Tessa Hofreiter

Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman


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Gastgebern und traumverlorenen Faulenzen in der Hängematte unter den alten Apfelbäumen verbracht. Als sie Sebastian und Sophia energiegeladen und sich gegenseitig neckend vom Sattelplatz kommen sah, war sie schlagartig hellwach. Die beiden schienen sich blendend zu verstehen, so lebhaft hatte sie die Malerin bisher nicht erlebt.

      Sebastians Worte gingen ihr durch den Kopf: dass er Sophia für ein schönes Kunstwerk hielt, aber dass sie nicht der Typ Frau ist, der sein Herz erreicht. Das müsse eine ganz andre Frau sein … Anna wusste, dass ihre Gedanken eigentlich kindisch waren, sie hatte kein Recht, irgendetwas von Sebastian zu erwarten. Aber was sollte sie gegen das Herzjagen tun, das sie befiel, wenn sie sein Lächeln sah?

      »Hey, Anna Bergmann, wo bist du mit deinen Gedanken?« Seine scherzhaften Worte rissen die junge Hebamme aus ihren Gedanken. »Im Doktorhaus wird gefeiert, und du bist eingeladen.«

      »Wie? Oh, schön!«, stammelte sie überrumpelt. »Danke.«

      Der restliche Nachmittag verging damit, dass Sophia alle Anwesenden zu ihrer Geburtstagsfeier einlud und dass Pläne für das Fest geschmiedet wurden. Es würde eine Gartenparty mit italienischen und bayerischen Spezialitäten geben, man würde tanzen und einfach seinen Spaß haben können. Für Getränke und das Buffet sorgte Sophia, die Kuchen wurden zur Ehrensache für Traudel und Elise von Raven.

      »Und den Geburtstagskuchen, den man morgens anschneiden muss, den übernehme ich!«, erklärte Emilia.

      »Ich helfe bei der Deko«, versprach Toni. »Schließlich bist du so eine Art … ja, was denn eigentlich?« Hilfesuchend schaute sie in die Runde.

      Unter Gelächter und teils ernsthaften, teils absurden Vorschlägen erforschte die Runde, welche Bezeichnung für die abenteuerliche verwandtschaftliche Beziehung korrekt war. Schließlich einigte man sich auf ›die italienische Cousine‹.

      »Und was ist dein Beitrag zu Sophias Geburtstagsfeier?«, wandte Sebastian sich an Leander, der die ganze Zeit schweigend mit am Tisch gesessen hatte.

      Ein sehr liebevolles Lächeln erwachte auf dem Gesicht, das eben noch in die Ferne geträumt zu haben schien. »Etwas … Besonderes«, antwortete er mit leuchtenden Augen.

      »Hm!«, machte die praktische Traudel (die erfahrungsgemäß die meiste Arbeit haben würde). »Und was kann ich mir darunter vorstellen? Bringen Sie etwas für das Büffet mit?«

      »Nein, es ist nichts zu essen«, antwortete Leander knapp, und dann war er mit seinen Gedanken auch schon wieder woanders.

      Traudel begegnete Gertis Blick und verdrehte amüsiert die Augen, Künstler!, sagte sie wortlos.

      *

      Erst am Abend, als alle wieder zurück in Bergmoosbach waren, schien der Orgelbauer aus seiner höflichen Zurückhaltung zu erwachen. Er war mit in Sophias Auto gefahren, und als sie ihn am Hotel absetzen wollte, schüttelte er den Kopf. »Ich würde gerne noch eine Weile in meinem alten Landfahrerwagen mit dir zusammensitzen. Hast du Lust mitzukommen? Wir haben zwar schon den halben Tag miteinander verbracht, aber irgendwie habe ich das Gefühl, wir hatten gar nicht richtig Zeit füreinander.«

      Woran das wohl liegt!, dachte Sophia säuerlich. Sie war enttäuscht von Leanders Verhalten, aber gleichzeitig freute sie sich auch über seine Worte. Es war spät geworden, die Abenddämmerung zog bereits herauf, lange würde sie nicht bei Leander bleiben. »Also gut, für eine Stunde komme ich noch mit zu dir«, entschied Sophia.

      Wie an jenem anderen Abend setzten sich die beiden auf die Treppenstufen des Wagens und schauten dem Aufgehen der Sterne zu. Jetzt war nichts Träumerisch-Distanziertes in Leanders Verhalten. Sophia fühlte sich ihm wieder sehr nahe und sie wusste, dass es ihm ebenso ging.

      »Ich weiß noch so wenig von dir, Sophia Corelli«, sagte Leander sanft. »Ich möchte mehr von dir kennenlernen. Du bist so schön, aber seitdem ich dich zum ersten Mal gesehen habe, frage ich mich, was unter deiner Vollkommenheit liegt. Trägst du einen großen Schmerz in dir?«

      Seine behutsame und zugleich sehr direkte Art nahm Sophia den Atem. Niemals war sie das gefragt worden, und noch nie hatte sie von sich aus darüber gesprochen. Bis jetzt.

