»Kann er noch nicht, dazu ist er noch zu jung!«, verteidigte Emilia prompt ihren geliebten Hund. »Außerdem hat er in meinem Zimmer geschlafen, und dessen Fenster gehen zur anderen Seite raus, also konnte er es nicht hören.«
»Vielleicht hat er es gehört und nicht gebellt, weil er die Person kannte?«, sagte Traudel nachdenklich.
»Klingt spannend!« Emilias Augen blitzten. »Hast du einen heimlichen Verehrer, Sophia?«
»Nicht wirklich«, antwortete die junge Frau. »Außer euch und der Familie von Raven kenne ich hier doch kaum jemanden.«
»Dafür kennt dich das halbe Dorf und nimmt regen Anteil an deinem Leben«, lachte Sebastian. »Vielleicht ist der Unbekannte heute Abend auf deiner Party?«
Sophia zuckte mit den Schultern. »Ich lass mich überraschen.«
Der Tag verging rasch mit Vorbereitungen. Traudel und Sophia teilten sich die Küche, und es entstanden ein köstlicher Zwiebelrostbraten, raffinierte Antipasti, Käseplatten mit bayerischen und italienischen Spezialitäten, selbst gebackene Brote, Tiramisu und Bayerische Crème mit Himbeersauce.
Nach der Schule wuselten Emilia und Freundin Toni eifrig durch Haus und Garten, um für Sitzgelegenheiten, Deko und Musik zu sorgen. Im Handumdrehen wurde es Abend, und die ersten Gäste klingelten.
»Liebe italienische Cousine, du siehst hinreißend aus!«, sagte Leopold von Raven charmant.
»Ich bin ganz deiner Meinung, Schatz«, stimmte seine Frau ihm zu.
Sophia trug ein schlichtes, schwarzes Leinenkleid mit einem spektakulären Rückenausschnitt und als einzigen Schmuck die zarte Goldkette mit dem alten Medaillon. Ihre silbrigen Haare hatte sie hochgesteckt, was die feine Linie ihres Nackens und Rückens hervorhob. Bewegt schaute sie das Geschenk der Familie an. Ihre neuen Verwandten hatten ein geschmackvolles Album mit dem abfotografierten Bild des älteren Albert von Raven und Fotos des Brunnenhofes und der jetzigen Bewohner zusammengestellt.
»Meine Familie wird sich freuen, von euch zu erfahren und die Bilder anzusehen. Und besonders schön werden sie es finden, jetzt ein Bild von Francesca zu besitzen«, sagte Sophia. Sie strich mit der Hand über das Bild ihrer Ur-Ur-Großmutter. Leopold von Raven hatte das Gemälde der jungen Frau abfotografieren, vergrößern und ebenso rahmen lassen wie das Original, das auf dem Gestüt Brunnenhof hing.
»Wie heißen eigentlich alle Vorfahrinnen zwischen deiner Ur-Ur-Großmutter und dir?«, erkundigte sich Emilia, die selbst einen italienischen Vornamen trug, interessiert.
»Francesca, Angelina, Anna-Maria und Rosa, das ist meine Mama«, antwortete Sophia. »Und wie kommst du als Kind einer Kanadierin und eines Deutschen zu deinem italienischen Namen?«
Das hat mit unserer Hochzeitsreise nach Italien zu tun, dachte Sebastian Seefeld, aber dieses zärtliche und intime Wissen behalte ich für mich. »Aus keinem besonderen Grund«, antwortete er lächelnd. »Uns hat der Name einfach gefallen.«
Jetzt winkten Gerti und ihre Schwester Sieglinde von der geöffneten Terrassentür, und Sophia ging zu den beiden Frauen hinüber. Sie hatte gerade ihr Sektglas mit dem Begrüßungstrunk wieder abgestellt, als sie den einen Gast sah, auf den sie unbewusst gewartet hatte.
»Leander!« Strahlend ging sie auf ihn zu.
»Guten Abend, Sophia«, antwortete er mit belegter Stimme. Sein Herz raste und er hatte Mühe, das leichte Zittern seiner Hände unter Kontrolle zu halten. Wie wunderschön und begehrenswert Sophia aussah, und wie strahlend sie ihn ansah! Sie kam mit ausgestreckten Händen auf ihn zu, so wie er es sich beim Schreiben des Liedes immer vorgestellt hatte. Sein ganzes Herz lag in seinem Blick, als er sie anschaute und seine Glückwünsche überbrachte.
»Leander!« Gerührt schaute die Künstlerin auf den großen Blumenstrauß, den der Mann ihr überreichte. »Was für eine liebevolle und ausgefallene Überraschung. Dass du dir das gemerkt hast!«
Auf den ersten Blick hatte sie den Strauß wiedererkannt: bis ins kleinste Detail war er dem Gemälde eines dänischen Blumenmalers des frühen neunzehnten Jahrhunderts nachgebildet. Sophia hatte Leander das Bild in einem Kunstband gezeigt und erzählt, wie wunderschön sie es fand. Der Orgelbauer hatte keine Kosten und Mühen gescheut, um dieses Bild für sie lebendig werden zu lassen.
