Konrad Bergmeister

Holistisches Chancen-Risiken-Management von Grossprojekten


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zu treffen. Häufig verwenden wir solche „Bauchregeln“ unbewusst. In diesem Buch werden solche Lösungsansätze bewusst zugelassen und, wie es Gigerenzer formulierte, als Strategie eingesetzt.

      Später definierte Friedrich Schleiermacher (1768–1834) die Heuristik als eigenständige Wissenschaft neben der Logik. Nach Schleiermacher erfolgt der Erkenntnisprozess bei der Heuristik in zwei Schritten:

       durch die Konzentration auf den Sachverhalt des Problems und

       in Bezug auf allgemeine Zusammenhänge des Problems.

      Gerd Gigerenzer zeigte 2007 anhand von wiederholten Felduntersuchungen in seinem Buch Bauchentscheidungen [5] auf, dass bei einer Befragung von zufällig ausgewählten Personen über Investitionsmöglichkeiten, diese wesentlich bessere Ergebnisse erzielten als ein von Finanzexperten und Börsenanalytikern zusammengestelltes Portfolio. Die Faustregel „investiere in das, was du kennst“ hat sich gegenüber einer mit großen Informationsmengen gefällten Entscheidung als überlegen erwiesen.

      Die Heuristik wird auch in der Informatik zum Lösen nicht exakter Problemstellungen benutzt. Die Berechnung erfolgt auf der Basis von Beobachtungen, von Abschätzungen und von Vermutungen. Heuristiken kommen immer dann zum Einsatz, wenn eine exakte Berechnung einer optimalen Lösung unmöglich ist (z. B. nonpolynominales Problem, zu wenige Informationen, nicht realisierbar) oder die Berechnungsschritte zu aufwendig werden.

      Letzthin wurde die Heuristik auch bei der Typisierung von Viren verwendet, wo mit Virenscannern typische Merkmale gesucht und verglichen wurden.

      Im Grunde wurde die Heuristik oft unbewusst zur Bewertung von Themen mit großer Ungewissheit herangezogen. Daher soll sie auch beim Management von unbekannten Risiken gezielt als Methode verwendet werden, wie nachfolgend im Buch aufgezeigt wird.

      Die Angst hat in den vergangenen Jahren, auch aufgrund einer zunehmenden gesellschaftlichen Unsicherheit (siehe Preis der Ungleichheit, Stiglitz [6]), viele Risiken verursacht. Wir erleben das tagtäglich in der Werbung durch die digitalen Medien, wo mit der Angst vor Krankheiten, vor möglichen Insekten, vor Viren und Krankheitsüberträgern, an Urlaubsorten, vor möglichen Unfällen eine Menge an Geld in die Vorsorge investiert wird.

      Der Risikoforscher Gerd Gigerenzer sagte, „die Gesellschaft bestimmt mit, wovor wir uns fürchten“. Auf der einen Seite schützt die Angst den Menschen vor gefährlichen Situationen, auf der anderen Seite kann Angst lähmen und gesellschaftliche Mechanismen auslösen. Angst oder das Sicherheitsempfinden ist sowohl kulturell als auch individuell unterschiedlich. Die individuelle Angst überträgt sich je nach gesellschaftlichen Randbedingungen auf die Mitmenschen; Angst kann ansteckend wirken [7].

      Angst erlebte nahezu die ganze Welt durch den Coronavirus SARS-CoV-2. Die politisch Verantwortlichen haben in allen Ländern unterschiedlich versucht, diese Angst ernst zu nehmen. Und die Angst bleibt auch danach, vor einem „unsichtbaren, auf einmal überall und jederzeit im Hinterhalt lauernden Feind“, wie Martina Leibovici-Mühlberger [8] definierte.

      Die Medien spielen eine wichtige Rolle. Gerd Gigerenzer sagte im Interview mit der Zeitung Handelsblatt am 10.03.2020 [9], dass „aus Angst getriebene Menschen sich oft zusätzlich in Gefahr bringen“. Er wies darauf hin, dass ein Sterben vieler Menschen in einem kurzen Zeitabschnitt als Gefahr verstanden wird, während beim Sterben derselben Anzahl im Laufe eines Jahres kaum Notiz genommen wird.

      Die richtige Kommunikation von angstbewirkenden Ereignissen ist insofern wichtig, als dass dadurch nicht die Ängste der Menschen gesteigert oder die Unsicherheit vergrößert werden sollte. Dabei müssen die Angst ernst genommen und möglichst konkrete Maßnahmen gesetzt werden. Die Kommunikation muss zeitnah und periodisch durch die direkten Verantwortlichen erfolgen. Bei einer transparenten und ruhigen Vermittlung der Fakten und der vorgesehenen Maßnahmen entsteht Vertrauen.

      „Medien steuern unsere Ängste“ sagt Gigerenzer. Hier muss auch die Überflutung von angsteinflößenden Medienmeldungen beachtet werden. Durch vermehrte Meldungen von risikoreichen Ereignissen wird das Risikoempfinden der Menschen abgeflacht. Mit der Zeit und der Gewohnheit an „schlimme Nachrichten“ (siehe dazu Kriegsmeldungen, Flüchtlingsdramen etc.) wird die Sensibilität reduziert. Die Kommunikation statistischer großer Zahlen oder Prozentsätze löst bei vielen Menschen Angst aus. Dabei werden in den Medien häufig relative und nicht absolute Prozentsätze verwendet. Absolut ist die Gefahr, dass ein Mensch weltweit durch einen Terroranschlag getötet wird, sehr gering. Weltweit kamen in den letzten 15 Jahren etwa 108 000 Menschen durch Terror ums Leben. Das entspricht einer jährlichen Eintrittswahrscheinlichkeit bezogen auf die Weltbevölkerung von etwa 1 · 10−6.

      Angst kann aber auch durch die Medien geschürt werden. Mit gezielten Informationen bei Themen über die öffentliche Sicherheit, Gesundheit, gesellschaftliche oder politische Veränderungen, Zukunft etc. können Ängste in der Bevölkerung erzeugt und damit neue Risiken induziert werden.

      Mit der Angst kann die Unsicherheit erhöht werden. Die Bewertung von Chancen und Risiken sollte daher in einem angstfreien Umfeld erfolgen. Leider wird bei einem autoritären Führungsstil die Angst oft als „Druckmittel“ verwendet. In flachen Hierarchien gibt es wesentlich weniger Angst und sowohl kritische als auch innovative Vorschläge werden schneller umgesetzt.

      Beim Thema der Angst müssen wir auch das Thema des Vertrauens ansprechen. Im Prinzip ist Vertrauen die Basis für jede gesellschaftliche Form der Interaktion. Vertrauen ist eine wichtige soziale Faustregel; trotzdem sollte der Hausverstand für ein Abklären von möglichen Risiken stets eingesetzt werden. Vertrauen in die Richtigkeit von Informationen, in die Fachkenntnisse der Experten, aber auch in das Wissen und die Erfahrung der Lehrer und Verantwortlichen ist wichtig; trotzdem sollten die Informationen und das Wissen stichprobenartig hinterfragt und überprüft werden. Auch die Frage von möglichen Interessenskonflikten in Bezug auf den Informations- und Wissensüberbringer ist angebracht.