Alfred Edmund Brehm

Reisen im Sudan


Скачать книгу

des Kanals, und die ihn mit dem Nil verbindenden Schleusentore von Adfeh. Wir gingen an Land, gingen zu Fuß durch das Hafendorf und standen am Nil.

      Vor uns lag das jetzt zum tiefsten Stand herabgesunkene Silberband des heiligen Stromes, eingefasst von blühenden Ufern. An dem uns gegenüberliegenden Ufer liegt Fuah, ein kleines Städtchen. Es ist ein echt orientalisches Bild. Das dunkle Grün des Deltas, die fruchtbeschwerten Palmen mit den im Wind wogenden Kronen, die mächtigen, blätterreichen Sykomoren und der heilige Strom geben den Rahmen zu einer weißen, malerisch gruppierten Häusermasse mit sarazenischen Erkergittern, überragt von schlanken, mit mehreren Galerien umgürteten Minaretts. Wir standen und waren tief ergriffen von der unendlichen Schönheit des von der Abendsonne vergoldeten Panoramas. Unsere Blicke schweiften über die Wasserspiegel des Stromes dahin, seine Geschichte, die Geschichte von Jahrtausenden, sprach uns an und führte unsre Gedanken mit sich fort in das Vergangene, aber Luft und Sonne, Strom und Palmen brachten uns zu uns selbst und zu erneutem Genuss des Anschauens zurück. Man muss noch neu im Land sein, um all den Zauber einer solchen Landschaft zu verstehen; man darf noch nicht tagelang in Palmenhainen hingeritten sein, um die Schönheit des Königs der Bäume zu würdigen – denn auch das Herrlichste verliert durch die Gewohnheit an Reiz.

      Obgleich unser Barkenführer und Schiffskapitän, arabisch »Reïs« genannt, die Reise mit orientalischem Phlegma fortzusetzen gedachte, wurde er doch, durch energische, keinem Zweifel Raum gebende Vorstellungen von unserem Wunsch, schnell zu reisen, in Kenntnis gesetzt, bald bewogen, noch heute Nacht weiterzugehen. Erst nach Mitternacht fuhr er bei erschlaffendem Wind Richtung Land, um in der Nähe eines kleinen Dorfes zu übernachten. Am anderen Morgen zeigte sich der Nil als belebte Straße handeltreibender Menschen und leichtbeschwingter Vögel. Wir begegneten vielen Schiffen und sahen mit Vergnügen das bunte Treiben der geflügelten Scharen seiner Bewohner. Mächtige Pelikane fischten ungestört durch die vorbeisegelnden Schiffe mitten im Strom; noch zutraulicher waren die niedlichen schneeweißen kleinen Kuhreiher (Ardeola bubulca); sie liefen zu Dutzenden in den Feldern herum und setzten sich auf die Rücken der Wasserbüffel, um ihnen die Insekten abzulesen.

      Leider war ich nicht fähig, alles Neue, welches uns die Nilfahrt bot, mit Lust und Vergnügen anzuschauen. Meine Krankheit hatte während unserer Reise sehr an Heftigkeit zugenommen. Es ist mir unmöglich, eine Beschreibung derselben zu geben; ich weiß nur, dass ich fürchterliche Kopfschmerzen, scheinbar so recht im Innern des Gehirns, verspürte und wenn diese gar zu heftig wurden, durch lange anhaltendes Delirium und Besinnungslosigkeit in einen nur deshalb besseren Zustand versetzt wurde, weil ich dann meine Schmerzen nicht mehr fühlte. Nur meine kräftige Körperkonstitution ließ mich die Krankheit, an welcher viele Europäer und selbst Eingeborene sterben, überleben.

