aber will nicht nur hören, er will selbst sehen und berühren, ganz in der Linie, wie er auch sonst nachfragt und hinterfragt, „ein tastender Zweifler und ein bisschen wie ein Nachsitzer“1. Gut, dass es sie gibt, diese Leute wie Thomas, die sich nicht zu schnell zufrieden geben mit den Beteuerungen, ja vielleicht nur Behauptungen anderer, sondern die Glaubwürdigkeit der Zeugen auch noch einmal überprüfen. Wie sehr brauchen wir diesen Nachsitzer, diesen Skeptiker auch in unseren derzeitigen Krisen, die uns herausfordern, nicht zu schnell den Namen Gottes auf den Lippen zu führen, sondern die Fragen, das Suchen, die Zweifel der Menschen zuzulassen und sich ihnen wirklich zu stellen.
Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder drinnen versammelt und Thomas war dabei. Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.
„Thomas, streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite.“ Tausendfach ist diese innige Begegnung von Jesus und Thomas, diese berührende Beziehung in der Kunst dargestellt. Der gleiche Vorgang wie acht Tage vorher. Jesus kommt noch einmal. – „Noch einmal“ ist ein sehr österliches Wort. Jesus kommt immer noch einmal, weil die Apostel und wir alle so schwer begreifen.
Jetzt kommt er sozusagen extra für Thomas, den Nachsitzer. Und er lässt die Berührung zu, er lässt die Suche nach dem ‚Be-greifen‘ zu, er lässt sich berühren und anfassen, da er weiß, wie sehr die Menschen auf die Wahrnehmung mit allen Sinnen angewiesen sind. Wie sehr vermissen wir alle zur Zeit dieses spürbare Tasten, Berühren, Anfassen und Umarmen?!
Freilich bleibt er nicht dabei, denn Glaube ist mehr als Begreifen und Anfassen. Glaube ist mehr als Berühren mit den Händen. Er ist Berühren mit dem Herzen. Glaube ist mehr als Sehen mit den Augen des Leibes. Er ist Sehen mit den Augen des Herzens: eben Wahrnehmen in der Tiefe des Begriffes.
„Sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Selig die nicht sehen und doch glauben.“ Was das bedeutet, lehrt uns diese Krisenzeit ganz besonders, in der uns das Berühren und Anfassen weithin genommen ist und in der das Vertrauen, die geistige und geistliche Dimension der Beziehung so not-wendig ist: ganz konkret in dem Nichtempfang der sakramentalen Kommunion, in der Verhinderung physischer Nähe und Gemeinschaft, aber auch in dem Nichtdurchblicken der gegenwärtigen Situation, die wir noch längst nicht begriffen haben, in der wir nicht überblicken, was das für uns alle bedeutet, welchen Sinn das alles hat. Und erst recht ist in der Tiefe nicht klar, was Gott uns darin zeigen will. Denn jede Wirklichkeit ist ein Anlass, neu nach dem Willen Gottes zu fragen. „Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit“, sagen heutige geistliche Meister.
„Selig, die nicht sehen und doch glauben.“ Dieser Satz ist der Schlusssatz des ursprünglichen Johannesevangeliums. Jedenfalls spricht vieles dafür. Am Anfang des Johannesevangeliums stand die Einladung an die Jünger: „Kommt und seht.“ Die ersten Jünger sollten sehen und erfahren, wo Jesus wohnt, wie er lebt und wirkt. Am Ende steht die Vertiefung dieser Einladung. Denn auch wenn wir nicht sehen und durchblicken, wenn wir nicht alles klären und erklären, begreifen, deuten und definieren können, bleiben die innere Gewissheit des Glaubens, die begründete Hoffnung und die Wahrheit und Macht der Liebe.
Es bleibt eine Annäherung an die Wirklichkeit im Glauben. „Nicht durchschauen, einfach nur anschauen“2, so beschreibt es der geistliche Dichter Andreas Knapp – und ich möchte ergänzen: nicht nur bitten, einfach nur anbeten wie Thomas: Mein Herr und mein Gott! – „So werden wir wirklich wir.“
Gut, dass es diesen Thomas gibt!
