Tessa Hofreiter

Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman


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      Miriam war erst vor ein paar Minuten nach Hause gekommen. Sie hatte im Nachbarort einen Kunden besucht. Auf dem Rückweg hatte sie gesehen, wie das kleine orangefarbene Auto, das Traudel gehörte, mit Marc Durand am Steuer auf das Grundstück der Seefelds einbog. Sie war gleich auf ihre Dachterrasse gestürmt und hielt nun Ausschau nach Ines. Würde sie sich heute mit Marc treffen? Wenn die beiden verabredet waren, dann würde er sicher bald eintreffen, oder Ines würde sich auf den Weg zu ihm machen.

      »Sie geht wieder schwimmen?«, murmelte sie verblüfft, als sie Ines kurz darauf mit ihrer Badetasche in Richtung See laufen sah. Eilig zückte sie ihr Handy und rief Harald Baumanns Nummer auf. »Harald, geh zum See und sieh nach, ob sie sich wieder mit dem Schwimmadonis trifft«, sagte sie, als ihr Assistent sich meldete.

      »Jetzt gleich?«

      »Natürlich gleich, um Mitternacht wird sie wohl nicht mehr dort sein. Ich warte auf deinen Rückruf.« Das wird ein Fest für die Sinne, da werden ordentlich Tränen fließen, wenn alles so läuft, wie ich mir das vorstelle, dachte Ines zufrieden.

      *

      Die Seefelds saßen in ihrer gemütlichen Küche und spielten Karten, auch Anna nahm an der Schafkopfrunde teil. Alle hatten ihren Spaß, sogar Emilia, die auf die abendlichen Telefonate mit ihren Freunden zugunsten des Familienabends verzichtet hatte. Traudel hatte Käsegebäck und Salzstangen auf den Tisch gestellt, und es gab Honigbier für die Erwachsenen und Malzbier für Emilia.

      Nur Marc hatte nicht so recht Spaß am Kartenspiel, er schaute immer wieder unruhig auf die Uhr, und schließlich legte er die Karten beiseite und stand auf. »Ich gehe ein bisschen an die frische Luft«, sagte er.

      »Wir haben doch gerade erst eine Runde gespielt, und du hast schon genug?«, wunderte sich Traudel.

      »Tut mir leid«, entgegnete Marc und verließ die Küche durch die geöffnete Terrassentür.

      »Was ist eigentlich mit Ines? Warum treffen die beiden sich nicht mehr?«, fragte Emilia und spielte mit den Spitzen ihres Pferdeschwanzes.

      »Sie hat ihm schon zweimal abgesagt, was ich eigentlich nicht verstehe«, wunderte sich Traudel.

      »Sie wird zu tun haben«, sagte Sebastian und mischte die Karten neu.

      »Es sind nur noch wenige Tage bis zur Ausstellung«, sprang Anna ihm bei. Da sie von Ines’ Problem wusste, hatte er ihr erzählt, dass sie Schwimmunterricht bei Hannes nahm, und sie ahnte, mit wem sie ihre Abende verbrachte.

      »Aber die beiden sind doch noch zusammen?«, fragte Emilia und sah ihren Vater an.

      »Wenn es nicht so wäre, dann hätte Marc uns das sicher gesagt«, versicherte Benedikt seiner Enkelin. Er ahnte, dass Sebastian und Anna mehr darüber wussten, aber offensichtlich nichts dazu sagen konnten oder durften. Er wollte sie nicht mit weiteren Fragen in Verlegenheit bringen. »Teil die Karten aus, Sebastian, Emilia und ich wollen auch mal wieder gewinnen«, sagte er und zwinkerte seiner Enkelin zu.

      »Da müssen wir uns aber sehr anstrengen, Opa, wir beide stehen mal wieder von Anfang an punktemäßig gesehen an letzter Stelle«, seufzte Emilia und schob die langen Ärmel ihres weißen Sweatshirts angriffslustig nach oben.

      Marc lief die Treppe durch den Steingarten bis zur Mitte hinunter, setzte sich dann auf eine Stufe und schaute über das Dorf hinweg. Er fragte sich, warum Ines ihm schon wieder abgesagt hatte. Welche Arbeit war das, die es ihr nicht erlaubte, ihn wenigstens für ein paar Minuten zu treffen?

      »Hallo, Marc, was machst du denn da?« Miriam bremste ihr Fahrrad ab, lehnte es gegen die kleine Mauer, die die Wiese des Seefeldgrundstücks zur Straße hin begrenzte, und kam die Treppe herauf. Das läuft ja besser, als ich angenommen habe, dachte sie. Wenigstens hatte sie sich nicht umsonst in diese blöden Klamotten gezwängt. Sie war davon ausgegangen, dass sie Marc unter einem Vorwand aus dem Haus locken müsste; dass sie ihn nun allein vor dem Haus antraf, das war ein Geschenk des Schicksals.