      Die kurze Reise nach Kairo sollte nicht ohne Abenteuer endigen. Am 3. August (1847) war unser Steuermann so unvorsichtig, das mit vollen Segeln den Strom hinaufbrausende Schiff auf ein anderes laufen zu lassen, dem dadurch das Steuer zertrümmert wurde. Es war zum Unglück noch mit einer zahlreichen Menge von Weibern beladen, und diese erhoben nach dem Zusammenstoß ein so lautes, gellendes und durchdringendes Gebrüll, dass wir erschreckt aus unserer Kajüte heraustraten. Da sahen wir, dass sich von Bord des anderen Schiffes aus vier nackte Matrosen ins Wasser stürzten, auf unser Schiff zuschwammen und an demselben emporklimmten. Einer der ungebetenen Gäste bemächtigte sich des Steuers und dirigierte jetzt unser Schiff, die anderen gerieten mit unserer Schiffsmannschaft in heftigen Streit und erhoben dabei ein furchtbares Geschrei. Der ganze Hergang war uns vollkommen unverständlich, aber weil wir fürchteten, dass diese scheinbar in entsetzlicher Wut auf unserem Schiff herumtobenden Männer uns angreifen könnten, bewaffneten wir uns mit Säbel und Pistolen und stellten uns drohend vor den Eingang der Kajüte. Das ersah der Reïs als ein Mittel zur Befreiung der Eindringlinge und bat uns durch den Dolmetscher, ihm gegen »die Räuber und Mörder« beizustehen. Jetzt verwandelten wir unsere bisher passive Stellung sogleich in eine offensive. Der Baron stürzte sich auf den nackten Steuermann und hieb ihn mit seinem in Wien erst scharf geschliffenen Säbel dermaßen über den Kopf, dass er lautlos kopfüber in den Strom fiel und sich dort kaum über dem Wasser halten konnte. Ich ging mit bloßem Hirschfänger direkt auf die übrigen los und trieb sie durch scharfe Hiebe in die Flucht; unser Reisegefährte, der Engländer, griff erst zu den Waffen, nachdem er von seiner Mätresse, einer mutigen Französin, durch schallende Ohrfeigen dazu aufgefordert worden war. Meine drei Gegner warteten seine Ankunft auf dem Kampfplatz aber nicht ab, sondern stürzten sich sogleich nach dem Fall ihres verwundeten Gefährten in den Nil, um diesem zu Hilfe zu eilen. Alle vier erreichten auch glücklich das eine Ufer des Stromes und kehrten nach ihrer ebenfalls dort gelandeten Barke zurück.

      Auf dieser erhob sich ein Heidenlärm. Ein ganzer Haufen von Männern bewaffnete sich mit Knütteln und verfolgte, längs des Ufers hinlaufend, unser Schiff mit Wutgeschrei und Rachedrohungen. Man hätte sie für nordamerikanische Wilde halten können. Sie waren ganz nackt, der glattgeschorene Kopf zeigte nur die Skalpierlocke am Scheitel, ihre Farbe war so dunkel, daß sie der der Rothäute wohl ziemlich ähnlich sein konnte. Wir luden unserer Gewehre mit Kugeln, holten die Büchsen herbei und bereiteten uns ernstlich zu einem etwaigen zweiten Angriff vor. Wirklich schienen sie diesen zu beabsichtigen. Nach einiger Zeit bemächtigten sie sich einer kleinen Barke und steuerten zu uns herüber. Allein die ernstliche, ihnen durch den Dolmetscher zugerufene Drohung, dass wir sie niederschießen würden, wenn sie noch näher kämen, hielt sie zurück; sie ließen von ihrer Verfolgung ab und kehrten auf ihr Schiff zurück.

      Nur unsere gänzliche Unkenntnis des Landes und seiner Bewohner konnte unser Verfahren entschuldigen. Zwei Jahre später würde ich jene Matrosen mit der Peitsche und nicht mit dem Säbel verjagt haben. Die armen, von uns so sehr verkannten Burschen hatten keineswegs die Absicht gehabt, uns anzugreifen, sondern wollten sich von unserem Kapitän nur die Entschädigung für das ihnen zerbrochene Steuer zahlen lassen. Dass die Leute bei dieser Expedition aus vollem Halse schrien und anderweitigen Lärm zu verursachen bemüht waren, hätte einen mit ihren Sitten Vertrauten nicht beunruhigt, weil er gewusst haben würde, dass die Araber bei jeder Gelegenheit schreien und lärmen, aber es war uns ebensowenig zu verargen, dass wir nach den falschen Vorspiegelungen des Reïs auf der Hut waren. Die Schändlichkeit des Letzteren hätte leicht einige Menschenleben kosten und uns große Unannehmlichkeiten zuziehen können.

      Bei diesem Handgemenge war der Hut des Barons vom Wind entführt worden, und auch er trug in wenigen Minuten einen Sonnenstich davon, welcher schon am nächsten Morgen Delirium herbeiführte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und legte zuletzt dem in der Fieberhitze Glühenden ohne Unterbrechung nasse Umschläge auf den Kopf, obgleich ich selbst so krank war, dass ich mich kaum aufrecht halten konnte. Erst in der Fremde und auf Reisen sieht man ein, wie notwendig ein Mensch den anderen braucht. Wir waren beide krank und genötigt, uns gegenseitig zu pflegen; der Baron musste sich selbst eine Ader öffnen.