen. Da er noch nie welche gesehen hatte, konnte er auch nicht wissen, wie sie aussahen.
Die Stahlrohre, die die Plattform trugen, hatten mindestens drei Meter Durchmesser. Dort liefen offensichtlich die Versorgungsleitungen und die Energiezufuhr entlang.
Dicke Stahltrossen hielten die Plattform am Land verankert. Dort war auch ein Gerüst mit einer Art Gangway aufgebaut, die man wie auch jetzt ähnlich einer Zugbrücke einziehen konnte. Das war bei den schwankenden Wasserständen schon nötig. Man konnte also vom Land bequem auf die eigentliche Plattform gelangen, wenn der Laufsteg ausgeklappt war.
Steve zog sich auf den Ponton hinauf, der dem Strand am nächsten lag. Von dort verschaffte er sich einen genauen Überblick über die Lage. Das dicke Stahlrohr gab ihm dabei ausgezeichnete Deckung.
Er sah einen Ausschnitt des Platzes, den er noch in guter Erinnerung hatte. Einige Soldaten standen herum und sprachen miteinander. Der größte Teil des Lagers war allerdings schon ruhig. Er erkannte die Baracke des syrischen Kommandanten. Sie war erleuchtet, Posten standen vor der Tür.
Die Baracken in unmittelbarer Nähe waren besser ausgestattet als die anderen. Auch hier brannte hinter einigen Fenstern noch Licht. Er vermutete, dass hier die Techniker und Wissenschaftler untergebracht waren. Dort war also Petrow.
Steve suchte die Wachtposten. Die Wachttürme mit den Maschinengewehren lagen weit weg. Von dort drohte keine Gefahr. Er sah, dass der Stacheldrahtzaun jetzt gänzlich ausgeleuchtet war. Er hätte keine Chance gehabt, auf diesem Weg ins Lager einzudringen. Der Zaun reichte bis ins Wasser. Von der Seeseite zu kommen, war tatsächlich die einzige Möglichkeit.
Auf der Innenseite des Zaunes patrouillierten Doppelstreifen, die mit Maschinenpistolen ausgerüstet waren.
Als er plötzlich über sich Stimmen hörte, wusste er, dass auch auf der Plattform Wachen stationiert waren. Sein Blick glitt wieder über die Baracken in Strandnähe. Er konnte keinen Posten sehen, war aber sicher, dass dort einer war. Aber wo?
Erst das Lichtpünktchen einer aufglimmenden Zigarette verriet ihm den Standort der Wache. Der Mann lehnte im Schatten einer Baracke, von wo er die Eingänge im Auge behielt, da die Gebäude etwas versetzt errichtet waren.
Steve sah zu dem Arbeitsgerüst am Strand hinüber. Das war eine ideale Position für einen Wachtposten. Es gab sicher einen, wenn er ihn auch von hier nicht sehen konnte.
Er streifte die Schwimmflossen von den Füßen, nahm die Maske ab und deponierte die Sachen auf dem Ponton. Anschließend nahm er seine Waffe aus dem wasserdichten Beutel und schraubte mit sorgfältigen Bewegungen den Schalldämpfer auf.
Mit einem Griff überzeugte er sich davon, dass das Messer an der richtigen Stelle saß. Er löste den Riegel, sodass er es leicht herausziehen konnte.
An jedem Stahlrohr war eine Metallleiter angebaut. Sie war sicher für das Wartungspersonal gedacht, nützte ihm aber jetzt sehr. Er war den Konstrukteuren dankbar. Die Gummischuhe verursachten keinen Laut, er musste nur aufpassen, dass er nicht abrutschte.
Am Ende der Stahlrohre befand sich eine Luke, die mit einem einfachen Riegel gesichert war. Er drehte ihn mit einem Griff zur Seite. Alles war noch neu und gut geölt.
Im Innern der Plattform war es heiß und roch nach Maschinenöl. In regelmäßigen Abständen waren Arbeitslichter angebracht. Es war eng wie in einem U-Boot. Der Raum war vollgestopft mit Geräten, Maschinen und elektrischen Einrichtungen, für die er keine Erklärung hatte. Er hoffte nur, dass es auch auf der oberen Seite der Plattform eine Luke gab. Er fluchte leise, als er sich durch die engen Gänge zwängte, bis er etwa in der Mitte angekommen war. Hier war etwas mehr Platz. Aber da es eine ganze Menge Kabelenden gab, war zu vermuten, dass bestimmte Einrichtungen noch fehlten. Die Anlage war also offensichtlich noch nicht funktionsfähig. Das war gut zu wissen, denn vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen.
Nach einigem Suchen fand er die Luke. Sie war mit einem ähnlichen Riegel verschlossen. Vorsichtig drehte er ihn zur Seite und hob die Luke leicht an.
Er musste sie festhalten, denn ein Gegengewicht bewegte den schweren Deckel sonst bis zum Einrasten, das hatte er bei der anderen Luke gemerkt. Seine Sinne waren bis auf das Äußerste angespannt, er hielt den Atem an und lauschte.
Stimmengemurmel klang aus einiger Entfernung. Es waren zwei Männer, die sich leise unterhielten.
Steve drückte den Deckel ganz auf und schwang sich hoch. Er rollte sofort zur Seite, die Pistole schussbereit in der Faust. Die Wachen waren nicht zu sehen.
Er schloss den Luken-Deckel leise und verriegelte ihn. Unnötige Spuren musste er vermeiden. Auf Knien und Fingerspitzen kroch er langsam durch die verwirrenden technischen Anlagen in die Richtung, aus der er die Stimmen gehört hatte.
Schließlich sah er die beiden. Es waren Soldaten. Sie saßen Rücken an Rücken auf einem flachen Metallsockel und blickten in verschiedene Richtungen. Ihre Kalaschnikow-Maschinenkarabiner lehnten zwischen den Knien.
Zentimeter um Zentimeter kam Steve McCoy näher. Der eine Soldat stand plötzlich auf und reckte sich, aber er blickte sich nicht um. Steve verschmolz fast mit der Umgebung.
Als der andere Soldat auch aufstand, waren sie in der richtigen Position. Steve McCoy kam hoch, federte mit einem gewaltigen Satz vorwärts – und seine Hände fanden ihr Ziel.
Einer der beiden kam noch halb auf dem Absatz herum, ehe ihn die Handkante im Nacken erwischte, den zweiten traf er präzise mit den ausgestreckten Fingerspitzen unter dem Ohr.
Beide gingen lautlos zu Boden. Rasch fing Steve sie auf und ließ sie vorsichtig nach unten sinken. Eine Kalaschnikow schepperte leicht, als sie auf die Plattform glitt.
Steve öffnete seinen wasserdichten Beutel und holte den kleinen Kasten heraus, den er für solche Zwecke in seinem Gepäck mitgebracht hatte. Er öffnete ihn und nahm aus der stoßsicheren Verpackung zwei winzige Wegwerfspritzen heraus. Sie waren mit einem schnellwirkenden Betäubungsmittel gefüllt und versetzten einen Mann mittlerer Konstitution in einen mehrstündigen Tiefschlaf.
Er zog die Plastikhüllen von den Kanülen, suchte nach den Venen und stieß die Nadeln mit einem kräftigen Ruck hinein. Danach schleifte er die beiden Soldaten außer Sicht.
Den Rücken hatte er jetzt frei. Die nächsten Hindernisse