Kontext von Geschichte als vorgängiger Sinn – und somit auch Traditionszusammenhang – verstehbar sieht. Kritische Wissenschaft ist, epistemisch, letztendlich95: ontologisch gesehen, als Kunst des Verstehens eingebettet in ihre Landschaft, aus der heraus sie wirkt, wie einst die Musen96 des Altertums.
Der Berg97 ist eine polyvalente Metapher in der Deutung des Lebens. In der tiefenpsychologischen Forschung und in der psychotherapeutischen Praxis steht er als Entwicklungsherausforderung, an der das Selbst und die Selbstbehauptung – ganz in einem (hier sozial- und kulturwissenschaftlichen98) Sinne der Metamorphosen von Ovid99 – wachsen können.100 In der Managementdiskussion transformiert sich derartige Einsicht nicht selten zum maskulinen Wahn. Leistungsideologien schreiben sich hier ein, auch ein narzisstischer Omnipotenzwahn, dort wo aus dem Motto, der Glaube versetze Berge, der Wahn entsteht, männliche Helden können alles. Es ist mit dem Fundamentalaffekt der Erfahrung von Angst verbunden, die hier durchaus numinos sein kann. Als »absolute Metapher« im Sinne von Hans Blumenberg mag der Berg101 Inbegriff des »Absolutismus der Wirklichkeit«102 sein. Aus religionswissenschaftlicher Sicht geht es bei heiligen Bergen um den Berührungspunkt zum Göttlichen zwischen Himmel und Erde.
Grundlegung
Der Mensch muss sein Dasein führen. Die Geschichten, die der Alltag der Menschen hierzu erzählt, haben ihre eigene Poetik, also Drehbücher. Sie zu entschlüsseln ist Aufgabe der Wissenschaft, auch, um sodann Orientierungswissen (nicht sozio-technisches Herrschaftswissen) zu generieren. Insofern ist Wissenschaft eine narrative Poetik der Poetik des Alltags, selbst dann, wenn als Darstellungsstil der Wissenschaft in der empirischen Sozialforschung statistische Analysen genutzt werden. Diese Zahlen, wenn sie aufbereitet und verbalisiert werden (hierbei zwingend interpretiert, also zum Sprechen gebracht werden), erzählen eine (konstruktive Nach-)Geschichte über die Geschichten des Alltags. Aber was meinen wir: Der Alltag der Menschen erzählt Geschichten? Der »Alltag« ist ja kein Subjekt. Der Alltag sind Prozesse sozialer Interaktionen, also von kulturellen Drehbüchern (Rechtsregime, Moral von Gut und Böse, Gendercodes, Altersbilder etc.) choreographierte Geschehensordnungen von Figurationen (relationale Aufstellungsordnungen), deren rollenspielende Figuren103 auf dieser Bühne des Lebens den Film ablaufen lassen (bis hin zum Motto »the show must go on«104), dabei sich in ewiger (erzwungener) Geduld drehend um das Zusammenspiel von Form, Macht und Differenz105. Form: die Frage betreffend, ob ein Streben wirkliche Gestalt annehmen kann; Macht: erfahren als unvermeidbare Notwendigkeit, die jedoch eine Krankheit chronisch macht, nämlich, missbraucht zu werden; Differenz: die nicht-triviale Herausforderung, mit Vielfalt umzugehen, auch dann, wenn es gar nicht um soziale Ungleichheit geht, um Ausgrenzung und Diskriminierung, sondern um Verschiedenheit und Anderssein.
So ist in diesem Lichte die »Poetik der Exklusion«106, dabei wiederum »Poetiken der Alterität(en)«107 (Übergänge und Grenzziehungen, Identitäten und Zerbrechlichkeiten, Wegrichtungen108, Zwischenorte und -räume, Zwischenzeiten, Marginalisierungen, Überschneidungen, Wandlungen, Wunden109) praktizierend, zu rekonstruieren. Die Wissenschaft als interpretative Nacherzählung der Erzählungen (der Drehbücher) des Lebens soll aber im Lichte der anthropologisch fundierten Rechtsphilosophie unserer Rechtsregime die heilige Ordnung der personalen Würde im Modus der am Gemeinwesen partizipierenden (teilhabenden) freien Entfaltung (Selbstverwirklichung als selbstständige Selbstbestimmung) der Person zur Geltung bringen und das Drehbuch des Lebens im Lichte sozialer Gerechtigkeit (aus der Kraftquelle der Liebe als Sorge im Mitsein) umschreiben helfen: die eigene gelebte Kultur des Sozialen kritisch kommentieren, die »Ordnung der Dinge« in Frage stellen, das »Ausgegrenzte zur Aufführung bringen«110. Kritische Sozialwissenschaft ist damit als »Analytik der Macht« eine Exegese der Kultur des Sozialen, also »Selbstexegese« der sozialen Wirklichkeit, deren involvierter Teil die Wissenschaft ist.