»Wie lieb von dir, ich freue mich so sehr darüber.« Sophia stellte sich auf die Zehenspitzen und streifte seine Wange mit einem Kuss. »Du bist wundervoll!«
Leander legte seinen Arm um sie und atmete den Duft ihrer Haut und ihres Parfums. Sophia, konnte er immer nur denken, Sophia …
Langsam hob die junge Frau ihren Blick von dem traumhaften Bouquet in ihrer Hand, und sie schaute ihn zärtlich lächelnd an. »Heute am sehr frühen Morgen ist ein geheimnisvoller Unbekannter auf die Terrasse gekommen und hat meinen Platz geschmückt. Das bist du gewesen, nicht wahr?«
»Ja, Sophia, das kam von mir.«
Ihr Arm flog um seinen Hals, und für einen flüchtigen, kostbaren Augenblick legte sie ihr Gesicht gegen seines. »Das war eine wunderschöne Idee, ich danke dir! Noch nie hat ein Geburtstag so begonnen. Du bist ein wirklich bemerkenswerter Mann, Leander Florentin!«
Und wie hat dir das Lied für Sophia gefallen?, wollte er sie gerade fragen, da löste sie sich von ihm und schaute sich suchend um. »Emilia? Sieh dir diesen traumhaften Blumenstrauß an! Wo finde ich bei euch denn eine Vase, die groß genug dafür ist?«
»Komm mit, ich zeig’s dir.« Bewundernd schaute das Mädchen das Gebinde an. »Es sieht wirklich toll aus, so einen habe ich noch nie gesehen, außer …«, sie runzelte nachdenklich die Stirn, »außer in diesem Buch von Mama, in dem es um dänische Blumenmaler geht.«
Sophia lachte übermütig auf und hakte sich bei Emilia ein. »Kluges Kind! Es ist bis zur letzten Blüte genauso ein Strauß aus dieser alten Zeit.«
»Krass! Den gleichen Strauß gibt’s als altes Gemälde? Das hätte Mama auch gefallen!«, sagte sie freudig und zog Sophia mit sich Richtung Geschirrkammer, in der auch die Vasen standen.
Mühsam schluckte Leander seine Enttäuschung hinunter. Sein sehnsüchtiger Blick folgte der jungen Frau, die sich gut gelaunt zwischen ihren Gästen bewegte. So gesprächig und ausgelassen kannte er die junge Frau gar nicht, und Eifersucht stieg in ihm auf. Bei der gemeinsamen Arbeit (war sie überhaupt gemeinsam?, fragte er sich plötzlich) blieb die Künstlerin still und in sich gekehrt; auch wenn sie sich abends getroffen hatten, wirkte Sophia nicht so unbeschwert wie jetzt. Sie alberte mit den Kindern der Familie von Raven herum, tanzte mit dem ältesten Sohn Ferdinand ebenso ausgelassen wie mit dem jüngsten, dem neunjährigen Dominik. Sie stand Arm in Arm mit Traudel vor dem herrlichen Buffet und regierte mit einem fröhlichen Lachen auf die Komplimente für das Essen, das die beiden Frauen geschaffen hatten. Als Emilia mit einer glitzernden Tiara auftauchte und meinte, die müsse das Geburtstagskind unbedingt tragen, setzte Sophia den billigen Modeschmuck glücklich lachend in ihre Haare, und es war ihr völlig egal, dass sie damit ihre perfekte Frisur in Unordnung brachte.
»Die Party scheint ihr zu gefallen«, sagte Sebastian zufrieden.
Leander musterte den anderen Mann, der jetzt neben ihm stand, mit einem unergründlichen Blick. »Ja, sie amüsiert sich wirklich gut.«
»Und du? Fühlst du dich auch wohl bei uns?«
»Und wie!« Leander versuchte, Ironie und Bitterkeit nicht zu deutlich zu zeigen, aber es war ihm nicht gut gelungen.
Sebastian hatte den scharfen Unterton gehört. »Leander, ist alles in Ordnung?«, fragte er leise.
»Aber sicher! Was soll denn nicht in Ordnung sein?« Betont lässig hob der Orgelbauer sein Glas und ließ es gegen Sebastians klingen. »Auf eure schöne Party!« Er lächelte.
Vielleicht habe ich mich geirrt, dachte Sebastian. »Komm doch mit zu Vater hinüber, er brennt darauf, sich mit dir über den Orgelbau zu unterhalten«, sagte er und zog den anderen Mann mit sich.
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