Sorgen um Christian.«
»Verständlich. Hat sie noch einmal über die Werkstatt von Herrn Kleinert gesprochen? Sie will da ja schließlich ein zweites Mal einsteigen, um zu sehen, ob sie noch mehr finden kann als beim ersten Versuch.«
»Ja, sie hat mich gebeten, mit dir darüber zu reden. Vor allem du hast ja darauf bestanden, dass sie mit dem zweiten Einbruch noch wartet, falls er etwas gemerkt haben und misstrauisch geworden sein sollte. Aber sie findet jetzt natürlich, dass die Sache mehr denn je eilt.«
»Und leider hat sie Recht«, seufzte Barbara. »Die Vorstellung, dass sie mit unserem Wissen eine Straftat begeht, ist mir allerdings nach wie vor schrecklich, Hagen.«
»Sie wird es uns erst erzählen, wenn es vorbei ist.«
»Und das soll mich jetzt beruhigen?«
Zum ersten Mal an diesem Morgen lächelte er. »Ja!«, sagte er mit Nachdruck. »Sie ist unser Trumpf-Ass, Barbara. Sie hat den bisher einzigen deutlichen Hinweis darauf gefunden, dass Corinna Roeder etwas zu verbergen hat.«
»Schon gut, du musst mich nicht mehr überzeugen«, murmelte sie. »Aber ich werde erst wieder ruhig schlafen können, wenn diese verflixte Geschichte vorbei ist.«
»Das kann dauern«, sagte er ruhig.
»Ich weiß«, stöhnte Barbara.
*
»Hier hat mein Vater gearbeitet«, sagte Christian, während er eine Tür öffnete. Er ließ Cosima höflich den Vortritt.
»Was für ein schöner Raum«, sagte sie bewundernd. »Aber eigentlich hat dieses Schloss nur schöne Räume. Ich frage mich, seit ich hier bin, wie es sein muss, in einer solchen Umgebung aufzuwachsen. Führt es nicht dazu, dass dir hässliche Dinge direkt wehtun?«
Er lächelte zum ersten Mal, seit sie ihn am Tag zuvor kennengelernt hatte. »Das hat mich noch niemand gefragt, aber ich glaube, es stimmt. Wenn ich hässliche Häuser oder Einrichtungen sehe, schließe ich oft die Augen, weil ich mich sofort unbehaglich fühle.« Er ging zu einem wunderschön gearbeiteten alten Sekretär. »Da sind noch lauter Sachen meiner Eltern drin«, sagte er. »Willst du die durchsehen?«
Sie dachte darüber nach. »Angenommen, dein Vater hätte etwas zu verbergen gehabt: Hätte er es in diesem Sekretär versteckt?«
»Bestimmt nicht, meine Mutter hat ja auch Sachen darin aufgehoben. Neulich war ich mal mit Anna hier, da haben wir alte Fotos gefunden, die hat bestimmt meine Mutter hier verwahrt.«
»Dann brauche ich auch nicht in euren persönlichen Sachen zu wühlen, Chris.«
Er bemühte sich, seine Erleichterung über ihre Antwort zu verbergen, es gelang ihm jedoch nicht ganz. »Aber du suchst doch nach Beweisen«, sagte er zögernd.
»Ich glaube nicht, dass ich sie hier finde, Chris. Wenn dein Vater kein Verhältnis mit Frau Roeder hatte, gibt es sowieso nichts zu finden. Hatte er doch eins, wird er Beweise dafür entweder vernichtet oder woanders aufbewahrt haben. Ich habe gestern Abend lange darüber nachgedacht. Für mich ist es gut, mich hier umzusehen und eine Vorstellung davon zu bekommen, was für ein Mensch dein Vater gewesen ist, auch wenn das die Gefahr vergrößert, dass ich meine Unbefangenheit verliere.«
»Warum musst du unbefangen sein?«, fragte er. »Warum kannst du nicht unsere Freundin sein, die versucht, uns zu helfen?«
Sie sah ihn nachdenklich an. »Befangenheit macht blind«, antwortete sie. »Zumindest auf einem Auge. Ich würde vielleicht Dinge, die deinen Vater belasten, übersehen, ich würde sie gar nicht finden wollen, verstehst du?«
»Aber wenn du dir der Gefahr bewusst bist, würdest du das doch verhindern können, oder nicht?«
»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Wenn mein Wunsch, euch wieder glücklich zu sehen, sehr groß wäre, würde ich bestimmt anfangen, nur noch in eine bestimmte Richtung zu denken.«
»Ich glaube, ich verstehe, was du meinst«, sagte der kleine Fürst nachdenklich.
