Arthur Rosenberg

Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik


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Österreich wurde aus Deutschland hinausgewiesen, Hannover, Kurhessen und Nassau wurden von Bismarck annektiert. Das liberale Bürgertum bekannte sich überall zu Preußen und zur Reichseinigung. 1870 zwang die liberale und nationale Bewegung die süddeutschen Staaten zur Beteiligung am Kriege gegen Frankreich.

      Bismarck suchte bei der Reichsgründung den altdeutschen Konservatismus dadurch unschädlich zu machen, daß er die Dynastien fest an die neue Ordnung der Dinge knüpfte. Um das Haus Wittelsbach zu gewinnen, bewilligte Bismarck die Sonderstellung der bayerischen Armee. Der föderalistische Charakter des Bundesrats ließ den kleinen Dynastien so viel Rechte, wie es unter der Neuordnung der Dinge überhaupt möglich war. Bismarck hatte hier einen vollen Erfolg: Er hatte nach 1871 bei den außerpreußischen Dynastien niemals ernstliche Schwierigkeiten. Bismarck hätte zum Beispiel den Kulturkampf nie führen können, wenn er nicht den König von Bayern und damit die Münchener Regierung auch in dieser kritischen Situation fest auf seiner Seite gehabt hätte3.

      So leicht wie die west- und süddeutschen Dynastien waren aber die altkonservativ gestimmten Volksschichten für das neue »evangelische Kaisertum« nicht zu gewinnen. Die katholische Geistlichkeit, der Hochadel, breite Massen von Bauern und Handwerkern in Süd- und Westdeutschland schlossen sich zu einer mächtigen Abwehrfront zusammen: Das Zentrum trat als die katholische Partei Deutschlands auf. Trotzdem war der Kulturkampf im Grunde keine konfessionelle Angelegenheit. Die protestantischen Landwirte Hannovers, soweit sie die Sonderexistenz des alten Welfenkönigreichs zurückgewinnen wollten, standen an der Seite des Zentrums. Auf der anderen Seite war das katholische Bürgertum in den Städten des Rheins und des Südens Bismarckisch gesinnt. Aber der katholische nationalliberale Wähler in München oder in Köln trat deshalb noch lange nicht aus seiner Kirche aus. Die Eigenart des Zentrums verkörperte sich in der Kulturkampfzeit in Windthorst, dem Katholiken und früheren Minister des Königs von Hannover.

      Neben den Welfen gewann das Zentrum noch zwei Mitkämpfer, die der Regierung Bismarcks besonders unangenehm waren. Die Verteidigung des Katholizismus gegen die protestantisch orientierte Staatsgewalt brachte ein Bündnis zwischen Zentrum und Polen. Ferner hatte die katholische Kirche Deutschlands schon seit einem Menschenalter begonnen, die in ihren Bereich gehörigen Industriearbeiter zusammenzufassen. In Deutschland ist eine selbständige Arbeiterbewegung parallel von zwei Seiten her geschaffen worden. Neben der marxistischen Bewegung steht die katholische. Es ist zweifelhaft, ob in den siebziger Jahren den herrschenden Klassen Deutschlands die sozialdemokratische Arbeiterbewegung in Berlin und Sachsen viel unangenehmer war als die katholische Arbeiterbewegung in Oberschlesien4 und am Rhein. In Oberschlesien prägte sich der Klassengegensatz besonders scharf aus, wo der polnisch-katholische Bergmann dem deutsch-protestantischen Werksdirektor gegenüberstand.

      Das Zentrum war in seinem sozialen Charakter schon in der Kulturkampfzeit überaus buntscheckig. Aber alle Schichten, die es vereinte, waren damals ihrem Wesen nach antibürgerlich: Der Priester und der Aristokrat, der Bauer und der Arbeiter hatten insgesamt kein Interesse, die bürgerliche kapitalistische Entwicklung in den Städten zu fördern, und sie alle waren gegen den preußischen, militärischen und autokratischen Zentralismus. So war das Zentrum der gegebene Anti-Bismarckblock. Alle Grundgedanken des Bismarckschen Reichs wurden vom Zentrum verneint. Es sollte ein Verhängnis für das Bismarckische Kaiserreich werden, daß der deutsche Altkonservatismus sich nach 1866 nicht als wunderliche Laune auf einige rheinische Adelsschlösser, auf Nonnenklöster und kleine Höfe beschränkte, sondern daß wuchtige breite Volksschichten in den christlichen Bauernvereinen und den christlichen Gewerkschaften sich der katholischen föderalistischen Bewegung anschlossen. Das Bismarcksche Reich erhielt so, neben dem nie ausgeglichenen Konflikt zwischen Preußentum und Bürgertum, eine weitere schwere Belastung.

      Bismarcks Kulturkampf war die Fortsetzung des Krieges von 1866 mit neuen Mitteln. Bismarck gab sich darüber keiner Täuschung hin. Einige Jahre fürchtete er, daß Deutschland einen Revanchekrieg mit dem klerikalen Frankreich und mit den Habsburgern zu führen haben würde. Dabei würde die geistliche Leitung des Angriffs gegen Deutschland beim päpstlichen Stuhl in Rom liegen, und das Zentrum, die Polen und die Weifen in Deutschland würden als Verbündete des Wiener und Pariser Revanchestrebens auftreten5. Bismarcks Verdacht, daß die Führer des Zentrums damals irgendwelche landesverräterische Pläne hegten, war völlig unbegründet. Aber es ist klar, daß ein unglücklicher Ausgang eines Krieges gegen Österreich und Frankreich eine föderalistische Neugestaltung Deutschlands und die Rückgängigmachung der Ergebnisse von 1866 und 1870/71 gebracht hätte.