Die Pflichtaufgabe (keine Kür) der Daseinsführung ist die Sorge111 des Menschen, die ihn zwischen Geburt und Tod im Lebenszyklus begleitet. Arbeit112 ist jene Aneignung der Natur (zu der der Mensch – als homo laborans – selbst gehört), durch die hindurch sich der Mensch als Mensch entwickelt. Deshalb ist der Mythos des Prometheus113 der Archetypus dieser (nicht und nie endenden114) Daseinsproblematik. Und dabei kann der aufstrebende Mensch tief in das ikarische Meer fallen. Ikario pelagos bezeichnet ein Gebiet in der östlichen Ägäis der Gewässer südlich von Chios bis nördlich von Kos mit den Inseln Ikaria, Samos und Patmos. Das Meer wird benannt nach dem, der dem Mythos nach dort ins Meer gefallen ist.115
Oberfläche und Tiefe116 von mythischen Bildern
Wenn man Sozialpolitik tief verstehen will, muss man den Mythos verstehen. Denn dieser thematisierte117 von Beginn an Fragen des Gegenstandes der Sozialpolitik: das menschliche Drama, die Nöte und Sorgen, die Ängste. Das erkennt man, bezieht man sich etwa auf die griechische Töpferkunst118, nicht angemessen, wenn die Themenanalyse deskriptiv bleibt119. Man wird die Themen in der Formanalyse symbolisch120 tiefer verstehen müssen.
Das Leben ist eine abenteuerliche Reise (wie die Odyssee oder die Argonautica), an der der Mensch scheitern kann und daher dieses Wagnis mit Mut und Liebe als Offenheit zur Welt annehmen muss. Diese Daseinsführung als Entwicklungsaufgabe wirft die Suche und Frage nach den Sinnzusammenhängen auf, in die sich der Mensch orientierend einstellt121. Wer bin ich? Wo stehe ich? Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Wo soll ich hin? In dieser Geburtsstunde des Philosophierens entspringt aus dem Mythos122 die Idee der Polis, die Idee der Daseinsführung im sozialen Miteinander123, so dass sich Ordnung der Freiheit gibt: das Gute, das Wahre, das Schöne. Wie will der Mensch leben und, damit umfassend, wohnen und arbeiten?
Ist die personale Lage einerseits eingebettet in das Landschaftsgefüge verschiedener, einerseits differenzierter, andererseits interdependenter Subsysteme (Wirtschaft, Politik, Kultur, Person) der Gesamtgesellschaft, so ist umgekehrt die Lebenswelt der Person eine »Keimzelle« systemfunktionaler Kapitalien (Humankapital, Vertrauenskapital, Sozialkapital, Kulturkapital) in Bezug auf die Logiken von Tausch, Herrschaft, Gabe und Engagement.
Das nachfolgende Schaubild (
Im Mittelpunkt steht der Begriff der privaten »Keimzelle«. Damit ist, ohne normativ an die ältere konservative Familiensoziologie124 anzuknüpfen, schlicht der Alltag und die alltäglichen Lebenswelten als Quelle der Geschichten des Lebens als soziales Drama angesprochen. Der örtliche Raum des Daseins, wo gewohnt wird, von wo aus die Mobilität in die Region (Kontext des Arbeitens) stattfindet, wo konsumiert und freie Zeit verbracht wird, im Raum der Nahversorgung, ist Ausgangsunkt und Endpunkt der Betrachtungen.
Abb. 1: Der Mensch in der Mitte des Gesamtgeschehens, eigene Darstellung
Im Schaubild (
Die Kirche steht im Hiatus zwischen Abgesang einerseits und (z. B.