nulla fides« findet heute noch seine volle Anwendung.
Wir verließen Athen am 25. Juli und kehrten nach Syra zurück. Hier schifften wir uns am folgenden Tag an Bord der »Imperatrice« ein und verließen abends den Hafen, um Ägypten zuzusteuern. Nach einer sehr glücklichen Fahrt waren wir schon am 29. Juli der afrikanischen Küste so nahe gekommen, dass wir noch denselben Tag im Hafen Alexandriens Anker zu werfen hoffen durften. Die Matrosen des Schiffes, mit denen ich fleißig verkehrte, machten mich nachmittags auf das auftauchende Land aufmerksam. Bekanntlich ist die ägyptische Küste sehr flach und hat nirgends hervorragende Punkte. Sie zeigte sich uns zuerst als ein langer, schmaler, fahlgelber Streifen, trat aber immer deutlicher hervor. Nach Verlauf einer Stunde von ihrem ersten Erscheinen an konnten wir mittels der Fernrohre bereits mehrere hervorstechende Orte unterscheiden. Unser Schiff eilte mit einer durch günstigen Wind sehr beschleunigten Schnelligkeit dem Land zu. Die Umrisse des vor uns ausgebreiteten Bildes zeichneten sich schärfer ab. Gerade vor uns zeigten sich viele Windmühlen, welche wir anfangs für einen Wald gehalten hatten, rechts lag ziemlich nahe der »Turm der Araber«, links eine im Licht der Sonne blendend weiß erscheinende Häusermasse mit schlanken Minaretts und Türmen: Alexandrien. Das Lotsenboot brachte uns einen des gefährlichen Weges kundigen Steuermann an Bord, der alsbald seine Instruktionen erteilte. Er war der erste Sohn des vor uns liegenden Landes, den wir zu sehen bekamen, sprach ziemlich fertig italienisch und schien sein Geschäft zu verstehen. Mit sicherer Hand führte er das nur von halber Dampfkraft bewegte Boot durch den gefürchteten Hafeneingang hindurch, an den Bädern der Kleopatra und mehreren Forts vorüber und dem inneren Hafen zu. Hier warfen wir neben einem mächtigen Kriegsschiff der ägyptischen Flotte Anker4.
Arabische Wasserfahrzeuge
Wie soll ich die Gefühle beschreiben, welche jetzt in uns rege wurden? Staunen und Neugier, Verwunderung und Freude vermischten sich. Die riesigen Werke des Vizekönigs, die fremdartige Stadt und das fremde Volk in den Barken beanspruchten wechselseitig unser Interesse. Wir ließen unsere Blicke von einem Ort zum andern schweifen, immer aber kehrten sie unwillkürlich zu einem vor uns liegenden, von der Säule des Pompejus überragten Palmenwald zurück. Palmen, und Palmen in Wäldern, das Schauspiel ist zu neu, als dass wir es nicht bewundern sollten. Jetzt wurde uns klar: »Das Märchenland der Tausendundeinen Nacht liegt vor uns.«
* Anmerkungen des Herausgebers: siehe Seite 411ff.
II. DIE ERSTEN TAGE IN ÄGYPTEN
Schon wenige Minuten nach unserer Ankunft umschwärmte eine Unzahl kleiner Barken das Dampfboot. Ihre Führer forderten die Reisenden in drei bis vier Sprachen auf, eine derselben zu besteigen und zu landen. Noch fehlte uns aber die Erlaubnis der Hafen- und Gesundheitspolizei hierzu. Die ersehnte Barke mit der gelben Quarantäneflagge erschien und legte dicht an unserem Schiff an. Statt der gehofften »Prática«* erteilte der befehligende Offizier der Quarantänemannschaft den strengsten Befehl, auf dem Schiff zu verweilen, weil er es in Quarantäne erklären müsse. Erst der folgende Tag löste das Rätsel. Ein anderes Dampfboot des österreichischen Lloyd hatte sich vor wenigen Tagen ein Versehen gegen die Verordnungen der Gesundheitspolizei zu Schulden kommen lassen, welches wir jetzt büßen mussten.
Grollend und missmutig ergaben wir uns in unser Schicksal; ich brauche nicht zu schildern, mit welcher Sehnsucht wir nach dem nahen Land hinüberblickten. Die Zeit schlich bleiern dahin, obgleich die Schiffsgesellschaft manches Mittel, sie zu kürzen, anwandte. Wir beschäftigten uns eine Zeitlang mit dem Herabschießen der zahlreich uns umschwärmenden Möwen. Die Hitze des Juli Ägyptens wurde uns fast unerträglich; die Gefahren des fremden Klimas nicht kennend, versuchte ich mir Erleichterung zu verschaffen und ging mit bloßem Kopf auf dem Verdeck herum. Schon nach wenigen Minuten fühlte ich mich bestraft; heftige, sich mehr und mehr steigernde Kopfschmerzen waren die Vorboten einer mir damals kaum dem Namen nach bekannten, gefürchteten Krankheit, des Sonnenstichs. Ägypten bot mir einen bösen Willkommensgruß.
