Arthur Rosenberg

Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik


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der General Ludendorff. Die eigentliche Zeit der Selbstherrschaft Wilhelms II. reicht also nur von 1890 bis 1916. Wilhelm II. fühlte sich von Anfang an berufen, selbst die Linie der Reichspolitik zu bestimmen. Da er sich von Bismarck nicht beeinflussen lassen wollte, mußte der Reichskanzler entweder zum Werkzeug des kaiserlichen Willens herabsinken oder aber den Kampf gegen den Kaiser aufnehmen. Bismarck entschied sich für das letztere und ist schnell unterlegen.

      Warum war Bismarck nicht imstande, seine Stellung, die er dreißig Jahre lang mit beispiellosem Erfolg behauptet hatte, gegen einen jungen Mann zu verteidigen, der außer dem königlichen Namen nichts aufzuweisen hatte? Warum schickte nicht Bismarck den widerspenstigen Herrscher fort, genau so, wie es ein Jahrtausend zuvor der Reichskanzler Pippin mit dem Merowingerkönig gemacht hatte? Des Rätsels Lösung ergibt sich aus den Verhältnissen der preußischen Armee. Das preußische Offizierskorps hatte zwar dem Fürsten Bismarck unendlich viel zu danken. Aber es fühlte sich nicht dem Kanzler, sondern nur dem König zum Gehorsam verpflichtet. Bismarck hatte sich nie bemüht, auf den militärischen Apparat direkten Einfluß zu gewinnen. Die preußische Armee war ein Staat im Staate und wurde vom König unter Vermittlung des Militärkabinetts und des Generalstabs, ohne Berücksichtigung der zivilen Regierung, geführt. Die Ressorteifersucht der Generäle wachte eifrig darüber, daß bei ihnen kein Zivilist, auch nicht Bismarck, Einfluß erhielt1. Solange Wilhelm I. lebte, war dieser Zustand für Bismarck keine Gefahr. Denn mit Hilfe des königlichen Befehls stand die Armee stets seiner Politik zur Verfügung. Sobald aber ein Herrscher da war, der gegen Bismarck auftrat, hatte er die Armee gegen den Reichskanzler unbedingt hinter sich. Hätte Bismarck die kommandierenden Generäle auf seiner Seite gehabt, so wäre das Kräfteverhältnis anders gewesen. Da hätte er den Kaiser absetzen können. Aber so hatte Wilhelm II. alle reale Macht in seiner Hand.

      Diese Entwicklung der Dinge war zwar für Bismarck persönlich sehr unangenehm, aber man kann nicht sagen, daß sie dem Geiste der Reichsverfassung widersprach. Ob der Kaiser den Reichskanzler beherrschte oder umgekehrt, war schließlich gleichgültig. Unerläßlich war nur, daß einer von beiden die starke Regierungsgewalt verkörperte. Wilhelms II. Wille, sein eigener Kanzler zu sein, hätte schon allein über kurz oder lang den Konflikt mit Bismarck gebracht. Aber dazu kamen grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten in der Führung der Innen- und Außenpolitik2.

      Es war der Stöcker-Gruppe gelungen, schon in den Jahren vor seiner Thronbesteigung an den Prinzen Wilhelm heranzukommen und ihm ihre Ideen beizubringen. Wilhelm II. war durch das unaufhaltsame Wachsen der Sozialdemokratie ebenfalls erschreckt. Aber er lehnte die Gewaltpläne Bismarcks gegen die Sozialdemokraten ab und wünschte statt dessen eine gesteigerte Sozialpolitik und eine Reichsregierung im Sinne Stöckers. Zu den Führern im Stöcker-Kreise gehörte damals der Generalstabschef Graf Waldersee, der den Krieg mit Frankreich und Rußland für unvermeidlich hielt. Im Sinne Waldersees verwarf Wilhelm II. die Bestrebungen Bismarcks, mit Rußland im Vertragsverhältnis zu bleiben. Statt dessen wollte er, wenigstens in den Anfängen seiner Regierung, im engen Bündnis mit Österreich, vielleicht auch mit England, den Verteidigungskrieg gegen Rußland und Frankreich vorbereiten. Bismarck lehnte innen- und außenpolitisch die Linie Wilhelms II. ab und wurde entlassen.

      Wilhelm II. hat sich seit 1890 intensiv mit den Fragen der deutschen Außenpolitik beschäftigt und in allem Wesentlichen ihren Kurs bestimmt. Ebenso hat er wenigstens in den großen Linien die Innenpolitik Deutschlands festgelegt. An Fleiß zur Erledigung der Regierungsgeschäfte fehlte es Wilhelm II. nicht. Aber seine Sachkenntnis war gering, und die nervösen Schwankungen und Störungen, denen er unterworfen war, machten jeden stetigen Kurs unmöglich. Wilhelm II. vertrug zwar in Einzelfragen den Widerspruch seiner Minister, aber er duldete niemand, der konsequent ein bestimmtes System in der Innen- und Außenpolitik verfolgte. Seine eigene Launenhaftigkeit wurde noch durch die vielfachen höfischen Einflüsse gesteigert, denen er ausgesetzt war. So hat Deutschland eigentlich von 1890 bis 1916 überhaupt keine Regierung gehabt, sondern es wurden zufällig und prinzipienlos die laufenden Geschäfte erledigt.

