Marion Demme-Zech

Mörderisches aus dem Saarland


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wartet.

      »Forsberg, Kripo Saarbrücken, was ist passiert?«, erkundigt Wolfgang sich.

      »Fiedler. Es gab eine Bombendrohung.«

      »Was?« Wolfgang schüttelt ungläubig den Kopf. »Das ist bestimmt ein Dummejungenstreich. Kommt doch ständig …«

      »Diesmal eher nicht«, fällt ihm der Kollege ins Wort. »Der Bombenleger hat sich mit einer Reihe von Geiseln im Bistro verschanzt, und so wie er sich eben angehört hat, ist es ihm todernst.« Nervös knabbert der Beamte auf seinen Lippen herum und blickt auf das Bistrogebäude, das circa 150 Meter von uns entfernt liegt.

      »Geiseln?« Wolfgang wird blass. »Wissen Sie, wer sich dort drinnen aufhält?«

      »In jedem Fall der Attentäter, ein paar der Angestellten vermutlich und eine Handvoll Gäste. Wir schätzen etwa zehn bis zwölf Personen.« Der Polizist wirkt überfordert. »So was hatten wir noch nie hier. Die Saarbrücker schicken das SEK. Bis dahin müssen wir die Stellung halten.«

      »Hat der Geiselnehmer sonst noch was gesagt?«

      Der Beamte strafft die Schultern, als er weiterredet: »Ja, hat er. Das ist ein Psychopath, wenn Sie mich fragen. Als wir am Eingang eintrafen, sahen wir den Kerl hinter der Scheibe. Komplett in Schwarz, er wirkte vollkommen irre. Er hatte einen Fernzünder in der Hand und drohte uns, die Bombe zu zünden, falls wir auch nur einen Schritt näher kommen. ›Zwei Millionen!‹, brüllte er. ›Und keinen Cent weniger.‹ Er will einen Wagen. ›Sonst geht hier innerhalb von Sekunden alles in die Luft‹, das waren seine Worte. Wir haben nur eine Stunde, um Geld und Auto zu besorgen.«

      »Zwei Millionen? In einer Stunde?«, wiederholt Wolfgang und schüttelt fassungslos den Kopf. Er denkt wohl das Gleiche wie ich, die Forderung wird man in der Kürze der Zeit nicht erfüllen können.

      Dieser Fiedler nickt. »Wahnsinn«, sagt er mit gepresster Stimme. »Eigentlich hatte ich heute frei und bin nur für einen kranken Kollegen eingesprungen.«

      Das riecht verdammt nach Ärger, resümiere ich für mich. Ein Blick in Wolfgangs Gesicht verrät mir, dass wir uns immerhin in dem Punkt einig sind. Vermutlich sind seine Gedanken in diesem Moment bei Gabriele, wie meine auch. Dem zarten Seelchen, das dort drinnen gerade ein Martyrium durchmacht.

      »Überlegen Sie sich genau, wie Sie in der Angelegenheit vorgehen. Ein falscher Schritt und Sie können Ihre Uniform an den Nagel hängen«, droht Wolfgang an und geht zurück zum Wagen.

      Sekündchen, denke ich. Mister Superkommissar plant doch wohl nicht, sich aus dem Staub zu machen. Will er seine Frau etwa ohne Gegenwehr dem Irren überlassen?

      »Ab mit dir ins Auto«, befiehlt Wolfgang, nachdem er den Kofferraum wieder geöffnet hat. Er streckt seine Arme nach mir aus.

      Vergiss es, denke ich und tripple ein paar Schritte zurück. Glatte Befehlsverweigerung, und das aus gutem Grund. Zwar mache ich vor Angst fast unter mich, trotzdem steht eins fest: Gabriele lasse ich nicht im Stich. So feige wie Wolfgang bin ich nicht.

      Doch vielleicht täusche ich mich auch in ihm. Zumindest kommen mir bei seinem nächsten Satz Zweifel, ob ich wirklich immer gerecht zu ihm gewesen bin. »Günther, bitte! Ich kann dich jetzt ehrlich nicht gebrauchen. Abzuwarten, bis das SEK einläuft, ist Wahnsinn. Bis dahin könnte es zu spät sein.«

      Wolfgang hat recht. Aber – und das entscheide ich innerhalb weniger Sekunden – zu zweit einzugreifen, ist weit besser als allein. Statt also artig einzusteigen, helfe ich dem Herrn Kommissar lieber auf die Sprünge und starte einen Run in weitem Bogen um die Polizeisperre. Das dort vorne ist nicht der einzige Eingang, zumindest nicht, wenn man ein Dackel ist und schon unzählige Besuche mit Hanne bei ihrer Freundin Gabriele miterlebt hat. Es gibt da eine Stelle im Zaun, hinter dem Gartentheater, ideal für ein schlankes Persönchen wie mich. Für Wolfgang, den Doppel-Schmorbraten-Vertilger, könnte es eng werden. Er muss vermutlich nach einer Alternative Ausschau halten. Aber niemand hat behauptet, dass die Sache leicht wird. Mein Plan ist in jedem Fall tausendmal besser, als einfach nur abzuwarten.