      »Ja, da gibt es etwas«, begann sie tastend. Leanders Arme legten sich um sie, er zog sie behutsam an sich, und es fühlte sich an wie Heimkommen. Sophia begann, von Roberto Alvarino zu erzählen, dem italienischen Künstler, mit dem sie mehrere Jahre zusammengelebt hatte. Es war eine leidenschaftliche, laute Liebe gewesen, die bestimmt wurde von Robertos Temperament, seinen Launen und seinem brennenden Verlangen nach Erfolg. Sie vereinten sich als Paar und als Künstler und erlebten anstrengende, erfüllte, leidenschaftliche und von Erfolg gekrönte Jahre.

      Bis Sophia begann, mit ihrer Kunst Robertino zu überflügeln. Sie entwickelte einen eigenen Stil, der sich mehr und mehr von seinem unterschied, und sie war erfolgreich. Roberto wurde eifersüchtig, machte ihr heftige Szenen und warf ihr vor, ihre Gemeinsamkeit zu verraten. Sophia war mehr und mehr von seinen Auftritten erschöpft; sie brauchte ihre Kräfte fürs Malen und wollte sich nicht in sinnlosen Streitereien verzetteln. Sie malte zwar weiter, aber sie zog sich aus der Öffentlichkeit zurück.

      Dann sollte es eine große Ausstellung mit neuen Werken Robertos geben. Er lebte wie im Rausch und redete nur von dem Tag, an dem er den ganz großen Erfolg haben würde. Sophia gönnte ihm seine Leidenschaft und seine Exzentrik, aber ihr selbst wurde der ganze Rummel zuviel. Deshalb fuhr sie in ein einsames Bergdorf, mietete eine einfache Unterkunft und genoss zwei Wochen Ruhe vor der großen Ausstellungseröffnung in Mailand.

      Sophia hatte ruhig und beherrscht erzählt, aber jetzt stahl sich kalte Wut in ihre Stimme, als sie weitersprach. »Ich kam also nach Hause und freute mich auf Robertos großen Tag. Unser Haus war leer, aber damit hatte ich gerechnet, ich würde Roberto wie verabredet am nächsten Tag in Mailand treffen.

      Ich dachte, ich hätte noch ein paar ruhige Stunden vor all dem Trubel, aber als ich in mein Atelier kam, traf mich fast der Schlag: es war so gut wie leer. Alle guten Bilder, die ich in den letzten Jahren gemalt hatte, waren verschwunden! Ich dachte zuerst an einen Dieb, aber es gab keine Spuren eines Einbruchs. Ich war völlig außer mir und rief sofort Roberto an.

      Er versuchte, mich zu beruhigen und sagte, den Bildern sei nichts passiert, sie wären in Mailand.

      ›Wieso in Mailand?‹, rief ich völlig konfus.

      ›Nun, sie warten in der Galerie auf die Ausstellungseröffnung‹, sagte Roberto ganz ruhig.

      ›Was? Meine Bilder?‹

      ›Nein, meine!‹

      Ich verstand gar nichts mehr. ›Rühr dich nicht von der Stelle! Ich komme, so schnell ich kann!‹, schrie ich.

      Wie eine Irre bin ich nach Mailand gerast, ein Wunder, dass nichts passiert ist! Ich stürmte in die Galerie und dann begann ich zu verstehen.

      Hier hingen meine Bilder, in einer angesagten, teuren Galerie, professionell ausgeleuchtet und in Szene gesetzt. Es war ein Anblick, von dem ich lange geträumt hatte. Allerdings war dieser Traum zu einem Albtraum geworden, denn jedes einzelne meiner Bilder – trug Roberto Alvarinos Signatur! Seine Fälschung war handwerklich perfekt, man sah nicht, dass unter seinem Namen ein anderer gestanden hatte.«

      »Sophia!« Leanders Stimme zitterte vor Empörung. »Wie kann …, wie kann er so etwas tun? Das ist einfach unfassbar!«

      »Ja«, sagte sie schlicht. »Und das Schlimmste ist: er ist damit durchgekommen. Man feierte und lobte den ›neuen Alvarino‹ in den höchsten Tönen, er hat meine Bilder für sehr viel Geld verkauft.«

      »Aber …, aber das gibt’s doch gar nicht!« Leander war noch immer fassungslos. »Du hast ihn nicht verklagt? Sein Betrug hätte sich doch bestimmt nachweisen lassen können!«

      »Dazu hatte ich keine Kraft«, erwiderte Sophia. »Der Betrug hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Diese Gemeinheit zu beweisen, wäre ein langer und beschwerlicher Weg gewesen. Du kennst die Kunstszene: man hätte sich gierig auf diesen Skandal gestürzt, und es wäre sehr viel Hässliches geschrieben worden, dem wollte