Mark Weinert

Doc Why Not


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Outdoor-Equipment, das man schon in einem anderen Land benutzt hat.

      Die Nichtabgabe führt zu einer sofortigen Strafe, und damit man erwischt wird, gibt es Officer Goodboy, einen Beagle, der einem im Film alles erklärt. In den USA fragen sie einen auf dem Einreise-Wisch, ob man Mitglied einer kommunistischen Partei war, ob man Terrorist ist, oder ob man vorhat, auf dem Boden der USA Verbrechen zu begehen. Dort steht in großen Schildern bei der Passkontrolle: No Jokes! In Neuseeland wird man nach Äpfeln gefragt. Dass das andere für Neuseeland nicht interessant erscheint, spricht meiner Meinung nach für das Land.

      Was aber hatten wir dabei? Haribo-Goldbären und Lebkuchenherzen als Gastgeschenke. Beides war damals nicht in Neuseeland erhältlich. Nach 30 Stunden auf Achse standen wir mehr neben uns als in uns. Eine weitere spirituelle Erfahrung, nach dem Ost-West-Nord-Süd-Zen-Koan. Dennoch dachten wir daran, diese ›Nahrungsmittel‹ zu deklarieren. Nach der Passkontrolle kamen wir mit unserem Gepäck zur Biosecurity. Ein gefühlt zwei Meter dreißig großer Maori guckte uns mit grimmigen Gesicht an. Wir fühlten uns wie ein französisches Rugby-Team, das den All Blacks, der neuseeländischen Nationalmannschaft, vor dem Spiel gegenübersteht. Klein.

      »Was für Nahrungsmittel haben Sie dabei?«

      »Äh ... Haribo gummy bears and ... gingerbread hearts ...«

      »Lebkuchenherzen?«

      »Äh, ja ... die sind verpackt ... eingeschweißt ... und so.«

      »Sooo ... eingeschweißt? Ja? Was bekommen Sie denn, wenn Sie das Lebkuchenherz durchschneiden?«

      Wir verstehen nicht, worauf er hinauswill. Nüsse? Keine Ahnung?

      »Ähhh wie meinen Sie das?«

      Er spricht den letzten Satz noch einmal gaaaanz langsam aus. Dabei betont er jedes einzelne Wort, damit wir ihn ganz sicher verstehen.

      »Was – bekommen – Sie – wenn – Sie – das – Leb-ku-chen-herz – durchschneiden?«

      Zwei von uns Weinerts nicken, zwei schütteln den Kopf. Wir haben keine Ahnung, worauf er hinauswill.

      Langsam sagt er: »Sie haben ein gebrochenes Herz!«, und bricht in tiefes Gelächter aus. »Alles gut, kommen Sie rein!«

      Jetzt lachen auch wir, sind erleichtert, glücklich – und endlich angekommen.

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      WEEDING

      Das Haus, das wir gemietet haben, hat uns Sally vom Anästhesie-Department vermittelt. Eine englische Assistenzärztin muss für ihre Weiterbildung ein Jahr in ein anderes Krankenhaus, und sie hat für die Zeit einen Nachmieter gesucht. Da in Neuseeland alle Assistenzärzte zum gleichen Zeitpunkt rotieren, lag es nahe, zu fragen, ob sie das Haus an jemanden vermietet, der ihre Stelle übernimmt.

      Zufällig hatte sich meine Frau genau diese Nachbarschaft im Internet als coolen Surfer-Vorort ausgesucht.

      Und siehe da, es gibt jemanden, ja, gerne nehmen wir das Angebot an. Wer innerhalb Deutschlands schon mal umgezogen ist, weiß, wie schwierig es sein kann, eine passende Wohnung in einer anderen Stadt zu finden, ohne vorher dagewesen zu sein. Noch schwieriger ist es, wenn man in ein anderes Land umzieht.

      Hier hatten wir unglaubliches Glück, und das Haus war sogar isoliert. Zwar nur mit ›Single-Glazing‹ in den Fenstern und ohne Heizung. Dafür ein Gasofen im Wohnzimmer. Aber so richtig kalt wird es in Wellington nicht, sagt man uns. Das Haus liegt am Bergkamm zwischen Island Bay und Owhiro Bay, und man ist mit dem Bus in 20 Minuten in der Innenstadt, mit dem Auto in 15 Minuten im Krankenhaus. Wir können bei gutem Wetter von unserem Deck aus die Südinsel sehen und ansonsten ein kleines Stück vom Meer. Es erscheint perfekt.

      Wie zuvor schon angedeutet: Dass das so gut passte mit Allisons Auszug und meinem Arbeitsbeginn, hat noch andere Besonderheiten, die ganz schön wichtig sein können, wenn man in Neuseeland oder auch in Australien in ein Krankenhaus kommt. Alle drei Monate bzw. sechs Monate rotieren die Assistenzärzte auf ihren neuen Ausbildungsplatz. In der Anästhesie macht das nicht so viel aus. Ich wechsle beispielsweise vom urologischen OP in den gynäkologischen OP, gleiches Stockwerk. Nicht nur im Gebäude, auch bei den Patienten.