      Bis Wolfgang erfasst, was ich vorhabe, dauert es eine Weile. »Du Spatzenhirn an Köter machst nichts als Ärger«, beschimpft er mich mit dem wenigen Atem, der ihm noch bleibt, denn nach dem üppigen Mittagessen kostet es ihn Mühe, hinter mir herzuspurten. An fiesen Ideen fehlt es ihm trotzdem nicht. »Du kriegst eine Panzerkette als Halsband, wenn ich dich erwische. Glaub mir das, du Töle!«

      Ganz schön boshafte Drohungen für einen Teamkollegen, sage ich mir, während ich unbeirrt weiterjage. Gerade ist nicht der richtige Zeitpunkt, um überempfindlich zu sein. Wenn der kaltherzige Herr Superkommissar erst erkennt, was ich aushecke, wird er bereuen, mir all diese Unverschämtheiten um meine Dackelohren geschleudert zu haben.

      Gleich sind wir da. Dort hinten ist das Loch im Zaun. Manchmal erweist es sich als vorteilhaft, derart klein zu sein. Wolfgang müht sich über die Abzäunung und zugegeben stellt er sich dabei nicht so schwerfällig wie erwartet an. Es dauert keine 20 Sekunden, da steht er neben mir.

      Nach wie vor der Meinung, er sei der Leiter dieser Ausnahmeeinheit. »Okay, das war nicht dumm, Günther. Wir versuchen es miteinander«, sagt er im Befehlston. »Aber keine Alleingänge mehr, sonst gibt es zukünftig nur noch Möhrchen.« Wolfgang hat eine seltsame Art, seine Kollegen zu motivieren, stelle ich fest, aber auch das schlucke ich Gabriele zuliebe runter.

      Gemeinsam setzen wir mit einem Sprung über den Wasserlauf und schleichen in Richtung Farbgärten. Vorbei geht es am Irrgarten, der kleinen Weiheranlage und dem Hühnergehege. An den Hainbuchenhecken suchen wir immer wieder von Neuem Deckung. Hier, wo sich sonst eine Menge Touristen herumtreiben, ist es heute, an diesem verfluchten Sonntag, gespenstisch still. Nicht mal die Grillen zirpen.

      Das Bistro kommt in Sichtweite. Wir nähern uns über den Kinderspielplatz. Überall um den Wasserplatz verstreut liegen Schippen und Förmchen, nun heißt es, vorsichtig zu sein, denn wir dürfen nirgendwo drauftreten. Jedes noch so zarte Geräusch löst vielleicht eine Katastrophe aus.

      »Ihr rührt euch keinen Millimeter!«, hören wir beim Näherkommen. Das Geschrei stammt offenkundig vom Geiselnehmer. Die Worte »vollkommen irre«, die der Polizist auf dem Parkplatz als Umschreibung genutzt hatte, treffen ins Schwarze. Der Ton ist beängstigend. Dort in dem kleinen Gebäude agiert kein abgebrühter Krimineller, der einen festen Plan verfolgt, sagt uns das. Leider haben wir es wohl mit einem kopflosen Wahnsinnigen zu tun, und das macht die Angelegenheit keineswegs leichter.

      »Wenn nicht in den nächsten Minuten etwas geschieht, wird es wohl einen von euch Hübschen den Kopf kosten«, droht der Psycho an. Ich vernehme unterdrücktes Weinen von mehreren Personen. Die Tür zum Außenbereich steht etwa einen Meter weit offen, allem Anschein nach rechnet der Geisteskranke nicht damit, dass man von hinten angreifen könnte, oder er hat diese Option schlichtweg übersehen. Zum ersten Mal erhasche ich einen Blick auf den Mann in Schwarz. Er hat alle Geiseln in eine Ecke gedrängt und geht mit einem Zünder in seiner Hand auf und ab. Auf dem Tresen liegt ein langes Küchenmesser, das greift er sich nun. »Wen sollen wir nehmen?«, fragt er, und es klingt, als würde ihm dieser letzte Satz besondere Freude bereiten.

      Das Schluchzen wird lauter. Durch die Scheibe erkenne ich, dass die Menschen am Boden sich noch näher zusammenkauern.

      »Kein Freiwilliger?« Der Mann genießt es offenbar, die Geiseln zu quälen. »In dem Fall muss ich mich wohl selbst entscheiden. Ich schätze, ein Kind wäre die beste Wahl. Das macht Eindruck! Oder was meint ihr?« Mit diesen Worten streckt er die Hand aus und weist auf einen Jungen von schätzungsweise acht oder neun Jahren.

      »Nein, nehmen Sie lieber mich«, unterbricht eine weiche Stimme den Geiselnehmer.

      Ich wende den Kopf zu Wolfgang. Seine Kiefermuskeln sind angespannt, die Dienstwaffe hält er fest in der rechten Hand. Auch er hat sofort erkannt, wer da spricht. »Verdammt, Gabriele, was machst du nur?«, murmelt er und flüstert daraufhin an mich gewandt: »Du rührst dich nicht von der Stelle! Und keinen Mucks!«

      Nun gut, wenn der Chef das anordnet, dann werde ich brav ausharren und auf weitere Befehle warten, denke ich. Wolfgang ist