Marion Demme-Zech

Mörderisches aus dem Saarland


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denke ich. Jeder noch so kleine Muskel meines Körpers ist angespannt. Wir dürfen beide keine falsche Bewegung machen, das ist uns auch ohne Worte klar. Wolfgang nimmt mich in seine mächtigen Hände, hebt mich hoch, langsam und sehr vorsichtig, wie ein neugeborenes Baby. Ich zittere. Ruhig Blut, spreche ich mir selbst Mut zu. Einfach gelassen bleiben, der Mann vor mir ist ein Profi, er weiß genau, was er tut. Wolfgangs Nervenkostüm ist auf solche Umstände geeicht und Situation wie diese erlebt er tagtäglich.

      »So was habe ich noch nie gemacht«, sagt Wolfgang in der nächsten Sekunde. »Aber keine Bange. Das kriegen wir hin, Günther. Wir werden hier heil rauskommen, wir beide, das verspreche ich dir. Und zu Hause gibt es ein Riesenstück Schmorbraten.«

      Das hört sich ausgezeichnet an. Auf dieses Bild konzentriere ich mich: Wir drei, einträchtig in Gabrieles Wohnzimmer, und auf dem schönen Keramikteller mit den blauen Blumen ein großes Stück Braten. Der Gedanke trägt mich durch die heikle Situation. Wolfgang hält mich fest in seinen Händen, als wären sie aus Marmor gemeißelt. Zielstrebig und konzentriert steuert er auf die Ausgangstür zu und lehnt sich vorsichtig dagegen.

      »Alter Schwede, die klemmt«, wettert er. Ohne freie Hand versucht er es mit dem Gewicht seines Körpers. Bloß keine Erschütterung, das denken wir wohl beide, aber es braucht andererseits auch ein wenig Druck, damit die schwergängige Eingangstür sich endlich bewegt.

      »Achtung!« Die Stimme kommt von draußen. Jemand öffnet die Tür. Wolfgang macht überrascht einen Schritt zur Seite.

      »Bist du von allen guten Geistern …?«, braust er auf, als er Gabriele sieht. Statt den anderen zu folgen, ist sie zurückgekehrt.

      »Jetzt kommt schon.«

      Wolfgang schüttelt den Kopf. »Bring du dich zuerst in Sicherheit.«

      »Ich bleibe bei euch«, entgegnet Gabriele. Man hört, wie ernst ihr das ist.

      Statt weiter zu diskutieren, nimmt Wolfgang bedächtig die Türschwelle. Auch wenn wir wohl alle am liebsten rennen würden, bleibt er ruhig und besonnen. In Wolfgangs festen Armen zu liegen, fühlt sich an wie schweben, ich mache das Einzige, was ich in dieser Situation tun kann: Den Kiefer so entschieden zusammenpressen, als hinge mein Leben davon ab – und letztlich ist das auch der Fall.

      Nun geht es über den kleinen Kiesweg hinauf in Richtung Parkplatz, der mittlerweile eher einem Versammlungsplatz ähnelt. Wir sehen die Menge an Polizisten und Neugierigen, die sich hinter dem Absperrband versammelt haben. Alle Blicke richten sich auf uns. Manche halten ihre Handys in die Höhe, um die Szene für die Nachwelt festzuhalten.

      »Gleich ist es geschafft!«, verspricht mir Wolfgang. Er riecht nach Schweiß. Es dauert gefühlte Stunden, bis wir endlich die Absperrung und damit die sichere Linie erreichen.

      »Absetzen«, fordert einer der Männer in dunkler Montur, mit Helm, Schutzanzug und allem Drum und Dran. Mittlerweile ist also das SEK eingetroffen. Das ist gut, sage ich mir. Der Knabe, der anscheinend das Kommando über die Truppe hat, weist auf eine Stelle am Boden, wo eine Decke ausgebreitet ist.

      »Genau hier. Und seien sie vorsichtig!«

      Wolfgang setzt mich wie befohlen behutsam ab, in seinen Augen sehe ich Erleichterung. Bald ist alles in trockenen Tüchern, beruhige ich mich.

      »Alle zurücktreten. Ich brauche Platz und völlige Ruhe«, fordert der Kommandierende daraufhin. »Los! Vorher werde ich den Zünder nicht aus diesem Tier entfernen.«

      Diesem Tier? Was denkt der sich, empöre ich mich. Aber ich bleibe gefasst. Wir sind so weit gekommen, den unmöglichen Kerl werde ich schon noch ertragen, auch wenn mittlerweile die Kraft im Kiefer nachlässt und meine Lippen gefährlich zittern.

      Es raunt in den Zuschauerreihen, als der Mann mit dem Oberkommando sein Visier herunterschiebt und nach dem Auslöser in meiner Schnauze greift. Er zählt laut von drei herunter: »Drei, zwei …«

      Ich kneife die Augen zusammen. Der Gedanke, das könnte nicht nur ein Auslöser, sondern die Bombe selbst sein, drängt sich mir auf und macht das Stillhalten nicht leichter.

