Tessa Hofreiter

Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman


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genau hat es mit der Schlange auf sich?«, erkundigte sich Korbinian bei Marc, nachdem Ines das Zimmer verlassen und er seinem Gast einen Platz auf dem Sofa angeboten hatte.

      »Es war ein Angriff aus dem Dunklen«, sagte Marc und erzählte Korbinian, was passiert war.

      »Meine arme Kleine, da hat sie sicher einen gehörigen Schrecken bekommen. Und Sie sicher auch.«

      »Allerdings, im Dunklen ist es für den besten Schwimmer nicht angenehm, in ein offenes Gewässer zu fallen. Glücklicherweise konnte ich sie schnell packen.«

      »Ja, das war ein großes Glück. Ich koche uns einen Tee,«, sagte Korbinian, als Ines in einen langen weißen Bademantel gehüllt wieder ins Wohnzimmer kam und sich in den Ohrensessel mit dem Rosenmuster kuschelte. »Das sieht gut aus«, murmelte er, als er sich noch einmal umdrehte, bevor er in die Küche ging und sah, wie Marc Ines’ Hand umfasste und sie sanft drückte.

      Marc blieb an diesem Abend noch eine ganze Weile bei Ines und ihrem Großvater, trank drei Tassen Tee, die Korbinian jedes Mal mit einem Schuss Rum aufwertete, wie er es nannte. Korbinian schien auch äußerst interessiert an dem Leben, das Marc in Kanada führte, und stellte ihm viele Fragen.

      »Ich hoffe, ich habe die Prüfung bestanden, der ich mich gerade unterziehen musste«, sagte Marc, als Ines ihn später zur Tür brachte.

      »Tut mir leid, Großvater hat es wohl ein wenig übertrieben mit seinen Fragen«, entschuldigte sie sich.

      »Nein, es ist in Ordnung, er liebt dich, er will nicht riskieren, dass du dich mit dem Falschen einlässt.«

      »Das tut sie nicht«, erklärte Korbinian, der mit der Teekanne aus dem Wohnzimmer kam. »Sie haben bestanden, junger Mann«, fügte er schmunzelnd hinzu und huschte in die Küche.

      »Glück gehabt«, sagte Marc und verabschiedete sich mit einem zärtlichen Kuss von Ines.

      »Großvater, das war schon ein bisschen peinlich, dass du ihn so ausgefragt hast«, hielt Ines Korbinian vor, nachdem Marc gegangen war.

      »Geh, er hat es schon verstanden. Aber er hat offensichtlich keine Ahnung von deinem Problem«, wechselte Korbinian das Thema.

      »Nein, er wird es auch nicht erfahren.«

      »Dann hast du gar nicht vor, ihn in Kanada zu besuchen?«

      »Doch, es wäre ein Traum.«

      »Dann erfülle ihn dir, sieh dir dieses Land an, finde heraus, ob du dort leben könntest, ob du mit ihm leben könntest.«

      »Ich kann nicht auf Dauer dort leben. Was soll denn dann aus dir werden?«

      »Ich besuche euch.«

      »Aber was wäre hier bei dir zu Hause?«

      »Die anderen sind doch da.«

      »Wir haben doch schon darüber gesprochen, was Tante Carola tun würde, wenn du dich nicht mehr allein versorgen könntest. Und Tante Carola bestimmt, was in ihrer Familie passiert.«

      »Mag sein, aber möglicherweise werde ich noch einmal heiraten, dann hat sie in meinem Fall gar nichts mehr zu bestimmen.«

      »Du willst heiraten?«, fragte Ines verblüfft.

      »Denkst du, ich bin zu alt?«

      »Nein, die Liebe kennt kein Alter, ich finde es großartig.« Ines freute sich aufrichtig für ihren Großvater. »Wer ist sie?«, wollte sie wissen.

      »Sie heißt Agnes, sie wohnt in München und kommt alle paar Wochen für ein paar Tage nach Bergmoosbach. Wir haben uns vor ein paar Monaten beim Seniorentanz im Hotel Sonnenblick kennengelernt. Ich möchte, dass sie bei uns wohnt, Ines. Deshalb werde ich den Dachboden ausbauen, damit du hier unten dein eigenes Reich hast.«

      »Unsinn, Großvater, ich ziehe nach oben.«

      »Oder du erfüllst dir deine Träume. Sei mutig, Ines. Wenn es nicht klappt, dein Zuhause bei mir bleibt dir erhalten.«

      »Du meinst, ich müsste kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mir die Welt ansehen möchte?«

      »Nicht die Bohne«, antwortete Korbinian lachend.