      Bei den auf den Stationen arbeitenden Assistenzärzten bedeutet das, sie kennen erst mal keine Schwester, keinen Patienten und wissen nicht, wo das ganze Zeug ist. Wenn ich es mir aussuchen könnte – allerdings kann man das als Patient meistens nicht – würde ich mindestens eine Woche warten bis nach dem Wechsel, bevor ich mich in die Hände der leicht desorientierten Ärzte begebe.

      Doch zurück zu Allison und unserer neuen Bleibe. Sie zeigt uns das Haus. Drei Schlafzimmer, zwei kleine und ein größeres. Ein Wohnzimmer. Eine Toilette, im Bad gibt es keine Heizung. Das Bad ist einem dunkleren Hellblau gestrichen. Wenn ich mehr Farbgefühl hätte und wüsste wie Farben wie Cyan aussehen, würde ich schreiben ›Eiswasserblau‹. Über der Badewanne hängt ein Bild, ein Meter mal ein Meter zwanzig, von Scotts Expedition in die Antarktis. Es zeigt Captain Robert Falcon Scott, wie er am 5. Januar 1911 in einer Eishöhle in einem Eisberg steht. Es heißt The Arctic Grotto. Im Bad gibt es keine Heizung. Das gibt mir zu denken.

      Vor dem Wohnzimmerfenster gibt es einen Balkon, der mit Holzbohlen ausgelegt ist. Ein kleines Deck, wie ich lerne. Ein Deck ist das zweitwichtigste Statussymbol, das man in Neuseeland haben kann, gleich nach dem Grill, der dann auf dem Deck steht. Vom Deck aus kann man die Hügel und ein kleines Stück vom Meer sehen. Ein Haus mit Meerblick. Klasse. Gegenüber erstreckt sich das Tal. Happy Valley, das die Stadt mit der Ohwiro Bay verbindet. Auf der anderen Seite erheben sich grün-gelbe Hügel und in der Entfernung kann man etwas sehen, das einer Burg ähnelt. Das ist die italienische Botschaft. Sie wird von sechs Dobermännern bewacht, wie wir später feststellen, als wir eine Wanderung machen. Sie liegt gleich in der Nähe der Radarstation, die die Cookstrait überwacht und oberhalb von Red Rocks liegt, einem Naturschutzgebiet, zu dem man wandern kann, um Robben zu sehen. Und rote Steine.

      All das erfahren wir innerhalb der wenigen Minuten, die Allison uns durchs Haus führt – mit ihrem Neugeborenen auf dem Arm. Das Kind hat nur einen kurzen Feinrippbody und die Windel an. Draußen weht es, und drinnen ist es nicht viel wärmer. Wahrscheinlich werden Engländer so an das Wetter gewöhnt, denke ich mir.

      Ihr Mann ist auch Arzt, allerdings Veterinär und verdient damit mehr als Menschenärzte, da Tierärzte in Neuseeland gesucht sind und wegen der großen Farmen viel Arbeit haben. Sie erzählt, dass die Ultraschallgeräte für Tierärzte wie Rucksäcke auf dem Rücken getragen werden, mit einem Bildschirm, der dann vor das Gesicht geklappt werden kann, so »schallt« ihr Ehemann dann an einem Vormittag über hundert Kühe, um zu sehen, ob sie schwanger sind. Er hätte sie, als sie schwanger war, auch »geschallt«. Nein, nicht auf dem Küchentisch, im Wohnzimmer. Während sie weiterspricht, bekomme ich das Bild nicht mehr aus dem Kopf. Nicht das Ultraschallbild. Im Wohnzimmer gibt es einen Gasofen, neben einem elektrischen Radiator, den man in die verschiedenen Zimmer rollen kann, die einzige Wärmequelle im Haus. Der Gasofen hatte drei Gaslecks, wie wir im Laufe des kommenden Jahres feststellten, die unter dem Haus glücklicherweise weggeblasen wurden. Hätte aber auch unser Haus zum Explodieren bringen können. Immer noch eine beunruhigende Vorstellung.

      »Wir sind keine großen Gärtner«, sagt sie, »wie man sehen kann.«

      Das stimmt, der Garten sieht nach nichts aus, aber das stört uns nicht. Wir sind auch keine großen Gärtner.

      »Wenn ihr nur regelmäßig den Rasen mähen könntet? Das reicht schon.«

      »Klar, machen wir«, sagt meine Frau, meint dabei mich, und ich fühle mich an meine Kindheit erinnert, bei der ich als Einziger der Familie mit Heuschnupfen jahrelang den Rasen mähen musste.

      »Klar, machen wir«, sage ich.

      Als ihr Mann, nach einem Jahr mal zu Besuch kommt, bin ich leider – oder zum Glück – nicht da. Er ist stocksauer und schimpft,