      Auch unter Wilhelm II. ist in manchen Ressorts solide Arbeit geleistet worden, was in einzelnen Gesetzeswerken zutage trat. Aber es war niemand da, der die Gesamtsituation Deutschlands erfaßte und auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitete. So schuf das System Wilhelms II. ein politisches Chaos. Nur der Zufall, daß Deutschland bis 1914 ein ernsthafter Krieg erspart blieb, hat den Zusammenbruch so lange hinausgeschoben.

      Daß die Regierung Wilhelms II. ein solches Unheil über Deutschland brachte, ist aber weniger die persönliche Schuld des Kaisers als die Folge der Verfassung von 1871. In konstitutionellen Monarchien hat die Persönlichkeit des Regenten keine entscheidende Bedeutung. Aber auch absolute Monarchien haben schwere Krisen unter der Regierung von durchaus unzulänglichen Persönlichkeiten überstanden. Man denke an Österreich und Rußland in der napoleonischen Zeit. Kaiser Franz von Österreich und Alexander I. von Rußland waren wirklich keine Männer, die ihrem Staat eine besondere Stütze bieten konnten. Österreichs Situation war 1809 nach der Schlacht bei Wagram ungefähr ebenso hoffnungslos wie die Preußen-Deutschlands im Herbst 1918. Ebenso ernst war die Lage Rußlands 1812, als Napoleon in Moskau stand. Trotzdem bestand damals weder in Österreich noch in Rußland eine Revolutionsstimmung. Auch absolute Monarchien können sehr stabil sein, wenn sie der traditionelle Ausdruck der wirtschaftlich und gesellschaftlich herrschenden Schicht sind.

      Der Absolutismus war im alten Österreich, wie im alten Rußland, die Herrschaftsform der dort regierenden Aristokratie. Der Kaiser war zwar formal allmächtig. In Wirklichkeit mußte er die traditionell festgelegte Innen- und Außenpolitik seines Reiches weiterführen. War er nicht imstande, das selbst zu tun, so fanden sich Ratgeber, die ihm als Minister im Sinne der Tradition beistanden. Sabotierte er aber und lähmte er die Staatsgeschäfte durch seine Launen, so wurde er von der Aristokratie abgesetzt, wie Peter III. und Paul von Rußland. Jedoch dachte dort niemand an eine Verfassungsänderung. Sondern an Stelle des alten trat ein neuer »absoluter« Monarch, der, durch das Schicksal seines Vorgängers belehrt, die traditionelle Politik fortsetzte. So war es möglich, daß auch absolute Monarchien jahrhundertelang eine konsequente Politik verfolgten, ohne durch die Person unzulänglicher Herrscher behindert zu werden.

      Das Bismarcksche Deutschland war weder ein konstitutioneller Staat noch eine absolute Monarchie mit fester Tradition. Die Kräfte, auf denen das Reich beruhte, hatten keine organische Verbindung. Bismarcks Prinzipien waren nicht im entferntesten den herrschenden Schichten in Fleisch und Blut übergegangen. Der Ausgleich zwischen dem preußischen Militäradel und den übrigen im Reiche wirksamen Kräften lag ausschließlich in der Hand des Regenten. In diesem Sinn war das Reich Bismarcks eine bonapartistische Schöpfung, und sein Wohl und Wehe hing in weitem Umfang von der Person des Herrschers ab, mochte dies nun der regierende Kaiser oder ein regierender Reichskanzler sein. Bismarck hat nach seinem Sturz die Fehler Wilhelms II. rücksichtslos kritisiert. Aber er trägt dennoch für sie die Mitverantwortung. Denn die Verfassung, die das Schicksal Deutschlands in die Hand Wilhelms II. legte, war Bismarcks Werk.

      Unter Wilhelm II. verstärkte der preußische Großgrundbesitz seine Verbindung mit den evangelischen Bauernmassen des Reichs: Der »Bund der Landwirte« wurde zu einer politischen Großmacht. Versuche, ein kleinbäuerliches Konkurrenzunternehmen gegen den »Bund der Landwirte« ins Leben zu rufen, hatten keinen nennenswerten Erfolg. Das evangelische Dorf blieb bis zum Weltkrieg unter konservativer Herrschaft, wenn auch ein Teil der Landarbeiter bei der geheimen Reichstagswahl einen »roten« Stimmzettel abgab. Seitdem Bismarcks schwere Hand von ihnen genommen war, konnte niemand mehr die preußischen Konservativen zu Zugeständnissen an Bürger und Arbeiter zwingen. Unbedingt verteidigten sie ihre Privilegien in Armee und Verwaltung. Die Zoll- und Steuerpolitik mußte nach ihren Wünschen gestaltet werden. Als besonders kostbarer konservativer Besitz galt jetzt das preußische Dreiklassenwahlrecht, an dem nicht gerüttelt werden durfte. Wilhelm II. hatte weder die Kraft noch den Willen, irgendwo den preußisch-aristokratischen Einfluß zurückzudrängen. Die preußischen Konservativen waren durchaus nicht mit allen Handlungen des Kaisers einverstanden. Urteilsfähige Konservative hatten ihre Sorgen über manche Züge des persönlichen Regiments und besonders über die kaiserliche Außenpolitik. Aber die Konservativen dachten an keine Verfassungsreform, um die Macht des Kaisers einzuschränken. Sie waren der Ansicht, daß jede Veränderung der Verfassungsverhältnisse ihre Position schwächen