Frank Schulz-Nieswandt

Kommunale Pflegepolitik


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Passagen zwischen Meta- und Objekttheorie. Damit werden einerseits Ebenen der Erkenntnis- und der Wissenschaftstheorie betreten, wie auch andererseits die erfahrungswissenschaftliche Ebene einer Phänomenologie des Alltags als Lebenswelt wiederum am Wahrheitsverständnis ontologischer »Vermessungen« der Welt skaliert. Daher kommt es zu starken Sprungvolatilitäten zwischen den Abstraktionsebenen. Die Verzweigungen, Verästelungen, Aufstiege, Abstiege, Seitenwege erfordern im Zuge der Verdichtung der Argumentationsstränge, der Analysedimensionen, der Diskussionsaspekte, der Sichtweisen als Zugangspfade und als interpretative Wahrnehmungsfilter usw. Wiederholungen, wiederholtes Aufgreifen, Neuspiegelungen, alternierende Zugangsweisen: kurz: »produktive Redundanzen«, quasi wie der Refrain des Chores, durchaus mit den edukativen Absichten, die dem Chor (als figürliches Über-Ich der Polis) im antiken griechischen Theater zukam.8 Bei all der »Rhizomatik«, von der bereits im Vorwort die Rede war, bedarf es der wiederholten Rückkehr zum Sinnkern der Erzählung. Die Ausdehnungsdynamik der Gedanken benötigt in der Raumorganisation des Gesamttextes eine Krümmung, die die Ausdehnung wieder zur Kreisbewegung transformiert, die also wieder zum Mittelpunkt zurückkehrt.

      Zum Ende steigt die Spannung nochmals als Abschlussklang an: Kapitel 5 (image Kap. 5) fokussiert auf den Entscheidungsbedarf, auf die anstehende Weichenstellung der Gegenwart im Übergang zu ihrer Zukunft. Ein Schlüsselwort einer Poesie der Zukunft ist »Gemeinwirtschaft«. Als moralische Ökonomik bringt sie eine neue personale Kultur der Daseinsführung der »Miteinanderverantwortung« zum Ausdruck. Die gemeinwirtschaftliche Wende wird zur »kerygmatischen« Schlüsselfrage einer »soteriologischen Soziologie« der Zukunft. Damit nimmt Ökonomik die Rolle an, dem gelingenden Dasein zu dienen, also das ethische Programm der »eschatologischen« Metaphysik des Werdens der Wahrheit, die noch nicht ist, zu verinnerlichen und sodann zu leben. Die Lektüre – so schlecht der Text auch komponiert sein mag – mag eine (die Tür9 öffnende) Brücke bilden zu einem Tagtraum einer Vision.

      Aufgaben und Ziele von Kapitel 1

      Dieses erste Kapitel ist unterteilt in eine Einleitung und in eine Grundlegung. Verschiedene Aufgaben müssen aufgegriffen werden. Dabei geht es in der Einleitung um die Idee der Kritischen Wissenschaft als Poetik des Alltags des Menschen. Die Einleitung hat daher eher metatheoretischen Charakter und skizziert die Logik der interdisziplinären Forschung, die der vorliegenden Abhandlung zugrunde liegt. Die Grundlegung, nicht frei von solchen forschungslogischen Erörterungen, skizziert die Problematik eher objekttheoretisch und thematisch: Um welche Forschungsfragestellung geht es? Was ist das zentrale Thema der Fragestellung der Analyse? Der Gegenstand des Diskurses der Kommunalisierung der Pflegepolitik steht im Zentrum. Dennoch wird die Problematik der Pflegepolitik im engeren Sinne zunächst de-zentriert und als produktive Umwegstrategie die Kommunalisierung in einem breiten Zugang aus der Perspektive der anthropologisch fundierten Philosophie der Person, der Philosophie der Rechtsregime und letztendlich der Vision1 der Entfaltung der Kommune im Lichte des genossenschaftlichen Formprinzips betrachtet. Diese multiperspektivischen Lichtungen der Zugänge zum Thema sind erforderlich, weil in der Einleitung bereits Wert auf die Betonung des kritischen Charakters der Wissenschaft gelegt worden ist. Der deduktive innere, kohärente Zusammenhang zwischen Metaphysik der Person und Verrechtlichung, die Skalierung der empirischen sozialen Wirklichkeit aus den Positionen Kritischer Theorie heraus und die Schlussfolgerungen mit Blick auf die Verantwortung der Gesellschaft und ihrer Politik müssen erkannt werden. Das wäre das Ziel von Kapitel 1.

      Das Phänomen der Vision diskutieren wir nicht aus psychoanalytischer Perspektive. Es geht uns eher um eine sozialwissenschaftliche Prognose2, wie die Gesellschaft in naher Zukunft aussehen könnte, das Risiko des Irrens einkalkulierend3.

