Tessa Hofreiter

Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman


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dass ich dich zum Picknick einladen möchte. Der Rest ist unser Geheimnis«, sagte er und öffnete die Flasche.

      »Niemand weiß, dass wir hier sind?«, wollte sie wissen und hielt die Gläser fest, während er sie füllte.

      »Nein, niemand, wir müssten uns also selbst retten, falls wir in einen Sturm geraten, was ich aber für sehr unwahrscheinlich halte.«

      »Ja, ich auch«, antwortete sie kaum hörbar, weil es ihr bei der Vorstellung, sich möglicherweise schwimmend ans Ufer retten zu müssen, eiskalt über den Rücken lief.

      »Auf uns«, sagte Marc, nachdem er die Flasche zur Seite gestellt hatte und sie beide ein Glas mit Prosecco in der Hand hielten.

      »Auf uns«, entgegnete Ines, und sie stießen miteinander an. »Wenn du den Sonnenuntergang verfolgen willst, dann müssten wir die Plätze tauschen«, sagte sie, als die Sonne schon dicht über den Gipfeln stand.

      »Ich habe eine bessere Idee.«

      »Vorsicht!«, rief sie erschrocken, als Marc sich im selben Moment erhob und das Boot ins Schaukeln versetzte.

      »Keine Sorge, ein Ruderboot kippt nicht so schnell um. Unser Picknick ist nicht in Gefahr«, beruhigte er sie. »Hebst du bitte mal den Korb kurz an«, bat er, und während sie seiner Bitte folgte, breitete er die Decke vor ihr aus und setzte sich auf den Boden. »Komm zu mir«, sagte er, nahm ihr den Korb wieder aus der Hand und stellte ihn neben sich.

      Ines zögerte nicht lange, der Boden des Bootes erschien ihr ohnehin viel sicherer als der Sitz, von dem aus man so leicht ins Wasser fallen konnte. Vorsichtig glitt sie auf die Decke hinunter und war dabei so geschickt, dass das Boot sich kaum bewegte. Es geht doch, dachte sie und freute sich über ihren Mut. Marc nahm das Kissen von dem Sitz herunter und baute ihnen eine bequeme Rückenlehne.

      »Gemütlich«, sagte sie, und auf einmal legte sich ihre Angst. Marc war bei ihr, und die Bootswände schützten sie vor dem Wasser.

      »Ich habe Baguette mit Camembert, mit Lachs oder mit Kräuteraufstrichen anzubieten. Was möchtest du?«, fragte er.

      »Camembert, bitte«, sagte sie. Allmählich fand sie richtig Gefallen an diesem Picknick, frisches Baguette, Himbeeren mit Vanillesoße zum Nachtisch und ein grandioser Sonnenuntergang.

      Die Leute hatten wirklich recht, auf dem See war er viel beeindruckender als am Ufer. Die Gipfel der Berge waren in goldenes Licht getaucht, das Rot des Himmels spiegelte sich auf der Wasseroberfläche, und sie waren mittendrin in diesem feurigen Licht.

      »Ich wünsche mir, dass wir noch viele Sonnenuntergänge zusammen erleben«, sagte Marc, legte seinen Arm um sie und zog sie sanft an sich. »Wenn du zu mir nach Montreal kommst, dann machen wir eine Reise über den Fluss in Richtung Süden durch die Landschaft der tausend Inseln.«

      »Es sind fast 2000 Inseln«, sagte sie, weil sie erst vor kurzem einen Bericht über diese Inselgruppe im Sankt-Lorenz-Strom gelesen hatte.

      »Es sind genau 1864, meine kluge Reisebegleiterin«, sagte er und küsste sie liebevoll auf ihr Haar. »Wenn wir die Insellandschaft durchquert haben, fahren wir durch die Großen Seen im Norden bis zu den Niagara-Fällen hinauf.«

      »Das klingt ganz wundervoll.« Ines hatte zwar noch keine Ahnung, wie sie so eine Reise jemals schaffen sollte, aber heute hatte sie bereits bewiesen, dass sie ihre Angst überwinden konnte, und das war ein guter Anfang.

      »Am liebsten würde ich gleich im nächsten Monat diese Reise mit dir unternehmen«, sagte Marc.

      »So schnell bekomme ich keinen Urlaub.«

      »Du brauchst keinen Urlaub. Wie ich schon sagte, wir könnten in Zukunft zusammen arbeiten. Zu schnell?«, fragte er, als Ines ihn verblüfft anschaute.

      »Ich kann meinen Großvater nicht einfach allein lassen.«

      »Dann nimm ihn mit.«

      »Du bist verrückt.«

      »Ja, nach dir«, sagte er und streichelte sie zärtlich, bevor sie sich einem leidenschaftlichen Kuss hingaben.

