Marion Demme-Zech

Mörderisches aus dem Saarland


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unsere graue Anneliesel.« Dabei weist Doro mit einem unschuldigen Lächeln zu Anneliese, die im Gang wartet, und als sie den Blick des Busfahrers auf sich spürt, beschämt zu Boden schaut. Gern würde sie etwas entgegnen, doch Schlagfertigkeit war und ist nicht ihre Stärke.

      Ihre alte Klassenkameradin hingegen ist selten sprachlos. »Und außerdem braucht eine Dame wie ich einen geeigneten Begleiter – einen besseren wie Sie kann man sich doch kaum vorstellen.«

      »Doro«, erklingt eine helle Stimme von hinten. Lotte versucht, sich aufzurichten. Möglicherweise ist es doch ein Gläschen Sekt zu viel für den Kreislauf gewesen.

      Der Busfahrer macht den Eindruck, als überfordere ihn die Situation. »Nun, ich weiß nicht«, murmelt er undeutlich und richtet sein graues Haar am Hinterkopf mit der Hand.

      Solche Momente hat Doro schon immer bestens zu nutzen gewusst. »Dann weiß ich es eben für Sie! Oder wollen Sie mir etwa einen Korb geben?« Demonstrativ hält Dorothea Herrn Nussbaum den Arm zum Einhaken entgegen.

      Jetzt wandern wieder alle Blicke von Doro zum Busfahrer. Das Kichern und Lachen, das vor ein paar Sekunden noch den Bus durchströmt hat, ist verebbt. Die gebündelte Aufmerksamkeit liegt auf dem Busfahrer, der sich umdrängt von derart vielen Frauen erkennbar unbehaglich fühlt. Bitte, bitte, bitte, gib ihr einen Korb, fleht Anneliese in Gedanken. Nur dieses eine Mal! Dorothea hat eine Abfuhr hier vor aller Augen mehr als jede andere auf der Welt verdient. Aufs Neue hat sie sich auf dreiste Weise in ihrer selbstverliebten Art in den Mittelpunkt gedrängt – und wie schon so oft auf Annelieses Kosten. Das Leben muss doch einmal Gerechtigkeit beweisen! Aber bedauerlicherweise zeigt es sich auch diesmal nicht gnädig.

      »Na gut, okay«, stammelt Edmund Nussbaum und zuckt mit den Schultern. Kleinlaut zieht er den Schlüssel aus dem Lenkradschloss und reicht Doro seinen Arm.

      Ihre Dreistigkeit siegt erneut. Wie eine Adelige mit ihrer Gefolgschaft schreitet sie selbstgefällig vor der Gruppe her und genießt die Aufmerksamkeit, die ihr in diesen Sekunden zuteilwird, während Anneliese zerknirscht vor dem Bus auf Ursel wartet.

      Die Miene ihrer Freundin drückt unmissverständlich aus, was sie von der Show gerade hält. »Oh leck, was für’n Ballawer!« Ursel hakt sich bei ihr unter. »Von der Wedderhex lassen wir uns doch nicht die Stimmung verderben«, fordert sie und schaut auf den Gegenstand in Annelieses Hand. »Willst du den Schirm wirklich mitnehmen? Bestes Wetter haben sie heute Morgen im Radio gemeldet und außerdem sind wir doch sowieso in der Höhle.«

      »Man weiß nie!«, entgegnet Anneliese, die nur höchst selten das Risiko eingeht, das Haus ohne Schirm zu verlassen. »Ich bezahle doch nicht für meine teure Wasserwelle und stelle mich dann einen Tag später in den Regen.«

      »Regen bei dem Sonnenschein, das ist wohl mehr als unwahrscheinlich.« Ursel späht ungläubig zum Himmel, an dem nicht eine einzige Wolke zu sehen ist. »Aber wenn du unbedingt willst, nimm den Schirm mit. Ich muss ihn schließlich nicht mit mir herumschleppen.«

      Genau wie früher zu Grundschulzeiten, denkt Anneliese. Nie hat Ursel einen Schirm in ihren Ranzen gepackt. Sie hat sich immer darauf verlassen, dass Anneliese für jeden noch so unerwarteten Regenfall gewappnet ist und ist im Fall der Fälle unter ihren Schirm dazugehuscht.

      Die Gruppe sammelt sich vor dem Eingang der Höhle und wartet auf den Führer. Dorothea steht dicht neben dem nicht glücklich wirkenden Busfahrer, immer noch bei ihm eingehakt.

      »Sekündchen«, sagt Herr Nussbaum, als sich Anneliese und Ursel als Letzte zur Gruppe dazugesellen, und macht Anstalten, sich aus Doros festem Griff zu winden. »Bin gleich wieder da«, erklärt er.

      Doro zieht eine Schnute. Insbesondere, als sie sieht, dass sich der Befreite geradewegs auf die beiden Nachzügler zubewegt.

      Ups, denkt Anneliese. Er will doch sicher nicht zu uns.

