Michael Kater

Kultur unterm Hakenkreuz


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einstweilige Fortbestehen des Expressionismus im Dritten Reich kann auf dreierlei Weise erklärt werden: erstens als Reaktion auf präexistente Kunstformen, zweitens waren die Nazis unfähig, auf die Schnelle selbst etwas ideologisch Angemessenes zu produzieren, und drittens stand die Kunst auch in der letzten, umkämpften Phase der Weimarer Republik der Politik indifferent gegenüber. Soll heißen: Die Kunstschaffenden der Moderne waren in der Weimarer Zeit zwar vielfach, aber nicht notwendigerweise links; sie konnten auch neutral sein (wie Barlach) oder konservativ bis rechtsextrem (wie Benn und Nolde).133

      Entschieden wurde das Schicksal des Expressionismus vor dem Hintergrund des institutionellen Gerangels zwischen Rosenberg und Goebbels. Am 29. Juni 1933 organisierten NS-Studentenführer an der Berliner Universität – nur Wochen nach der Bücherverbrennung – eine öffentliche Veranstaltung unter dem Motto »Jugend kämpft für deutsche Kunst«. Höchstwahrscheinlich hatten sie sich von einem seinem Inhalt nach intellektuellen Artikel inspirieren lassen, der Mitte März in der Berliner Deutschen Allgemeinen Zeitung (DAZ) erschienen war und gegen Rosenberg polemisierte. Der Verfasser hieß Bruno E. Werner, war 36 Jahre alt und Doktor der Philosophie aus Leipzig. Er stand zwar politisch rechts, war aber ein früher Bewunderer der Bauhaus-Bewegung. Werner sah in der »neuen Kunst« die Vorreiterin der nationalen Revolution, habe sie doch schon vor 25 Jahren gegen das liberale 19. Jahrhundert und das französische Modell des Expressionismus gekämpft. Zu jener Zeit hätten Maler der Brücke und des Blauen Reiters – vor allem Nolde, Barlach, Pechstein, Franz Marc, Paul Klee und Lyonel Feininger – zur Avantgarde gehört.134 Rosenberg konterte mit einem Artikel im Völkischen Beobachter: Zwar hätten Barlach und Nolde Talent, doch sei insbesondere Noldes Werk »negroid, pietätlos, roh und bar jeder echten innern Formkunst« und manches von Barlach »halbidiotisch«.135 Am 29. Juni schlugen sich die (im NSDStB organisierten) Studenten im Bündnis mit Goebbels’ Ministerium gleichwohl auf Werners Seite und brachten eigene Argumente vor – gegen Rosenberg und für Expressionisten wie Nolde und Barlach.136 »Sie glaubten«, so fasst Peter Paret ihre Ansichten treffend zusammen, »an die mythische Kraft des deutschen Blutes, an die Wesensbindung zwischen dem deutschen Volk und dem deutschen Künstler, der der Rasse diene, dessen Arbeit vielleicht nicht notwendigerweise formal oder thematisch, aber im Geiste jene nordischen, arischen Werte verkörpere, die Deutschland in Jahrhunderten voller Täuschungen und Betrügereien aufrechterhalten hätten und denen nun durch Hitler politische Macht und neues Leben eingeflößt werde.« Antisemitisch müsse man sein, meinten die Studenten, denn Juden hätten den Impressionismus nach Deutschland gebracht, und der Expressionismus sei ein Gegengift.137

      Im Herbst eskalierte der Streit. Hans Weidemann, der Leiter der Berliner Studentengruppe und selbst Maler, gründete eine neue Zeitschrift mit dem Titel Kunst der Nation. Ziel war die Förderung eines »Nordischen Expressionismus«, weshalb Werke von Nolde, Barlach, Käthe Kollwitz und anderen abgebildet wurden. Derart ermutigt, zeigte Museumsdirektor Alois Schardt im Oktober auf der Galerie des Berliner Kronprinzenpalais eine Ausstellung mit expressionistischen Gemälden, die im Einführungsvortrag sogar zur deutschen Kunst des Bronzezeitalters in Beziehung gesetzt wurden. Im Monat darauf erschien Benns Aufsatz »Bekenntnis zum Expressionismus«. Auf dem Reichsparteitag im September hatte Hitler die moderne Kunst allerdings insgesamt als »kubistisch-dadaistischen Primitivitätskult« abgestempelt. Es dauerte nur einige Wochen, da verlor Schardt seinen Posten und floh schließlich in die USA. Die Zukunft der neuen Zeitschrift stand in den Sternen.138

      1934 beschleunigte sich der Niedergang des studentischen Engagements für den Expressionismus. Anfang des Jahres erschien ein Buch des NS-nahen Kunsthistorikers Kurt Karl Eberlein. Unter dem Titel Was ist deutsch in der deutschen Kunst? vertrat Eberlein die Ansicht, die gerade stattfindende Schlacht werde »gegen das Undeutsche, Fremde, Blutferne, gegen das Romanische, Französische, Slawisch-russische, gegen alles Anationale, Antinationale, Internationale in der deutschen Kunst« ausgetragen. Er frage sich, ob es »sehr leicht« sei, »zu behaupten, dass doch das Deutsche in diesen ›Expressionisten‹-Bildern auch erkennbar sei«. Ihm wurde zwar widersprochen, allerdings recht kleinlaut. Wilhelm Pinder, Nationalsozialist, aber eine international anerkannte Autorität, hielt Eberleins Aussagen für »ein Vernichtungsurteil über die Expressionisten«, erläuterte das allerdings nicht näher.139 Auch andere gemäßigt fortschrittliche Kunsthistoriker wie Winfried Wendland und Hans Weigert versuchten sich in der Verteidigung der umstrittenen Kunstform. Weigert meinte, »das Erbe des besten Expressionismus« sei bewahrenswert, doch waren die Versuche mutlos, und die Autoren schrieben im Schatten von Rosenberg.140

