dessen sexbesessener Protagonist Rönne auf Benn selbst verweist. 1917 zurück in Berlin, ließ er sich als Hautarzt nieder. Er veröffentlichte die Prosasammlung Gehirne und den Gedichtband Fleisch. Beide spiegeln mit ihrer nihilistischen Menschheitsverachtung Benns Reaktion auf die Grausamkeiten des Krieges wider, darin den Bildern von Grosz und Dix ähnlich, die sich ebenfalls als zynische Antwort auf das Kriegsgeschehen und die Auswüchse nach dem Waffenstillstand vom November 1918 auffassen lassen. Für das weltliche Oratorium Das Unaufhörliche zu der Musik von Hindemith – einem Vertreter der Neuen Sachlichkeit – verfasste Benn den Text. Das 1931 uraufgeführte Werk galt allgemein als definitiv nihilistisch. 1932 wurde Benn in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen und blieb, im Gegensatz zu Ricarda Huch und anderen, auch nach der Machtergreifung Mitglied. Im Februar 1933 übernahm er sogar kommissarisch den Vorsitz der Sektion der Dichtung.107
Die Weimarer Republik, erklärte Benn im Frühjahr 1933 im Rundfunk, habe ihn enttäuscht, weil die Demokratie entartet sei und eine korrupte liberale Intelligenzia mehr Interesse an Grundstücken in Ascona gezeigt habe als daran, den heimischen Boden mit der eigenen Hände Arbeit zu bestellen. Im Gegensatz dazu sei die Jugend, die jetzt das neue Reich unterstütze, lebenskräftig, Vorläuferin einer neuen biologischen Rasse, einer »Herrenrasse«, die bereits Nietzsche vorhergesagt habe. Diese Jugend ziehe der Intellektualität der Stadt die organische Ordnung des Landes vor. Sie sei Beschützerin der weißen Rasse und verteidige ihre Werte gegen niedere Arten wie jene schwarzen Kolonialtruppen, die sich im Dienst der französischen Besatzungsarmee in Deutschland herumgetrieben hätten. Die neue Form der Herrschaft finde schon jetzt die Unterstützung der unteren Klassen und mache damit die Kommunisten und Sozialisten alten Schlages überflüssig. Hitlers populistische, direkte Demokratie verdiene daher, wie der neue Staat, den er aufbaue, Beistand.108
Im November veröffentlichte Benn allerdings unter dem Titel »Bekenntnis zum Expressionismus« einen Artikel, in dem er die kritische Haltung des NS-Regimes gegenüber dieser Kunstform bedauerte und betonte, er selbst halte weiterhin daran fest. Der Expressionismus sei eine europäische Bewegung hauptsächlich der Jahre 1910 bis 1925 gewesen, der Spanier wie Pablo Picasso ebenso angehört hätten wie der Franzose Georges Braque, der Rumäne Constantin Brancusi und der Russe Wassily Kandinsky. In Deutschland sei Hindemith ihr Vertreter, in Italien seien es Gian Francesco Malipiero und Filippo Tommaso Marinetti, der Begründer des Futurismus, den Mussolini als Element des Faschismus akzeptiert habe. In der etwas ferneren Vergangenheit hätten Nietzsche, Hölderlin und Goethe zu den Vorläufern gehört und, nicht zuletzt, Richard Wagner. Der Expressionismus sei deshalb politisch von Bedeutung für das nationalsozialistische Zeitalter, weil ihm eine »anti-liberale Funktion des Geistes« eigen sei; eine »Verhöhnung des Volkes«, fügte Benn eilends hinzu, sei diese Kunstform keineswegs. Nach dem Ersten Weltkrieg habe ein »Destruktionismus« Fuß gefasst, dem der Expressionismus mit einem »jedes Chaos ausschließenden formalen Absolutismus« entgegentreten sei.109
Benn bekannte sich also zum Faschismus und verteidigte zugleich eine Kunstrichtung, von der er wusste, dass die meisten NS-Größen sie ablehnten. Auf diese Weise versuchte er sich an der Quadratur des Kreises – was für ihn nicht gut ausgehen sollte. Sein furchtloser Hinweis auf die europäische Universalität des Expressionismus sowie die Erwähnung von Nicht-»Ariern« wie Sigmund Freud und Marcel Proust als dessen Verfechtern rief feindselige Reaktionen hervor. Man beschuldigte ihn, Jude zu sein – was er öffentlich dementierte. Ferner sang er in weiteren Artikeln das Loblied des neuen Regimes und scheute dabei auch vor rassistisch-eugenischen Begrifflichkeiten nicht zurück, deren Verwendung er als Arzt für legitim hielt. Aber als 1936 eine bis 1911 zurückreichende Sammlung seiner früheren Gedichte erschien, fuhr die SS-Zeitung Das Schwarze Korps schwere Geschütze gegen Benn auf und warf seinen Gedichten Obszönität vor. Benn, nunmehr Persona non grata, zog sich erneut in die Armee zurück und arbeitete wieder als Stabsarzt. Im März 1938 wurde er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen.110 So hatte der Versuch eines Nationalsozialisten, den Expressionismus für das NS-Regime zu verwerten, ein unrühmliches Ende gefunden.111 Aber es war nicht der einzige Versuch dieser Art.