DR. FRANZ-JOSEF BODE
BISCHOF VON OSNABRÜCK
Die Frage nach dem Sinn unseres Daseins
ERZBISCHOF STEPHAN BURGER
1 Danach offenbarte sich Jesus den Jüngern noch einmal, am See von Tiberias, und er offenbarte sich in folgender Weise. 2 Simon Petrus, Thomas, genannt Didymus, Natanaël aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen. 3 Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts. 4 Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. 5 Jesus sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sagte zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas finden. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es. 7 Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, gürtete er sich das Obergewand um, weil er nackt war, und sprang in den See. 8 Dann kamen die anderen Jünger mit dem Boot – sie waren nämlich nicht weit vom Land entfernt, nur etwa zweihundert Ellen – und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her. 9 Als sie an Land gingen, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot liegen. 10 Jesus sagte zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt! 11 Da stieg Simon Petrus ans Ufer und zog das Netz an Land. Es war mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt, und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht. 12 Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und esst! Keiner von den Jüngern wagte ihn zu befragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. 13 Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch. 14 Dies war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, seit er von den Toten auferstanden war.Joh 21,1–14
Ende März 2020 schrieb die italienische Schriftstellerin Francesca Medandri eine Botschaft an die Menschen in Deutschland. Medandri, die in Italien schon seit einigen Wochen mit den Folgen der Corona-Pandemie konfrontiert war, will die Menschen aus Deutschland auf das vorbereiten, was da noch kommen wird. „Ich schreibe euch aus Italien, also aus eurer Zukunft. […] Ihr werdet ‚Die Pest‘ von Camus aus dem Regal ziehen, um dann festzustellen, dass ihr nicht wirklich Lust habt, das Buch zu lesen.“, so Medandri. Und in der Tat war dieses Werk des algerischen Existenzialisten Albert Camus auch in Deutschland in den vergangenen Wochen oft vergriffen. Viele Menschen wollten sich insbesondere dieser Lektüre widmen. Ich habe mich gefragt, warum? Warum will man sich angesichts einer derart neuen und großen Herausforderung, wie der Corona-Pandemie noch zusätzlich mit dieser schweren Kost belasten? Natürlich liegt es nahe, dass man das eigene Erleben einer Pandemie mit vergangenen Epidemien und Pandemien vergleicht. Als Narrativ bietet sich da „Die Pest“ sicherlich an. Aber die Suchbewegung hinter dem einfachen Vergleich gefährlicher Krankheiten ist meiner Ansicht nach eine andere, eine tiefere, eine zutiefst mit dem menschlichen Dasein verbundene. Und dieser hat sich der besagte Autor Camus in seinen Werken gewidmet. Es ist die Frage nach dem Sinn unseres Daseins. Wer bin ich und warum bin ich? Hat meine Existenz in dieser Welt einen Sinn? Wenn ja, wofür? Und hat das Leben an sich einen Sinn? Auf was gründet diese Welt und worauf ist sie ausgerichtet? Welche Rolle habe ich in dieser Welt? Und gibt es diesen höheren Plan überhaupt, wenn alles Leben doch letztlich mit dem Tod endet?
Camus lässt Dr. Bernard Rieux, die Hauptfigur aus „Die Pest“ auf die Frage, ob es einen Sinn im Dasein gibt, mit einem klaren Nein beantworten. Für ihn ist die Realität des Todes der entscheidende Grund, warum das Dasein absurd ist: Vom Tod her gewinnt alles Tun und Handeln eine Sinnlosigkeit. Für Camus kann der Mensch trotzdem glücklich sein, weil er sein Leben aus diesem klaren Bewusstsein heraus selbst in die Hand nehmen und gestalten kann, ohne auf das Eingreifen einer guten Macht oder das Zulaufen auf ein „Happy End“ warten zu müssen.
Viele Gedanken, die Camus in seinen Werken entwickelt, kann ich gut nachvollziehen. Er blickt in die Tiefen und Dunkelheiten, in die Momente von Trauer und Verzweiflung, die jeder Mensch kennt. Da kann man schon manchmal am Sinn des Lebens zweifeln. Da kann man auch die Hoffnung verlieren.
Gerade aktuell, in den vergangenen Wochen und Monaten bis hinein in die Gegenwart, sehen wir uns mit genau dieser Situation und diesen Fragen konfrontiert. Wir greifen zu Werken,