      Als sie wieder aufschauten, war die Sonne am Horizont versunken, und es wurde dunkel. Genug der Herausforderung, dachte Ines. So gern sie auch mit Marc zusammen sein wollte, um es in der Dunkelheit auf dem Wasser auszuhalten, davon war sie noch weit entfernt.

      »Ich würde gern noch ein bisschen laufen, ein nächtlicher Spaziergang am See hat auch seinen Reiz«, sagte sie.

      »Ich wollte dir auch gerade vorschlagen, wieder an Land zu gehen. Auf Dauer ist es in so einem kleinen Boot nicht wirklich bequem.« Marc nahm sie noch einmal liebevoll in die Arme, bevor er sich erhob und sich auf die Ruderbank setzte. »Ich helfe dir«, sagte er und wollte Ines die Hand reichen, um ihr aufzuhelfen, aber sie war schon aufgestanden.

      Nur noch ein Schritt, dann würde sie wieder sicher auf ihrem ursprünglichen Platz sitzen.

      »Oh Gott, was ist das?!«, rief sie, weil sie plötzlich etwas am Fuß packte. Entsetzt drehte sie sich nach hinten um.

      »Ines!« Marc beugte sich nach vorn, um sie zu packen, als sie im selben Moment das Gleichgewicht verlor.

      Aber es war zu spät, er konnte es nicht mehr verhindern, dass sie rückwärts aus dem Boot stürzte.

      Das war es, ich werde sterben, dachte Ines, als sie im Wasser versank. Instinktiv streckte sie dabei die Hände nach oben, in der Hoffnung doch noch irgendwo Halt zu finden. Und auf einmal war da etwas, was ihr Halt gab, nein, etwas packte sie und zog sie nach oben. Für einen Moment glaubte sie, die gleiche Situation schon einmal erlebt zu haben, aber als sie nach Luft japsend direkt neben dem Boot wieder auftauchte, hatte sie dieses Gefühl schon wieder verdrängt. Wie durch einen Nebelschleier hindurch konnte sie Marc im Mondlicht erkennen, der sie an den Händen hielt und auf sie hinunterschaute.

      »Wie ist das denn passiert?«, fragte er, nachdem sie mit seiner Hilfe wieder in das Boot geklettert war, sich auf den Sitz mit der Lehne in Sicherheit brachte und Marc ihr die Decke um die Schultern legte.

      »Da war etwas an meinem Fuß«, stammelte sie, während sie nach Luft rang und husten musste.

      Marc nahm die Taschenlampe aus dem Picknickkorb, die er vorsichtshalber mitgenommen hatte, und leuchtete den Boden des Bootes ab. »Ich habe die Übeltäterin«, sagte er.

      »Eine Schlange!« Ines starrte auf das Reptil mit der schwarzgelben Färbung, das bewegungslos vor ihnen auf dem Boden lag und sich offensichtlich totstellte.

      »Eine Ringelnatter«, stellte Marc fest, fasste beherzt zu und warf die Schlange über Bord. »Ich nehme an, sie hatte das Boot schon vor unserer Abfahrt besetzt und ist erst in der Dunkelheit mutig genug gewesen, aus ihrem Versteck herauszukommen.«

      »Sie wollte bestimmt zurück ins Wasser.«

      »Auf jeden Fall«, antwortete Marc lächelnd.

      »Und ich brauche dringend etwas Trockenes zum Anziehen.«

      »Traudel hat mir ihr Auto geliehen, es steht am Bootsverleih. In einer Viertelstunde bist du zu Hause.«

      *

      Korbinian saß auf dem blauen Sofa im Wohnzimmer und blätterte in einer Zeitschrift, die ihre Leser mit Vorschlägen für den Umbau ihrer Häuser versorgte. Die Stehlampe neben dem Sofa brannte und machte den Raum mit dem Dielenboden, dem Kachelofen und den rustikalen Eichenmöbel erst so richtig gemütlich.

      »Kind, was ist denn passiert?« Korbinian schaute entsetzt auf, als seine Enkelin triefend nass mit einer Decke über den Schultern hereinkam.

      »Wir waren mit einem Ruderboot und einer Ringelnatter auf dem See. Die Ringelnatter war der Meinung, ich sei zu viel an Bord und hat mich abgeworfen. Das ist übrigens Marc, Großvater, und jetzt entschuldigt mich, ich brauche eine warme Dusche.« Ines hatte den ersten Schock überwunden. Vielleicht war es gerade der Dunkelheit zu verdanken, dass sie diese Sache schneller vergessen konnte. Alles erschien ihr im Nachhinein ganz unwirklich. Der Sturz ins Wasser, wie Marc sie gepackt