Marion Demme-Zech

Mörderisches aus dem Saarland


Скачать книгу

      »Guten Morgen, junge Frau«, begrüßt er sie bestens aufgelegt mit einem Augenzwinkern. »Es freut mich, Sie zu einem kleinen Abenteuer entführen zu dürfen.«

      Über diesen netten Empfang und die Bezeichnung »junge Frau« ist Anneliese derart überrascht, dass sie nur ein kaum hörbares »Moin« herausbringt und fluchtartig auf ihren mittlerweile nicht mehr ganz so zuverlässigen Beinen weitergeht. Ohne viel zu überlegen, setzt sie sich auf den ersten freien Doppelsitzplatz im Bus. Dass das ein Fehler war, bemerkt sie wenig später.

      »Ach, schau an! Die Frau Anneliesel Stutz. Grau in grau, wie immer«, trötet Dorothea, deren unverwechselbare wasserstoffblonde Locken nun zwischen den Kopfpolstern vor ihr auftauchen. Schöner Mist, urteilt Anneliese in Gedanken, sie hat den Platz hinter Doro und Lotte erwischt. Kein Wunder, dass hier frei gewesen ist. Ursel wird nicht begeistert sein, aber warum kommt sie auch immer als Letzte?

      In all den Jahren hat sich Anneliese an Doros spitze Bemerkungen gewöhnt. Das Beste ist, ihre Sprüche zu überhören und sich in keine Unterhaltung verwickeln zu lassen – was heute nicht einfach ist, denn Doro hat andere Pläne. Sie hat einiges in Erfahrung gebracht und das Wissen muss raus. »Den Edmund Nussbaum, den haste bestimmt schon entdeckt, Anneliesel?«

      Anneliese Stutz nickt, darum bemüht, möglichst wenig Interesse zu zeigen. Das »Anneliesel«, das man Doro nicht abgewöhnt bekommt, war, dank der blonden Grazie, ihr Spitzname in der Grundschule. Keine leichte Zeit, was nahezu vollständig Doros Verdienst gewesen ist.

      »Der springt heute für seinen Sohn ein.« Die Giftnudel ist wie immer auf dem neusten Stand und die nächsten Infos plappert sie gleich hinter vorgehaltener Hand weiter aus: »Witwer, seit knapp zwei Jahren, also wird er im Jagdrevier wieder als Freiwild geführt.«

      »Also Doro!«, entrüstet sich Lotte, die immer schon neben Dorothea gesessen hat und deren Kopf nun ebenfalls sichtbar wird. Sie kichert. Die Szene ist exakt so wie damals in der Schule, stellt Anneliese erschüttert fest, nur dass alle Beteiligten 60, wenn nicht sogar 70 Jahre älter sind.

      Fast ihr ganzes Leben lang hat sie sich schon mit Doro herumgeplagt. Erst in der Grundschule, dann in der Hauptschule und selbst später, als ihr Hans im Vorstand der Feuerwehr gewesen ist und Doros Theo ebenfalls. Sogar beim Kirchenchor ist sie aufgetaucht und hat Anneliese die Freude am Singen verleidet. Als Dorothea sich schließlich vor ein paar Jahren auch noch den Landfrauen angeschlossen hat, war Anneliese schon gar nicht mehr verwundert. Doro ist wie eine lebenslange Prüfung – ein Schicksal, das ihr, aus welchen Gründen auch immer, auferlegt wurde.

      Zugegeben, diese leidige Bekanntschaft hat eine einzige gute Seite: Doro ist stets erstklassig im Bilde. Dass der Busfahrer Witwer ist, lässt Anneliese zu ihrer eigenen Überraschung nicht kalt. Das muss sie sich selbst eingestehen.

      Die anderen Damen allerdings auch nicht. Im Bus wird an diesem Morgen auffallend viel gekichert, man richtet sich allerorts die Haare und manch eine der Seniorinnen legt mit dem Handspiegel ein wenig Lippenstift nach.

      Bei all der Konkurrenz fährt Doro zur Bestform auf. »Apropos Freiwild, Mädels«, tönt sie herüber zu Anneliese. »Eins kann ich euch sagen: Wenn jemand das Tier erlegt, dann ja wohl ich.«

      »Doro!«

      Lottes mahnende Proteste haben den Hausdrachen noch nie bremsen können, weiß Anneliese. Doro hat es zu keiner Zeit an Selbstvertrauen gefehlt. Vielsagend zieht sie in dieser Sekunde ihre Augenbrauen hoch. Das hell glitzernde Blau auf ihren Oberlidern hätte fraglos ein wenig dezenter ausfallen können, denkt Anneliese, während sie sich gleichzeitig ärgert, heute Morgen bei der Auswahl ihrer Garderobe nicht allzu sorgfältig gewesen zu sein. Sie unterdrückt den Impuls, auf die Bustoilette zu gehen und sich die Haare zu richten. Den Triumph gönnt sie Dorothea nicht.

      »Wer ist denn der neue Busfahrer?«, erkundigt sich Ursel, ihre beste Freundin, die wie erwartet als Allerletzte eintrifft und umgehend Platz nimmt.