      Der Kulturkampf brachte eine so weitgehende Annäherung zwischen Bismarck und den Liberalen wie niemals zuvor oder danach. Das liberale Bürgertum stürzte sich mit Begeisterung in den Kampf. Zunächst weil der Antiklerikalismus seiner Ideologie völlig entsprach. Dann aber vor allem, weil der Kulturkampf die Gelegenheit zu bieten schien, das parlamentarische System und die Herrschaft der Liberalen doch zu verwirklichen6. Für das Bürgertum schien jetzt die Situation gekommen, um das nachzuholen, was man 1871 bei der Reichsgründung und der Festlegung der Reichsverfassung versäumt hatte.

      Ein Teil des preußischen Adels wurde über die Entwicklung bestürzt. Man hatte in diesen Kreisen den Kurs Bismarcks seit 1866 nicht ganz begriffen. Bismarck schien alles zu tun, um das Städtertum auf Kosten des Landes hochzubringen: Der Milliardensegen der französischen Kriegsentschädigung sei von »Juden« und anderen Börsianern verschlungen worden. Das Gründer- und Schiebertum mache sich breit, während der solide Landwirt und Handwerker in seinem Einkommen zurückging. Sollte so das Deutsche Reich aussehen, das von Preußens Heer auf den Schlachtfeldern von Metz und Sedan geschaffen worden war? Nun zerstörte Bismarck auch noch die geistliche und sittliche. Autorität der Kirche. Er behaupte zwar, daß der Kampf nur gegen den Katholizismus ging. Aber die Kulturkampfgesetze mit ihrer Verweltlichung der Schule und mit der Zivilehe träfen die evangelische Weltanschauung genau so schwer. Die Ära Falk bringe die Herrschaft des liberalen Unglaubens über Preußen. Bismarck sei jetzt durch seinen falschen Kurs gezwungen, sich demselben parlamentarischen System in die Arme zu werfen, das er in der Konfliktszeit niedergezwungen hatte. Unter diesen Umständen müßten alle ehrlichen altpreußisch gesinnten Männer in Opposition gegen Bismarck treten. Der Kulturkampf müsse beendet werden. Die evangelischen und katholischen Christen Deutschlands müßten sich statt dessen zusammenschließen, um gemeinsam gegen Liberalismus, Unglauben und Schiebertum Front zu machen. Der begabteste Vorkämpfer der konservativen Opposition gegen Bismarck, der Hofprediger Stöcker, ging noch einen Schritt weiter: Wenn in den Großstädten das Industrieproletariat vom Kapitalismus und vom »Judentum« bedrückt wurde, war es da nicht die Pflicht des preußischen Königtums wie der evangelischen Kirche, diesen Armen zu Hilfe zu kommen, ihre berechtigten Forderungen zu erfüllen und sie so der sozialdemokratischen staatsfeindlichen Agitation zu entziehen?

      Während Bismarck, verbündet mit den Liberalen, im heftigsten Kampf mit dem Zentrum lag, wurde er im Rücken von dem Kern des altpreußischen Adels und der evangelischen Pastorenschaft angegriffen. Die konservative Opposition gegen Bismarck war der Ausdruck bornierter Engherzigkeit. Der preußische Adel wollte nicht einsehen, was er dem Werke Bismarcks verdankte und daß seine beispiellose Machtstellung innerhalb der deutschen Nation, wenn überhaupt, so doch nur durch die Methoden Bismarcks zu behaupten war. Der Angriff der Konservativen war der gefährlichste, der für Bismarck denkbar war7. Denn bei andauernder systematischer Feindschaft des konservativen Elements wurde der Ast abgesägt, auf dem Bismarck saß. Noch hielt Wilhelm I. fest zu Bismarck; trotz aller Angriffe der »Kreuzzeitung«. Aber würde der König von Preußen in der Lage sein, auf die Dauer gegen all das zu regieren, was in Preußen an monarchistischen und militärischen Kräften vorhanden war? Sollte der Kampf Bismarcks und des Königs von Preußen gegen Zentrum und Konservative eine Dauereinrichtung werden, so folgten daraus der Parlamentarismus und die Machtübernahme durch das liberale Bürgertum, also die nachträgliche Revanche für die in der Konfliktszeit unterlegene Partei. Trotz der äußerlichen Friedensschlüsse, die später kamen, hat Bismarck das Vertrauen der konsequenten preußischen Konservativen niemals zurückgewonnen. Die Fraktion, von der Bismarck im Jahre 1890 gestürzt wurde, waren die Konservativen und Christlich-Sozialen der Richtung Stöcker. Hier gewinnt man einen Ausblick auf die innere Unhaltbarkeit des Bismarckschen Reichs. Wenn der preußische Militäradel nicht einmal einem Bismarck so viel vertraute, daß er auch nur