der Stadt nachhaltig. In „der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts“, schrieb der Kulturhistoriker Dieter Richter, „zählt man 304 Kirchen und 144 Klöster mit fast 5000 Geistlichen.“
In der Neuzeit wurde die Stadt immer wieder von Katastrophen heimgesucht. Im Dezember 1631 brach, nach langer Ruhephase, der Vesuv aus. Das Unglück kostete ca. 3000 Menschen das Leben. Bei der anschließenden Choleraepidemie breitete erstmals der Stadtpatron, der hl. Gennaro, seine schützende Hand über die Neapolitaner aus (→ Kasten). 1647 setzte für kurze Zeit der Masaniello-Aufstand die bestehende Ordnung außer Kraft. Die Erhebung des Fischerhändlers namens Tommaso Aniello wurde blutig niedergeschlagen. Beteiligt waren an der Revolte auch zahlreiche Angehörige des neapolitanischen Pöbels, die berühmt-berüchtigten Lazzaroni (→ Kasten). Während der Herrschaft des Bourbonen Ferdinand IV. wurde im 19. Jh. die Wirtschaftskrise virulent, unterbrochen lediglich durch eine Reformphase unter dem Franzosen Joachim Murat. Aber nach der Niederlage Napoleons in der Schlacht von Waterloo 1815 kehrte der alte Schlendrian wieder in der Stadt am Golf ein, in der Ortsfremde sich nun zunehmend unwohl und unsicher zu fühlen begannen. Immer wieder wüteten Epidemien, die prekäre soziale Lage der Lazzaroni spitzte sich weiter zu. Nach der unità, dem Aufgehen des Königreichs beider Sizilien im neu vereinigten Königreich Italien, begann die längst überfällige Altstadtsanierung: Viele Häuser wurden erstmals ans Kanalisationsnetz angeschlossen, neue Straßenachsen und Repräsentativbauten veredelten um die Wende vom 19. zum 20. Jh. das Stadtzentrum, u. a. der Corso Umberto I oder die Galleria Umberto I mit ihrer weithin sichtbaren Glaskuppel. Die urbane Entwicklung im 20. Jh. ist auch von Versuchen gekennzeichnet, in der Peripherie Industrie anzusiedeln. Dabei führte die Errichtung neuer Wohnviertel an den Rändern zu einem Landschaftsfraß ungekannten Ausmaßes. In der Mussolini-Epoche füllten im Stadtzentrum neue Häuserblocks zwischen Via Toledo und Corso Umberto I die bestehenden Baulücken. In den 1980er- und 1990er-Jahren entstand nach Plänen des renommierten japanischen Architekten Kenzō Tange das Centro direzionale − urbane Hochhäuser mit Spiegelglasfassaden, die Reisenden bereits bei der Anfahrt mit der Eisenbahn ins Auge springen.
Die Lazzaroni − Pöbel unter dem Schlaraffenbaum
Eine wichtige stadtsoziologische Besonderheit Neapels waren die Lazzaroni − das urbane Lumpenproletariat. Die meiste Zeit des Jahres verbrachten die Bettler, Stadtstreicher, Tagediebe und Herumtreiber draußen in den Gassen oder lungerten in Hauseingängen herum. Nur im Winter zogen sie sich zum Schlafen in die unterirdisch gelegenen Katakomben zurück, in jenes Napoli Sotteranea, das heute zu den Touristenmagneten der Stadt zählt (→ Link). Zeitweilig sollen bis zu 60.000 Neapolitaner dieser Schicht angehört haben, deren Name sich vielleicht vom biblischen Lazarus oder aus dem spanischen lacería (Lepra) ableitet. Fest steht, die lazzari, wie sie auch genannt wurden, trugen ihren Namen mit Stolz. Zur kollektiven Identität trug auch deren rote Mütze bei, jene Kopfbedeckung, die durch die Französische Revolution 1789 als Phrygische Mütze oder Jakobinermütze berühmt wurde. Die meiste Zeit über ging es in den neapolitanischen Elendsvierteln trotz großer Armut recht friedlich zu. Dennoch war das Gewaltpotenzial der Lazzaroni in ganz Europa gefürchtet, seit sich die Armenschicht im legendären Aufstand unter Führung von Masaniello (→ Geschichte) kollektiv gegen die Steuerpolitik der spanischen Machthaber erhoben hatte. Viele Reiseberichte der Adeligen, Künstler und Intellektuellen im 18. und 19. Jh. illustrierten das große Unbehagen, sobald die Fremden mit dem Pöbel in Berührung kamen. Zahlreiche kulturelle Stereotype vom wilden, ungezügelten und wollüstigen „Volksgeist“ haben hier ihren Ursprung. Auf der anderen Seite zeigten sich Reisende von der brodelnden Volksseele Neapels fasziniert und brachen eine Lanze für die Unbekümmertheit und Leichtigkeit der Lazzaroni, wobei auch sie den herkömmlichen Klischees folgten.