      »Freiwild! Doro will es erschießen«, gibt Anneliese zur Antwort und erntet dafür einen zornigen Blick von vorn.

      Ursel konnte sich ihre Bemerkungen gegenüber Doro noch nie verkneifen und fügt kess hinzu: »Na, da pass mal gut auf, dass du nicht wieder voll danebentriffst, meine Liebe.«

      »Garantiert nicht!«, antwortet die blonde Jägerin aus dem Warndt bissig und dreht sich demonstrativ beleidigt in Fahrerrichtung um.

      Nach der Ankunft von Ursel ist die Mannschaft vollzählig, und Heidrun gibt dem Busfahrer das Zeichen, dass die Fahrt beginnen könne. Während der Bus gemächlich lostuckert, nimmt die erste Vorsitzende die Gelegenheit wahr, die anwesenden Damen zu begrüßen. Sie platziert sich im Gang direkt neben dem neuen Busfahrer.

      »Es freut mich, dass ihr es alle gesund und munter zu unserem Ausflug geschafft habt. Ich bin mir sicher, wir werden heute einen wunderschönen Tag zusammen haben. Zur Erinnerung noch einmal kurz der Tagesablauf.« Heidrun kramt einen kleinen Zettel aus ihrer Handtasche. »Zuerst geht es zu den Homburger Schlossberghöhlen, ich habe für uns eine Führung gebucht. Danach ist eine kurze Pause mit Kaffee und Kuchen eingeplant – wer möchte, kann sich bei der Gelegenheit auch die Ruinen der Festung Hohenburg auf dem Schlossberg ansehen. Gegen zwei haben wir einen Termin zur Besichtigung in der Karlsberg Brauerei.«

      Heidrun grinst und greift nach dem Korb, der mit einem Tuch abgedeckt neben ihr steht. »Und zur Eingewöhnung, dachte ich mir, kann ein Glas Sekt als Muntermacher sicher nicht schaden.«

      Das fängt ja gut an, denkt Anneliese, die seit Weihnachten keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt hat – schon gar nicht um halb neun in der Früh.

      »Ne, am Morgen, das vertrage ich gar nicht«, sagt Anneliese mit einem Fingerzeig auf ihren Magen, als die Vorsitzende mit Gläsern und Flasche an ihrer Sitzreihe ankommt.

      Ursel ziert sich bei Weitem nicht so. »Für mich randvoll«, fordert sie Heidrun auf.

      Nun mischt sich Doro wieder ein. Sie hält der Vorsitzenden ihr halbvolles Glas hin und sagt: »Ach Anneliesel, zier dich nicht so. So ein Sektchen in der Frühe ist doch gut für den Kreislauf.«

      Lotte ist nicht zu sehen, aber man hört ihr Kichern. Der Sekt zeigt bereits Wirkung, das Gackern ist heller geworden.

      »Na, Lieschen, letzte Chance!«, versucht es Heidrun wieder und hält einladend die Flasche in die Höhe. »Willst du nicht doch einen Schluck von der guten Medizin?«

      »Klar!«, sagt Ursel, nimmt an Annelieses Stelle das Glas entgegen und gibt der Vorsitzenden mit einem eifrigen Kopfnicken zu verstehen, bloß nicht zu geizig mit dem Prickelzeug zu sein.

      »Auf einen lustigen Tag!« Die Freundin reicht Anneliese den Sekt und lacht. »Keine Angst Lieschen, du wirst schon nichts Dummes anstellen.«

      Anneliese zuckt mit den Schultern und gönnt sich einen Schluck. Zugegeben, übel schmeckt der Sekt nicht, und ihr Kreislauf machte ihr sowieso die letzten Tage zu schaffen.

      »Kann ich noch ein Gläschen haben – wegen meinem niedrigen Blutdruck?«, fragt sie später, als Heidrun im Gang an ihr vorbeiläuft, denn wenn das so gesundheitsförderlich ist, kann ein weiteres heilsames Schlückchen bestimmt nicht schaden.

      »Meine Damen, in Kürze werden wir die Schlossberghöhlen Homburg erreichen«, dröhnt die Stimme des Busfahrers durch die Lautsprecher über den Köpfen der Frauen. Während der Fahrt hat Herr Nussbaum Musik aufgelegt. Alles Hits aus alten Zeiten. Sogar eine Polonaise haben sie durch den Bus getanzt, selbst Anneliese, deren Kreislauf nach dem dritten Glas Sekt wie angekündigt deutlich in Schwung kam. Ihre Backen leuchten rosarot, und an ihrer Bluse hat sie wegen der Hitze im Bus ein, zwei Knöpfe gelockert. Das ständige Kichern von Lotte und die Angeberei von Doro vernimmt sie kaum mehr. Die Stimmung ist ausgezeichnet.

      Trotzdem kann sich Doro bei der Ankunft in Homburg wieder einmal einen Witz auf Annelieses Kosten nicht verkneifen. »Sie kommen doch bestimmt auch mit zur Führung, Edmund?«, flötet sie, als sie beim Busfahrer aussteigen.

      »Na, eigentlich …«

      Doro lässt Herrn Nussbaum erst gar