Erst vierundzwanzig Stunden nach unserer Ankunft war es dem k. k. österreichischen Generalkonsul gelungen, uns Prática auszuwirken. Nachdem wir uns mühsam eine Barke verschafft hatten – nicht, weil deren zu wenig, sondern weil ihrer zu viele waren und die verschiedenen Barkajuoli sich erst um uns gebalgt hatten –, ruderten wir dem Land zu. Hier wurden wir von einer schreienden und schimpfenden, uns ihre Tiere anpreisenden und ihre Genossen verhöhnenden Rotte von Eseltreibern ebenso in Empfang genommen, mit oder ohne unseren Willen auf Esel gesetzt und der Stadt zugeführt.
Auch ich war die ersten Stunden in Alexandrien wie »von einem Wachträumen umfangen«1, aber doch war der erste Eindruck der Hafenstadt auf mich für sie kein günstiger. Es ist für den in Ägypten Neuangekommenen ein höchst ergötzliches und fesselndes Schauspiel, durch die wogenden, belebten Basare des arabischen Viertels zu reiten; es bedarf geraumer Zeit, um alle Eindrücke des fremden Bildes festzuhalten, um sich an das nur aus Erzählungen bekannte orientalische Treiben zu gewöhnen; aber die Frische der poetischen Anschauung der ersten arabischen Stadt erbleicht, wenn sich die altbekannten europäischen Gestalten dem Auge aufzwängen. In der »Muhski«, d.h. den nur von Europäern bewohnten Straßen Alexandriens, haben diese bereits das arabische Gepräge vollständig verdrängt. Ohne Alexandrien das Gute und Schöne einer europäischen Stadt zu erteilen, hat die halbreife fränkische Zivilisation oder, wenn ich so sagen darf, die Europäisierung der Stadt ihren orientalischen Charakter und damit ihren Reiz genommen. Und das empfindet der Fremde sogleich; Alexandrien wird ihm bald fade und langweilig.
Unsere trefflichen Eseltreiber brachten uns bald zu dem am großen Platz oder der »Esbekie« liegenden europäischen Gasthof. Meine Kopfschmerzen waren so heftig geworden, dass wir einen Arzt um Rat fragen mussten. Dieser, ein liebenswürdiger Landsmann von uns, ließ mich, nachdem er einen Aderlass und Arznei verordnet hatte, baldige Genesung hoffen. In der Tat wurde mir nach der Blutentziehung wohler.
Der Baron hatte, um seine Reise so bald als möglich fortsetzen zu können, mit einem Engländer und dessen Frau (oder, wie sich später herausstellte, Mätresse) noch am Tag unserer Ankunft eine der Segelbarken des Nils zur Reise nach Kairo gemietet. Man schilderte uns die »Dahabïe«* als ebenso bequem und wohnlich wie unser Gasthaus, weshalb ich mich, trotz meines Kopfschmerzes, zur Weiterreise bereit erklärte. Die nötigen Vorbereitungen und Einkäufe wurden gemacht, die Gesellschaft mietete sich einen Dragoman namens »Mahammed«, welcher zugleich Koch und Bedienter sein sollte, und bestellte die Esel zum Ritt an den Alexandrien mit dem Nil verbindenden Kanal.
Wir brachen am 31. Juli abends vom Gasthof auf, verließen Alexandrien durch das »Bahb et scherkhi« oder das östliche Tor und ritten bei einbrechender Nacht an der kolossalen Säule des Pompejus vorüber und dem Kanal Mahmuhdïe zu. Durch eine Akazienallee hindurchreitend kamen wir in ein elendes, nach dem Landhaus eines türkischen Großen »Moharrem-Bei« genanntes Dorf am rechten Ufer der Mahmuhdie, wo unsere Barke liegen sollte. Die Nacht war aber so rasch hereingebrochen, dass wir sie nicht mehr auffinden konnten und zuletzt beschlossen, die Gastfreundschaft der Landbewohner in Anspruch zu nehmen.
Mahammed führte uns in eins der größeren Häuser. Ein Diener empfing und geleitete uns in das Empfangszimmer des Hausherrn. Dieser nahm uns, nachdem er unseren Wunsch durch Mahammeds beredten Mund erfahren hatte, sehr freundlich auf, bewirtete uns mit würzigem Kaffee, übersüßen Weintrauben und köstlichem Tabak und ließ uns nach einigen Stunden gute und reinliche Lager aufschlagen. Wir verbrachten in dem kühlen Schlafzimmer sehr angenehm die Nacht, erhielten am folgenden Morgen dasselbe, was wir gestern genossen hatten, und verließen dankend den liebenswürdigen Wirt des gastlichen Hauses.
Das Schifflein wurde nun bald aufgefunden, mit unserem wenigen Gepäck beladen und sofort in Gang gebracht; ein günstiger Wind trieb uns rasch dem Nil entgegen. Um Mittag begegnete uns ein von raschen Pferden geschleiftes Boot des Vizekönigs; sonst sahen wir den ganzen Tag über weiter nichts als Himmel, Luft,