      »Hallo, Miriam, trainierst du für ein Fahrradrennen?«, fragte er und schaute auf ihre rote Radlerhose und das rote T-Shirt.

      »Nein, ich trainiere nur für mich.« Sie setzte den gelben Helm ab und schüttelte ihre blonden Locken. »Ich dachte, du seist gar nicht da.«

      »Wie kommst du darauf?«

      »Weil, ich meine, naja, ist auch egal.«

      »Was ist egal?«, hakte Marc nach.

      »Ich liebe diesen frischen Duft der Koniferen.« Miriam beugte sich über eines der Bäumchen, die am Rande der Treppe wuchsen.

      »Miriam, was ist denn los?« Er war sicher, dass sie ihm etwas verheimlichen wollte.

      »Gar nichts, ich wundere mich einfach nur, dass du so gar nichts vom Schwimmen hältst.«

      »Wie kommst du denn darauf?«

      »Ich meine nur, weil Ines allein am See ist.«

      »Ines ist am See zum Schwimmen?«

      »Zumindest ist sie heute zur gleichen Zeit wie gestern Abend mit ihrer Badetasche losgezogen. Willst du, dass ich dich zu ihr bringe? Ich kenne die Stelle, zu der sie am liebsten geht.« Dank Harald wusste sie, dass Hannes und Ines wieder in derselben Bucht wie am Tag zuvor waren.

      »Warte, ich bin gleich wieder da.« Vielleicht irrte sich Miriam, und Ines war gar nicht zum Schwimmen an den See gegangen, sondern bereitete dort einen Urlaubsprospekt vor. Ich sollte mich nicht von ihr verunsichern lassen, dachte er und wollte ihr schon sagen, dass er nicht mitkommen würde, aber andererseits, was war schon dabei, zum See zu fahren? »Darf ich mir dein Fahrrad leihen, Sebastian?«, fragte er, während er in der Terrassentür stehenblieb und in die Küche schaute.

      »Sicher, die Garage ist offen.«

      »Danke.«

      »Nein, wir fragen nicht, was er vorhat«, sagte Sebastian, als Emilia Marc nachschaute.

      »Wir nicht, aber Nolan schon. Nolan, bleib hier!«, rief sie, als der Hund unter dem Tisch hervorschoss und auf die Wiese rannte.

      »Was hat er denn jetzt? Er führt sich doch nicht wegen Marc so auf«, wunderte sich Traudel, als Nolan bellend in den Steingarten sauste.

      »Ich sehe nach«, sagte Emilia und ging hinaus in den Garten.

      »Fang deine Bestie ein! Oder sie macht Bekanntschaft mit meinem Pfefferspray!« Miriam stand am Ende der Treppe und Nolan knurrend ein paar Stufen über ihr.

      »Er verteidigt nur sein Zuhause«, erwiderte Emilia, während sie die Treppe hinunterlief und Nolan am Halsband packte.

      »Wenn er gut erzogen wäre, wüsste er, dass von mir keine Gefahr ausgeht.«

      »Ich werde noch einmal mit ihm darüber reden.«

      »Du solltest es ernst nehmen, ich lasse mir von keinem Hund auf der Nase herumtanzen.«

      »Ich habe es verstanden, Miriam.«

      »Wir können los!«, rief Marc, der auf Sebastians Mountainbike den Weg vom Hof zur Straße hinunterfuhr.

      »Schönen Gruß an deinen Vater.« Miriam setzte ihren Helm auf, machte auf dem Absatz kehrt und ging zu ihrem Fahrrad.

      »Miriam hat Marc abgeholt«, sagte Emilia, als sie mit Nolan im Schlepptau wieder in die Küche kam.

      »Er ist alt genug, er muss wissen, mit wem er sich trifft«, antwortete Traudel, schüttelte dabei aber missbilligend den Kopf. »Du hast einen weitaus besseren Geschmack, mein Kleiner«, wandte sie sich an Nolan und streichelte ihm über den dicken flauschigen Kopf, als er sie mit seinen dunklen Knopfaugen anschaute.

      »Traudel, du bist dran«, sagte Sebastian und tippte auf die Karten, die sie in der Hand hielt. Was auch immer Marc bewogen hatte, etwas mit Miriam zu unternehmen, es lag sicher nicht daran, dass er sich plötzlich zu ihr hingezogen fühlte.

      *

      Die Sonne versank bereits hinter den Bergen, als Marc