      Aber genau das will er. Tatsächlich kommt er direkt auf sie und Ursel zu. Schnell versteckt Anneliese den Schirm hinter ihrem Rücken. Einen winzigen Spleen, das muss sie zugeben, hat sie schon. Doch davon soll Herr Nussbaum besser mal nichts mitbekommen.

      »Ich dachte eben, als du … also, ich meine, als Sie eingestiegen sind, dass wir uns irgendwoher kennen«, sagt er zu Anneliese und blickt sie forschend an.

      Sie zuckt mit den Schultern. Nicht dass sie wüsste.

      »Bist du nicht die Frau vom Stutzer Hans aus Wiebels­kirchen?«

      »Ja«, antwortet Anneliese überrascht und fügt hinzu: »Also, ich war es.«

      »Oh nein, das tut mir leid«, entschuldigt sich Edmund sofort. »Das wusste ich nicht, dass der Hans …« Der Busfahrer sieht betroffen aus. »Das ist traurig. Er war damals in meiner Klasse. In der Grundschule.«

      »Das ist ja ein Zufall«, mischt sich eine helle Stimme in das Gespräch ein. Doro hat sich wie selbstverständlich dazugesellt. »So was, weißt du, Edmund, Anneliesel und ich kennen uns auch schon seit der Grundschule.«

      Anneliese verzieht den Mund. Sie befürchtet, dass es gleich eine Wiederholung von dem geben würde, was ihr Doro damals tagtäglich angetan hat.

      Und ja, in der Tat bringt die alte Klassenkameradin das Fass, das sowieso schon randvoll ist, mit ihren nun folgenden unverschämten Lügen zum Überlaufen. »Beste Freundinnen, seit vielen Jahren. Irgendwer musste dem Mädchen schließlich auf die Sprünge helfen, sonst wäre da nie etwas draus geworden. Wenn ich es damals nicht eingefädelt hätte, das mit dem Hans und der Hochzeit, wer weiß, dann wäre unser Mauerblümchen ihr Leben lang allein geblieben.«

      In Annelieses Ohren rauscht es, sie ist kurz davor, an die Decke zu gehen. Aber eben nur kurz davor, denn genau genommen steht sie einfach nur da. Ohne ein Wort der Gegenwehr. Sie kann nicht fassen, was Dorothea da von sich gibt. Alles eine einzige Lüge. An dem Abend, als sie Hans auf dem Erntedankball kennengelernt hat, mit gerade einmal 19, hat Doro keine Gelegenheit ausgelassen, sich an ihn heranzuwerfen. Sogar einen Schwächeanfall täuschte die Schlange vor, als gar nichts mehr zu helfen schien. Zum Glück ließ sich Hans von all dem Getue nicht beeindrucken. Er brachte Anneliese an diesem Abend nach Hause. So wie er es an jedem Abend, der daraufhin folgte, gemacht hat, bis sie schließlich miteinander verheiratet waren.

      »… die Anneliesel war immer schon ein bisschen wunderlich. Sag nur, du hast wieder deinen Schirm dabei?«, trötet Doro in dem Moment, als ein großer, sportlich wirkender Mann mit gelbem Helm und grauer Arbeitsjacke durch die Eingangstür des flachen Gebäudes auf sie zukommt und das miese Schauspiel unterbricht.

      »Guten Morgen, ich bin Herr Lohfeld und werde die nächste Stunde mit Ihnen in meiner Höhle verbringen«, scherzt dieser und die Damengruppe kichert. Der Ausdruck in Edmunds Gesicht zeugt davon, wie erleichtert er ist, dass in diesen Sekunden ein zweiter Mann die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Insbesondere die von Doro, denn Herr Lohfeld, schätzungsweise Anfang 70, leicht sonnengebräunt, mit angegrautem, gut getrimmtem Vollbart und nicht unattraktiv, trägt keinen Ring an seiner Hand. Der tut mir jetzt schon leid, denkt Anneliese, und tatsächlich dauert es nicht lange, bis Doro die Chance ergreift.

      »Einen Mann mit eigener Höhle wollte ich immer schon mal kennenlernen«, tönt es aus ihrem Mund. Kurz danach folgt Lottes »Doro!«, was ihre Freundin noch nie bremsen konnte.

      Dorothea ist mit ein wenig Vordrängeln die Erste an der Kasse, an der die Helme ausgeteilt werden. »Finden Sie, der steht mir?«, fragt sie Herrn Lohfeld, während sie das gelbe Ding über ihre Locken zwängt.

      Der Führer zuckt mit den Schultern. »Wie Sie damit ausschauen, ist mir ehrlich gesagt recht schnuppe. Hauptsache, Sie sind geschützt. Was allerdings Ihr Schuhwerk angeht, da bin ich mir nicht so sicher, ob das die richtige Wahl ist.«

      »Ach was«, zeigt sich Dorothea uneinsichtig. »Ich bin wie die jungen Models. Ohne Absätze kann ich gar nicht richtig gehen.«

      Herr Lohfeld schnauft genervt. »Wie Sie meinen. Ich habe Sie gewarnt.«

      »Aber charmant finde ich schon, dass Sie so besorgt um mein Wohl sind«, trötet Dorothea und richtet dabei mit den Händen die Locken, die unter dem Helm