      »Wann lerne ich Agnes kennen?«

      »Am Sonntag, wir werden zusammen die Ausstellung besuchen.«

      »Hast du es Onkel Gernot schon erzählt?«

      »Sie erfahren es am Sonntag.«

      »Das wird eine große Überraschung für sie werden.«

      »O ja, davon bin ich überzeugt«, sagte Korbinian und gönnte sich noch einen Kräutertee mit Schuss.

      *

      Am nächsten Morgen war Ines’ Zuversicht, dass sie ihre Angst vor dem Wasser schnell in den Griff bekommen würde, schon wieder verflogen. Sie war in der Nacht ständig hochgeschossen, weil sie glaubte, ertrinken zu müssen, und sie hatte sich gefragt, ob es nicht doch das Beste wäre, Marc die Wahrheit zu gestehen. Als er sie dann am Vormittag anrief und ihr sagte, dass ihn ein Geschäftspartner zu einem Segelausflug eingeladen hatte und er den Tag am Starnberger See verbringen würde, verwarf sie diesen Gedanken wieder. Eine Frau, die sich vor dem Wasser fürchtete, würde seine Zuneigung für sie vielleicht schnell infrage stellen.

      Als sie in der Mittagspause in die Drogerie ging, um einige Kosmetikartikel zu kaufen, traf sie dort auf Anna, die sie zu einer Eisschokolade in das Café am Marktplatz einlud. Sie setzten sich an einen der kleinen runden Tische, die vor dem Café unter der alten Kastanie standen, und sprachen über die Ausstellung.

      »Was ist los mit dir, Ines? Du siehst bedrückt aus«, stellte Anna nach einer Weile fest und sah sie aufmerksam an.

      »Ich habe ein Problem, wenn ich das nicht in den Griff bekomme, werde ich Marc verlieren.« Ines wusste, dass ihr Geheimnis bei Anna gut aufgehoben war, deshalb beschloss sie, sich ihr zu offenbaren. »Weißt du, es ist so, dass er auf Dauer nichts mit mir anfangen könnte«, sagte sie und erzählte ihr von ihrem Unfall am Vortag und den schrecklichen Ängsten, die sie schon so lange plagten.

      »Du solltest mit Sebastian darüber sprechen, er ist zwar kein Psychiater, aber ich denke, er könnte dir trotzdem helfen.«

      »Vermutlich müsste ich nur Schwimmen lernen.«

      »Das wird dir erst gelingen, wenn du herausgefunden hast, was dich bisher davon abgehalten hat.«

      »Es ist mir so unangenehm. Ich werbe für den Wassersport in unserer Gegend und habe eigentlich keine Ahnung, von was ich da spreche. Was hast du vor?«, fragte Ines, als Anna ihr Handy zückte und eine Nummer aufrief.

      »Manche Dinge dürfen nicht aufgeschoben werden. Hallo, Sebastian, hast du Zeit, eine Liebe zu retten?«, fragte Anna, als er sich meldete. »Ines und Marc«, hörte sie Anna sagen. »Du kannst gleich zu ihm kommen. Die Nachmittagssprechstunde beginnt um drei, ihr habt also zwei Stunden«, sagte Anna, nachdem sie das Gespräch beendet hatte.

      »Ich stehle ihm seine Mittagspause.«

      »Marc ist Sebastians Freund, er hat ein persönliches Interesse an dieser Angelegenheit. Nimm seine Hilfe bitte an.«

      »Dann rufe ich Lydia an, dass ich noch etwas zu erledigen habe und erst später wieder ins Büro komme.«

      »Sebastian findet eine Lösung, vertrau ihm«, sagte Anna und nickte ihr aufmunternd zu.

      *

      Sebastian erwartete Ines im Hof vor der Praxis. Er saß auf der Bank, die den Stamm der alten Ulme umfasste, hatte die Augen geschlossen und hielt sein Gesicht in die Sonne. In diesem Moment wirkte der selbstsichere junge Arzt verletzlich. Ines verstand sehr gut, warum Anna ihn liebte und warum Miriam und so viele andere von ihm träumten. Aber ihr Herz gehörte Marc, der noch diese Unbeschwertheit besaß, wie sie nur Menschen zu eigen war, die noch keine Verantwortung für andere zu tragen hatten.

      »Hallo, Ines, womit kann ich dir helfen?«, fragte Sebastian und schlug