      Hier verwenden wir die Metapher des Berges als Figuration von Bergen zum Gebirge. Als massives Gebirge trennt diese Formation Täler davor und dahinter. Wir nutzen diese Bildsprache hier als lange Geschichte der Anhäufung von Wissen, also als Formation kulturellen Gedächtnisses. Dann passt einerseits die Imagination dazu, »da oben« hätte man sodann den Weitblick, andererseits müsse man die Höhen dünner Luft überhaupt erst einmal besteigen. Mag auch sein, dass da oben nur noch die Geier – die einsam in der Höhe kreisen – wissen, was im Sinne rheinischer Umgangssprache des Ruhrgebietes »Ambach« ist. Keltisch mag der Begriff auf diese Figur des Boten (in der Antike war dies eine der Funktionen von Hermes4) zurückgehen, also auf eine Sozialfigur, die Mitteilungen (also der Erkenntnis und dem Wissen dienend) transportiert und den Menschen auf seiner Reise begleitet. Auch bei den Irrfahrten des Odysseus (in der Kirke-Episode5) spielte er eine Rolle. Ob man sogar einen Hermes braucht, um im Labyrinth6 der vorliegenden Abhandlung den Weg zu finden, wollen wir nicht hoffen.

      So oszillieren die Abhandlungen im Modus einer Stilmischung – der Gefahr, einem Eklektizismus-Vorwurf7 ausgesetzt zu werden – zwischen Wissenschaft und politischem Essay. Und die Abhandlung ist mit Blick auf die behandelten existenziellen Daseinsthematiken geprägt von einer Poetologie8 des Lebens als soziales Drama9, von dem man gattungstheoretisch weiß, dass es die Form der Tragödie wie auch der Komödie annehmen kann. Es wird also10 sowohl gelacht als auch geweint.

      Eine Frage ist auch, warum, nicht Mixed-Method-Designs meinend, Stilmischung eigentlich (in der monistischen Wissenschaftstheorie wie in der Kunsttheorie) ein Problem ist. Eklektizismus kann ja produktiv sein. In Vorlesungen und öffentlichen Vorträgen zur Sozialpolitik kann man sehr schön Bilder von George Grosz11 nutzen, die, ikonographisch und ikonologisch begriffen12, in ihrer Stilmischung als in Kunstwerke materialisierte hermeneutische Beiträge13 zur kritischen Zeitdiagnostik und Gesellschaftskritik14 (im Sinne des Verismus) verstehbar sind. Man denke z. B. an »Ohne Titel« von 1920. George Grosz wird vor allem mit der »Neuen Sachlichkeit« in Verbindung gebracht. Man kann auch eine Nähe zum »magischen Realismus« sehen. Sein Stil ist also komplexer als die Assoziation zur Nüchternheit vermuten lässt. Seine Bilder – analog könnte Otto Dix15 herangezogen werden – sind sozial- und gesellschaftskritische Gemälde und Zeichnungen, die vor allem in den 1920er Jahren durch drastische und provokative Darstellungen und durch politische Aussagen eine scharfe Zeitkritik zum Ausdruck bringen. Sein Werk trägt symbolistische, expressionistische, dadaistische und futuristische Züge. Ganz typische, konstitutive Sujets, ebenso wie in der Literatur16 der Neuen Sachlichkeit, sind die Großstadt, ihre Abgründigkeiten (etwas unsortiert aufgezählt: Mord, sexuelle Perversion, Gewalt, Elend, Verkrüppelung, Armut, Entfremdung) sowie die sozialen Klassengegensätze, die sich in diesen Feldern zeigen. In seinen Werken, oft zugespitzt im Modus von Karikaturen, verspottet er die herrschenden sozialen Kreise der maroden Weimarer Republik, greift tiefliegende soziale Gegensätze auf und kritisiert insbesondere die Dekadenz in und von Wirtschaft, Politik, Militär und Klerus.

      Krass dissonant und voller Kakophonie ist das Alltagsleben. Zarte Töne einer Poesie mögen dennoch mitunter im Leben anklingen, manchmal in einigen Passagen der Lyrik zuneigen. Das Leben ist eben eine Geschichte, deren Erzählung eine hohe Komplexität annimmt, wenn die Verstrickungen des Menschen im »Knotenpunkt seiner sozialen Beziehungen« ausgerollt werden, die individuelle Biographie im Horizont der zeitgeschichtlichen Zusammenhänge eingestellt wird und die Epoche im Gesamtgeschehen als Ereignis-Erfahrungs-Erlebnisgeschehen des konkreten Menschen dialektisch durchscheint und nah am Totalitätsverstehen ist.

      Trotz der theoretischen Fundierung der gesellschaftskritischen Analyse und der radikalen reformpolitischen Diskussion, versucht die vorliegende Abhandlung insofern Züge narrativer Wissenschaft anzunehmen, wie sie alle sozialen Probleme als für den Alltag der Menschen als dramatisch einstuft, die Herausforderungen existenzial zu begreifen und die Systeme der Sozialpolitik nicht so in das Zentrum der Analyse zu stellen versucht, als ginge es um diese Systeme als Thema für sich oder gar als Selbstzweck. Vielmehr und vor allem geht es um das Dasein des Menschen mit Blick auf die Chancen seines Gelingens angesichts der Gefahr des Scheiterns. Vor allem Studierenden an der Universität muss man erst den Blick dafür öffnen, dass die Wissenschaft von der praktischen Sozialpolitik