Unter den Künstlern der expressionistischen Avantgarde nach dem Ersten Weltkrieg ragten neben Benn der Bildhauer Ernst Barlach und der Maler Emil Nolde hervor. Wie Benn galten sie den Nationalsozialisten als beispielhaft für die Moderne in der Kunst und damit als mögliche Zielscheibe der Verfolgung. Aber in ihren Haltungen und Lebenswegen unterschieden sie sich voneinander und von Benn; dasselbe gilt für ihr jeweiliges Schicksal.
Barlach war 1870 als Sohn eines Landarztes in einer kleinen Stadt in Holstein geboren worden. Er studierte in Hamburg und Dresden, seit Mitte der 1890er Jahre in Paris. Auf einer Reise durch das zaristische Russland entwickelte er 1906 ein Talent für die Wahrnehmung menschlicher Ausdrucksformen, das zu seinem Markenzeichen werden sollte. Im Jahr darauf schloss er sich wie viele andere bildende Künstler in Deutschland der Berliner Secession an. Er heiratete nie, wurde aber 1906 Vater eines Sohnes. Die Mutter, Näherin, galt als eine Frau weit unter seinem Stand. 1907 wurde er literarisch tätig, zumeist mit Bühnenwerken. 1910 zog er in die mecklenburgische Kleinstadt Güstrow. Hier entwickelte er den Stil, mit dem er sich als expressionistischer Maler und Bildhauer einen Namen machen sollte: Er nahm den menschlichen Torso gegenüber Händen und Gesicht zurück, womit er die innere Verfassung der Figur zeigen wollte. An den Barlach’schen Figuren wirkten Hände und Gesicht stets übertrieben. Nach einem kurzen Kriegsdienst in Sonderburg nahe der dänischen Grenze wandte er sich erneut biblischen Motiven zu, an denen er bereits gearbeitet hatte. 1919 wurde er Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, der bekannte (jüdische) Kunsthändler und Galerist Paul Cassirer kümmerte sich als sein Hauptagent um den Verkauf seiner graphischen Arbeiten und Dramen. 1924 erhielt Barlach den Kleist-Preis für Literatur, seit 1926 wurde er mit der Gestaltung von Gedenkmonumenten für die Kriegsopfer betraut. Bis 1933 schuf er bedeutende bildhauerische Werke, darunter das schon bald berühmte Ehrenmal im Magdeburger Dom, und 1928 Skulpturen in Kiel, die schon damals von fanatischen Nationalisten angegriffen wurden.112
Nach der Machtergreifung geriet Barlach durch Rosenberg-Anhänger unter Beschuss: Seine Skulpturen verströmten grüblerischen Individualismus, so der Vorwurf, wohingegen die deutschen Männer und Frauen im Dienst für »Führer« und Vaterland aufgingen.113 Als der Kunsthändler Alfred Flechtheim seine Düsseldorfer Galerie im März an die Nationalsozialisten abtreten musste, verlor Barlach auch noch seinen derzeitigen Agenten. Er verkaufte weniger, Verträge wurden nicht eingehalten und man schuldete ihm Geld. Schon bald war er in finanziellen Schwierigkeiten, geriet mit Steuer- und Hypothekenzahlungen in Rückstand. Wie Benn wurde er bezichtigt, Jude zu sein, sah sich aber, anders als der Dichter, außerstande, öffentlich dagegen vorzugehen. Er wusste, dass unorthodoxe radikale Studenten vom NS-Studentenbund (NSDStB) sich für ihn aussprachen, maß dem aber realistischerweise keine Bedeutung bei.114
Im Februar 1934 griff Heinrich Hildebrandt, der Gauleiter von Mecklenburg, Barlach in einer Rede heftig an. Der Mann sei zwar vielleicht ein Künstler, aber dem deutschen Wesen fremd. »Der Künstlerstand hat die Pflicht, den deutschen Menschen zu verstehen in seiner einfachen Echtheit, so, wie er von Gott geschaffen ist … Der deutsche Mensch kennt nicht den Bauern als einen faul auf die Erde gestreckten Menschen, sondern als den harten, selbstbewussten Mann, der gewillt ist, alle Schwierigkeiten zu überwinden, der mit brutaler Faust, mit dem Schwert in der Hand sich den Weg bahnt.«115 Nur noch wenige Nationalsozialisten waren bereit, ihn zu unterstützen, und Rosenberg krakeelte lautstark wie eh und je gegen ihn. Mit Barlachs Gesundheit ging es bergab.116 In der Hoffnung auf Nachsicht seitens der Herrschenden unterschrieb er zusammen mit weiteren Künstlern und Intellektuellen im Sommer einen »Aufruf der Kulturschaffenden«, Hitler die Loyalität zu bekunden. Halbherzig schrieb er im September an einen Freund, er rate allen jungen Menschen, sich der NSDAP anzuschließen, weil dafür nur »das beste Blut, die besten Charaktereigenschaften gut genug« seien.117 Im März 1935 war er auch als Dramatiker nicht mehr gefragt.118
1936 stellte sich Goebbels – einst ein Bewunderer – offen gegen Barlach, nachdem Rosenberg, wie es schien, den Expressionismusstreit in ideologischer Hinsicht für sich entschieden hatte. Als die bayerische Polizei im März ein Buch mit Zeichnungen des Künstlers verbot und 3149 bereits gedruckte Exemplare im Lager von Barlachs Verleger Reinhard Piper in München beschlagnahmte, schrieb Barlach an Goebbels und bat ihn zu intervenieren: »Der künstlerische