Die wilde und leidenschaftliche Seite der Lazzaroni kam u. a. bei den großen Festivitäten zur Entfaltung, allen voran bei der jährlichen Blutsverflüssigung des hl. Gennaro. Ein weiteres wichtiges Ereignis war die Cuccagna, wo v. a. (aber nicht nur) Kinder auf einen „Schlaraffenbaum“ (albero della cuccagna) kletterten, um eine oben befestigte Speise herabzuholen. Der bourbonische König Ferdinand IV. galt bis zum Beginn der Französischen Herrschaft auch als Re Lazzarone. Der „Lazzaroni-König“ machte sich nicht selten mit dem Volk gemein und trieb diese proletarischen Spielchen auf die Spitze.
Phrygische Mütze:Ölgemälde im Palazzo Reale
Schließlich veränderte der zunehmende motorisierte Straßenverkehr das Gesicht der Stadt: Staus zur Rushhour gehören zum gewohnten Bild, derweil die neue Metro die Verkehrsströme unter die Erde verlegte. Krisen gehörten auch in der 2. Hälfte des 20. Jh. zum gewohnten Bild: 1972/73 wütete eine verheerende Choleraepidemie. Die Seuche forderte über 20 Menschenleben und bedeutete einen herben Rückschlag für die touristische Entwicklung Süditaliens. 2007 hielt die Müllkrise die Region in Atem. Müllhaufen verpesteten tage- und wochenlang die Straßen der Stadt und legten strukturelle Mängel bloß − es fehlte an Müllverbrennungsanlagen, illegale Deponien waren ein gefundenes Fressen für die örtlichen Camorra-Clans (→ Link), die sich an der Notlage bereicherten. Andererseits erlebte die Stadt durchaus erkennbare Fortschritte: Besonders unter dem Linksdemokraten Antonio Bassolino, der zwischen 1993 und 2000 als Bürgermeister die Geschicke der Stadt am Golf lenkte, erlebte Neapel eine wirtschaftliche, soziale und städtebauliche Renaissance. Die ansprechend gestaltete Uferpromenade zwischen der Piazza del Plebiscito und Mergellina geht u. a. auf seine Initiative zurück.
Neapel besichtigen
Hinsichtlich der Zahl an Sehenswürdigkeiten nimmt Neapel unbenommen einen Spitzenrang unter den europäischen Metropolen ein. Dazu gesellen sich diejenigen Attraktionen, die gegenwärtig nicht zugänglich sind − Baudenkmäler, an denen der Zahn der Zeit nagt und die dem vielerorts grassierenden Verfall anheimgegeben sind. Weil das Geld für die Restaurierung fehlt, werden die betreffenden Denkmäler kurzerhand geschlossen (→ Kasten). Die meisten Attraktionen liegen in der Altstadt und sind bequem zu Fuß vom Hauptbahnhof (Napoli Centrale) erreichbar. Auch die Sehenswürdigkeiten links und rechts der Via Toledo zwischen Piazza Dante und Piazza del Plebiscito werden am besten zu Fuß oder alternativ mit der Metrolinie 1 angesteuert. Gleiches gilt für das am Altstadtrand gelegene Archäologische Nationalmuseum (Linie 1 und 2). Wer indes einen größeren Radius wählt und sich für die Sehenswürdigkeiten auf den Hügeln sowie in der Peripherie interessiert, sollte am besten auf öffentliche Nahverkehrsmittel zurückgreifen. Eine Besonderheit sind die Standseilbahnen (funiculari), die an verschiedenen Stellen das Zentrum mit luftig gelegenen Aussichtspunkten auf den Hügeln verbinden. Die Fahrt allein ist bereits ein für jedermann erschwingliches Erlebnis!
Sehenswertes zwischen Hauptbahnhof und Dom
Das Bahnhofsviertel ist nicht gerade ein Vorzeigequartier − das verbindet die Stadt am Golf mit zahlreichen anderen Metropolen. Unglücklicherweise entpuppt es sich als das Stadtviertel, das Neuankömmlinge als Erstes zu Gesicht bekommen: Klischees einer dreckigen, chaotischen, lauten und vielleicht sogar unsicheren Metropole scheinen sich umgehend zu bestätigen, wobei der Bahnhofsvorplatz (Piazza Garibaldi) nach einem aufwändigen Facelifting die Vorurteile ausnahmsweise Lügen