allerdings ist, was die Bedürfnisse anderer angeht, viel zu gutherzig, und so sagt sie doch wahrhaft den Satz, der das Kartenhaus schon halb zum Einstürzen bringt: »Ich komme!«
Na super!
Kurz darauf beendet sie das Telefonat und setzt mich schonungslos über ihr Vorhaben in Kenntnis: »Güntherlein, kleine Programmänderung. Was hältst du davon, wenn du Hendrik für ein paar Stündchen besuchst? Vielleicht hat er Zeit. Gegen sechs bin ich wieder da.«
Ich überlege. Zugegeben, die Idee ist noch recht okay. Hendrik, Gabrieles Sohn, der in Saarbrücken in einer Studenten-WG wohnt, ist ein cooler Typ. Es ist zwar nicht ganz das, was mir versprochen wurde, doch wir könnten mit dem alten 3er, den Gabrieles Sohn meinem Herrchen Siggi abgeschwatzt hat, auf Tour gehen.
Na gut, denke ich mir, wenn jemand flexibel ist, dann wohl ich. Gabriele zuliebe akzeptiere ich das Angebot, erwarte jedoch für das selbstlose Einlenken später die doppelte Portion Schmorbraten. Von dieser Idee getragen, erhebe ich mich gut gelaunt aus dem Kuschelnest und signalisiere mit aufgeregter Rute meine Bereitschaft, den Deal einzugehen.
»Na, mal schauen, ob er überhaupt Zeit hat.« Gabriele lächelt mir zu, während sie seine Nummer eingibt.
Auf der anderen Seite der Leitung meldet sich jemand mit: »Jep.«
»Hendrik, hab ich dich geweckt?«
Ich rücke dichter an Gabriele heran, um mitzuhören. Hendrik klingt verschlafen. Aber kein Problem: Soll er erst mal eine Tasse starken Kaffee trinken, und wenn wir später bei all der Frischluft im Cabrio durch die Gegend touren, wird er schon richtig munter werden.
»Ähm, hab bis eben gedöst«, nuschelt mein potenzieller Aufpasser. Er hört sich nicht gut an, Gabriele muss die Nummer mit der Vertretung wohl oder übel canceln. Der Stimme nach zu urteilen, hat ihr Sohn eine beachtliche Menge Restalkohol im Blut.
»Ist Leonie da?«
»Öh, ne. Ich glaube … Moment, warte, sie ist gerade auf der Toilette …« Hendrik redet im Flüsterton. »Ich glaube, sie heißt Svenja.«
»Svenja? Kenne ich nicht.«
»Na, ich auch erst seit gestern Abend. Ist ein bisschen älter als ich, aber ganz lustig. Sie hatte ziemlichen Liebeskummer und na ja …« Hendrik ist weit ehrlicher, als es für seine Mutter nötig wäre.
Gabriele sieht mich an und schüttelt den Kopf. Ganz eindeutig: Ihr Sohn ist für heute keine Lösung. Da sind wir beide einer Meinung.
»Nun, da will ich nicht länger stören. Ich melde mich später. Bis dann«, beendet sie das Gespräch und legt auf.
Na gut, denke ich mir. Wir haben es versucht, aber da ist leider kein Ersatz in Sicht. Demzufolge muss Gabriele wohl die Geschichte mit dem Garten der Sinne abblasen. Doch meine Aufpasserin ist da anderer Ansicht. Statt das Telefon zur Absage zu nutzen, verfügt sie: »Ach, weißt du was? Ich rufe einfach mal den Wolfgang an. Er hat heute frei und wollte am Mittag sowieso zu uns kommen. Ist doch prima! Vielleicht kann er einspringen.«
Äh ne, der Wolfgang, schießt es mir durch den Kopf. Dass Gabriele unbelehrbar ist und ihrem Exmann eine zweite Chance gibt, ist für mich nicht zu verstehen. Wo die Liebe hinfällt, kann man da nur sagen. Oder vielleicht eher: Liebe macht blind. Im Falle von Gabriele so blind wie ein Maulwurf.
Was das angeht, muss jeder selbst entscheiden. Da bin ich tolerant, solange mir dieser überkorrekte Hilfssheriff, der Hanne und Siggi immerzu predigt, mich mit einem der furchtbar engen Halsbänder an die Kette zu legen, von der Pelle bleibt. Mich dem zu überlassen, grenzt an Fahrlässigkeit.
Tag und Nacht prahlt er, wie wahnsinnig toll ihre Polizeihundestaffel im Saarland sei und was da für pfiffige Strebertypen dabei wären. Durch die Blume will er Siggi und Hanne damit natürlich etwas anderes sagen: Das sind alles keine verwöhnten Vierbeiner wie euer Günther. Wenn der selbstgefällige Freund und Helfer so daherredet, hört er sich an wie diese Opas, die stundenlang vom Krieg erzählen. Dass heute bei einem Hund andere Werte zählen, checkt er nicht.