»Trotzdem hast du nicht ganz Unrecht, Chris. Ich bin ja keine Richterin, die schließlich ein Urteil verkünden muss. Oft verlasse ich mich einfach auf mein Gefühl, und vielleicht sollte ich das auch jetzt tun.«
Er öffnete den Mund, um eine Frage zu stellen, doch sie kam ihm zuvor. »Frag mich jetzt nichts mehr, lass mir ein bisschen Zeit, ja?«
»Ist gut. Was willst du noch sehen?«
»Lass uns erst einmal hierbleiben. In diesem Raum hat dein Vater also viel Zeit verbracht?«
»Ja, sehr viel, jeden Tag.«
»Ich nehme an, hier wird regelmäßig gründlich geputzt?«
Der kleine Fürst nickte. »Ja, leider. Ich weiß schon, du fragst wegen möglicher DNA-Spuren.«
»Auf die Idee sind andere natürlich auch schon gekommen«, murmelte sie.
»Wir haben alles abgesucht, auch Papas Kleidung, aber alles war längst gewaschen und gereinigt worden, das meiste haben wir dann an Bedürftige verschenkt. Wir konnten ja nicht ahnen …« Er verstummte. Cosima drang nicht weiter in ihn. Ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren, während sie sich Einzelheiten des Raums einprägte.
Im Gespräch mit Christian war ihr bewusst geworden, dass ihre Unparteilichkeit in diesem Fall bereits verloren war: Sie hätte alles getan, um diesem traurigen Fünfzehnjährigen, der sich trotz böser Schicksalsschläge so tapfer hielt und seinen toten Vater verteidigte, zu helfen.
*
»Vielleicht muss Onkel Leo doch wieder ausgegraben werden«, sagte Anna zu ihrem Bruder. Sie waren nicht mit in den Ostflügel gegangen, da sie den Eindruck gehabt hatten, dass Cosima gern unter vier Augen mit dem kleinen Fürsten reden wollte.
»Du hast das neulich schon mal gesagt«, erwiderte Konrad, »aber weil Chris dabei war, habe ich meinen Mund gehalten. Vergiss es, Anna.«
Sie sah ihn verwirrt an. »Was soll ich vergessen?«
»Tante Lisa und Onkel Leo sind ziemlich sicher verbrannt, ist dir das nicht klar? Der Hubschrauber hat jedenfalls gebrannt nach dem Absturz, und niemand weiß genau, in welchem Zustand die Leichen waren, als der Brand gelöscht war. Keiner von uns hat sie noch einmal gesehen. Mama nicht, Papa nicht, wir drei nicht.«
Anna saß da wie vom Donner gerührt. »Darüber habe ich überhaupt noch nicht nachgedacht«, gestand sie endlich. »Ich weiß, dass wir damals, direkt nach dem Unglück, mal darüber gesprochen haben, aber seitdem …« Sie beendete ihren Satz nicht. Erst nach einer Weile fragte sie: »Glaubst du, dass Chris das bewusst ist?«
»Keine Ahnung«, antwortete Konrad. »Vielleicht verdrängt er es, ich könnte das gut verstehen. Aber die Frau Roeder weiß es garantiert, und ich wette, das hat sie in ihre Überlegungen mit einbezogen.«
»Aber das ist ja furchtbar, Konny!«, rief Anna, der allmählich bewusst wurde, was die Worte ihres Bruders bedeuteten. »Ich habe bis jetzt immer gedacht, wenn alle Stricke reißen, dann müssen wir eben Onkel Leo noch einmal ausgraben, und danach ist die Sache klar. Das geht dann ja vielleicht gar nicht.« Sie klatschte sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Wieso habe ich daran aber auch nicht mehr gedacht?«
»Weil wir alle wissen, dass Mama und Chris auf gar keinen Fall eine Exhumierung wollen. Für sie ist es eine grauenvolle Vorstellung.«
»Dann ist also alles noch viel schlimmer als sowieso schon.«
»Cosima findet vielleicht noch etwas«, sagte Konrad. »Sie ist klug, und sie ist richtig nett. Außerdem mag sie uns. Vielleicht strengt sie sich deshalb jetzt noch mehr an als vorher.«
»Das wäre schön.« Annas Stimme klang sehnsüchtig. »Ich möchte so gern, dass man uns wieder in Ruhe lässt, Konny.«
»Das wünschen wir uns alle.«
*
»Du hast dich nicht interviewen lassen«,