      Dessen Position hatte Hitler persönlich am 24. Januar 1934 aufgewertet, als er den Chefideologen der Partei zum Beauftragten für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung der NSDAP machte.141 Obwohl dies nur ein Partei-, kein Regierungsamt war, konnte Rosenberg sich umfassende Vorrechte sichern und so in alle Winkel des öffentlichen Lebens eingreifen. Soweit es die Kultur betraf, gelang es ihm sogar, eine Art Gleichgewicht mit den Amtsbefugnissen von Goebbels und Göring herzustellen. Nun schlug er zu und warf den Studenten vor, von jüdischen Kunsthändlern dazu verführt worden zu sein, »eine Linie von Grünewald über Caspar David Friedrich zu – Nolde und Genossen« zu ziehen, womit sie das Ziel verfolgten, das »Untermenschentum« der Expressionisten hoffähig zu machen.142 Auch der sogenannte Röhm-Putsch Ende Juni kam Rosenberg zugute, da Hitler im September erneut seine Entschlossenheit bekundete, die Kunst von »diesen Scharlatanen« zu säubern.143

      1935 musste Kunst der Nation das Erscheinen einstellen. Weidemanns Mitstreiter Otto Andreas Schreiber und Fritz Hippler waren bereits aus dem NSDStB geworfen worden und suchten nun im sich stetig weiter verzweigenden Netzwerk der Goebbels’schen Operationen eine Stellung. Dessen vergleichsweise fortschrittlichen Bestrebungen wurde zwar sowohl von Hitlers ästhetischem Traditionalismus als auch von Rosenbergs Ehrgeiz Einhalt geboten. Aber Goebbels’ Machtbefugnisse erweiterten sich mit dem Ausbau der ihm unterstehenden Institutionen: des Propagandaministeriums und der (nominell zum Ministerium gehörenden) Reichskulturkammer mit ihren vielen Unterkammern. Damit konnte er Rosenbergs neue Dienststelle ausstechen; dessen Kampfbund jedenfalls verschwand in der Versenkung, und die Nachfolgeorganisation namens Nationalsozialistische Kulturgemeinde (NSKG) verlor ihre Macht, als sie in den Umkreis von Robert Leys Deutscher Arbeitsfront (DAF) geriet, der übergreifenden NS-Organisation, die nach der Machtergreifung die unabhängigen Gewerkschaften ersetzen sollte.144 Im Mai hielt Goebbels in Weimar eine Rede, in der er sich einerseits gegen ehrgeizige Reaktionäre wandte (und so indirekt die Avantgarde zu schützen schien), andererseits »kulturbolschewistische Versuche, die sich des Nationalsozialismus bedienen«, um öffentliche Anerkennung zu gewinnen, aufs Korn nahm (womit er den Traditionalisten entgegenkam).145

      Es folgten weitere Polemiken, in denen die Antimodernisten die Zähne zeigten.146 Am 18. Juli 1937 schließlich führte Hitler selbst den entscheidenden Schlag, als er in einer Rede zur Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung der Avantgarde den Todesstoß versetzte: »Bis zum Machtantritt des Nationalsozialismus hat es in Deutschland eine sogenannte ›moderne‹ Kunst gegeben, d. h. also, wie es schon im Wesen dieses Wortes liegt, fast jedes Jahr eine andere. Das nationalsozialistische Deutschland aber will wieder eine ›deutsche Kunst‹, und diese soll und wird wie alle schöpferischen Werte eines Volkes eine ewige sein.«147

      Die Protagonisten des Expressionismus kämpften um ihr künstlerisches oder gar physisches Überleben. Ihre angeblich subversive Kunst indes offenbarte sich hier und da bis 1937 und sogar darüber hinaus. Bereits 1933 hatte sich Schreiber, mit Goebbels’ Billigung, bei Robert Ley in Sicherheit gebracht. Der Führer der DAF war ideologisch weniger festgelegt als Goebbels oder Rosenberg. Er baute gerade seine Organisation Kraft durch Freude (KdF) auf, und dort richtete Schreiber eine Abteilung für Bildende Kunst ein. In den folgenden zehn Jahren sorgte sie dafür, dass die Arbeiten von Expressionisten wie Pechstein, Marc und Schmitt-Rottluff landesweit in Fabriken gezeigt wurden, bis die Niederlage von Stalingrad im Winter 1942/43 alles veränderte.148

      Ebenfalls 1933 erblickten wenigstens zwei den Nationalsozialismus verherrlichende Kunstwerke das Licht der Öffentlichkeit, die den Stempel des Expressionismus trugen. Da war zum einen das Bühnenstück Schlageter von Hanns Johst, das am 20. April, Hitlers Geburtstag, in Berlin Premiere feierte. Johst war schon seit dem Ersten Weltkrieg als Expressionist hervorgetreten; er kannte und bewunderte Gottfried Benn. Den Text seines Dramas schrieb