Auf die Nummer mit Oberschlauberger Forsberg, dem Spaßkiller schlechthin, hat mich niemand vorbereitet und den Wolfgang wiederum auch nicht. Gabriele überfährt ihn am Telefon einfach mit ihrer Frage. Als sich Herr Neunmalklug von der Idee ebenfalls nicht sehr begeistert zeigt, sagt sie sofort: »Früher wolltest du immer einen Hund.«
»Ja, einen Hund, aber Günther …« Er bringt den Satz nicht zu Ende. Einzig und allein, weil er es sich nicht mit Gabriele verscherzen möchte. Statt hart zu bleiben und mir den Nachmittag zu retten, lässt er sich erweichen: »Nun gut, wenn du Hilfe brauchst, springe ich natürlich ein!«, balzt er durchs Telefon. »Für dich, mein Schatz, mache ich alles. Sogar auf den verzogenen Fiffi aufpassen.«
Verzogenen Fiffi! Ich vergrabe mich in meine Kuschelhöhle, und ich schwöre, bis 18 Uhr – denn dann ist Feierabend an der Kasse der Gartenanlage – nicht herauszukommen. Das gehörte nicht mit zur Abmachung. Mir hat vorab niemand mitgeteilt, dass Herr Oberlehrer Dauergast in meinem Feriendomizil sein wird.
»Hast du gehört? Der Wolfgang kommt. Das wird ein Spaß«, droht mir Gabriele in bester Laune an, nachdem sie aufgelegt hat. »Ich mache schnell noch den Schmorbraten fertig, und dann habt ihr zwei das Haus für euch alleine.«
Beim Wort Schmorbraten hebe ich kurz den Kopf. Immerhin gibt es noch den Braten zum Trost, sage ich mir. Immerhin!
Es dauert keine Viertelstunde, da ist der Gute-Laune-Killer vor Ort und setzt sich prompt an die gedeckte Tafel.
»Oh, schau an. Da habe ich ja richtig Glück gehabt, als Hundedompteur engagiert worden zu sein.« Mit lüsternen Augen fixiert er den Schmorbraten auf dem Tisch, genau wie ich. Die Rotweinsoße kitzelt in meiner Nase. Gabriele hat das kulinarische Kunstwerk mit ganzen gedünsteten Möhren und Kohlrabi-Stiften drapiert, über die sie einen Klecks zerlassene Butter gegeben hat. Was für ein Anblick – was das angeht, sind Wolfgang und ich uns zu 100 Prozent einig.
»Die Möhrchen mit etwas Grün sehen toll aus«, stellt er fest und Gabriele lächelt. »Und erst die Spätzle«, schleimt er sich weiter ein. »Sag nur, das sind …«
»Kastanienspätzle!«, vollendet meine Gabriele seinen Satz und gibt dem Superkommissar dazu auch noch einen Kuss auf die Wange. Bäh! Ich schaue lieber weg und sinne über die Aufteilung nach: Gemüse und Spätzle für den Herrn, der Braten für mich, entscheide ich großzügig und mache mit einem Wimmern auf mich aufmerksam – anders geht es heute anscheinend nicht.
»Gibst du Günther bitte auch gleich ein Stück? Sein Napf steht in der Küche.«
»Du willst dem Hund doch nicht etwa vom Tisch geben?«, brummt Wolfgang.
»Hanne meinte, das wäre kein …«
»Dass die beiden den Hund restlos verziehen, ist mir klar«, wirft der Besserwisser ein.
Da ist er eingeladen in unserem Haus und lässt die Gastgeberin nicht mal ausreden, denke ich empört. Gabriele schluckt ebenfalls und springt heldenhaft für mich in die Bresche. Die Gutherzige. »Die eine Woche kann doch wohl kaum schaden«, hält sie dagegen. »Güntherlein soll sich schließlich wohl bei uns fühlen.«
»Güntherlein«, murmelt Wolfgang in einem Tonfall, der Bände spricht. Mir wird ganz komisch und ich lasse die Ohren hängen.
Ein weiteres Mal versucht Gabriele zu vermitteln. »Ach, Wolfgang. Gibt dir einen Ruck, unser Güntherlein ist so ein süßer Kerl. Machst du das bitte? Versprochen?« Sie sieht Wolfgang mit großen Augen an und dem Blick kann niemand widerstehen – schon gar nicht der Hilfssheriff vor uns.
»Hm, also gut«, lenkt er ein und sein Mund verzieht sich zu einem Grinsen. Es ist ein eiskaltes, frostiges Lächeln, das mir Angst macht.
Gabriele offensichtlich nicht. »Super, du bist ein Riesenschatz«, lobt die Gutgläubige den Widerling, der sie noch zur Tür begleitet. Dort folgt wieder Knutscherei, und schon fällt die Tür ins Schloss. Ich schlucke. Jetzt bin ich mit dem Bluthund allein.
»So,