      Der Mann vor mir ist endlich so weit.

      »Eins!«, brüllt der Befehlshabende und ich spüre eine Millisekunde später, dass sich der viereckige Kasten aus meinem Mund schiebt. Der schwarze Knopf wird ab jetzt von der Hand des Kommandierenden gehalten und es scheint, als würde die Welt den Atem anhalten. Alles verharrt, während wie in Zeitlupe ein in einen hellbraunen Schutzanzug gehüllter Mann auf uns zukommt. Er trägt einen Helm mit riesigem Visier, fast könnte man meinen, es handle sich um einen Astronauten. Quälend langsam schiebt er eine Schraubklemme über den Fernzünder und dreht die Stellschraube fest. Hoffentlich weiß der Knabe, was er macht.

      »Das müsste halten«, verkündet er schließlich.

      »Hm«, stellt der Oberkommandant fest und begutachtet den Fernzünder von Nahem.

      Einige seiner Kollegen, ebenso in voller Montur, in Schutzwesten und mit Sturmgewehren ausgerüstet, treten neben ihn und nehmen das Gerät ebenfalls in Augenschein.

      »Komisches Teil. Nie gesehen«, sagt einer der SEKler und ein anderer: »Das muss was ganz Aktuelles sein. Vom Online-Schwarzmarkt, garantiert. Die Betreiber lassen sich ja ständig was Neues einfallen.«

      »Ähm, ich will jetzt nichts Falsches behaupten, Herr Dannhäuser«, mischt sich ein dritter Beamter in das Gespräch ein. »Aber so einen Drücker habe ich auch. Der liegt in meinem Auto, um das Garagentor zu aktivieren.«

      »Hä? Ein Garagenöffner? Nie im Leben!« Der Boss dreht das schwarze Rechteck in seinen Händen.

      »Aber da steht es doch«, beharrt der Kollege auf seiner Vermutung und weist auf den silbernen Aufkleber auf der Rückseite des Kastens. »›Bummler – Technik, die Türen öffnet‹«, liest er laut vor.

      Dannhäuser verzieht den Mund. Dem Augenschein nach weiß er selbst nicht so recht, was er von all dem halten soll: »Ob man damit eine Bombe …?«

      Die Kollegen zucken die Schultern.

      »Gehen wir auf Nummer sicher und stürmen das Gebäude. Wir müssen mit allem rechnen«, entscheidet der Chef. Das ganze Team sammelt sich hinter ihm. Eine Horde von etwa zwölf schwerbewaffneten Vermummten rückt vor auf dem Weg, den Wolfgang, Gabriele und ich gerade bewältigt haben. Wir anderen verharren gefesselt auf der sicheren Seite des Absperrbandes. Der Polizist vom Beginn nimmt das Funkgerät wieder zur Hand, so bekommen wir hautnah mit, was drinnen geschieht.

      »Vorraum gesichert«, knistert es aus dem schwarzen Kasten. »Drei Mann nehmen sich die Küche vor. Zwei folgen mir in die Damentoilette, der Rest geht zu den Herren.«

      Wieder ist es die Stimme von dem Chef in Schwarz, diesem Dannhäuser, der mir den Garagenöffner aus dem Mund genommen hat.

      »Die Küche ist gesichert!«, ruft im Hintergrund jemand.

      »Herrentoilette ebenfalls negativ!«, meldet der zweite Trupp zurück.

      Draußen atmet man bereits auf. Das alles spricht dafür, dass es gar keine Bombe gibt. Ein Täuschungsmanöver mit einem Garagenöffner – hier im Saarland ist das womöglich das Kriminellste, was man erwarten kann.

      Aber dann hört man Türen knallen und einen Aufschrei. »Gottverflucht. Leute, hier ist was! Auf dem Klo.«

      »Alle sofort zurück. Da steht ein Schuhkarton auf der Toilettenschüssel. Niemand öffnet das Ding!«, erklingt eine andere Stimme. So, wie es sich anhört, wieder die vom Häuptling.

      Ein paar Sekunden lang ist nur schweres Atmen zu vernehmen und urplötzlich ein bestürztes: »Mannomann, was ist das denn?« Nach einer kurzen Pause dann die Frage: »Fiedler, ist Hans-Peter vom Entschärfungskommando schon vor Ort?« Noch mal ist es Dannhäuser, der Chef der SEKler.

      »Ja, und der Dieter, der ist auch hier.« Nun wird der Polizist neben uns aktiv und winkt einen ebenfalls dunkel gekleideten Kollegen, der sich mit einer Fernsteuerung um den Hals gegen einen dunklen Van lehnt, zu sich. Der Mann nickt und kommt näher,