Tessa Hofreiter

Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman


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Herr Doktor, sonst wär ich doch nicht gekommen, bei der vielen Arbeit, die ich hab!«, klagte die Frau und drückte die Hand auf ihren schmerzenden Bauch.

      Der Landdoktor musterte sie genau. »Wieder Beschwerden wegen der Galle?«, fragte er ernst.

      Die rundliche Frau nickte bekümmert.

      »Frau Sonnleitner, wie oft sollen wir uns denn noch über immer dasselbe unterhalten?« Sebastian Seefeld klang nicht unfreundlich, aber sehr streng. »Wenn Sie sich nicht umgehend die Gallenblase entfernen lassen, wird sich Ihr Zustand immer weiter verschlechtern. Ich kann das nicht mehr verantworten! Ich weiß, dass wir Hauptsaison haben und Ihr Hotel voll belegt ist, aber Ihre Gesundheit sollte doch wohl vorgehen!«

      Die Besitzerin des Hotels und sehr guten Restaurants Sonnenhof wirkte zerknirscht. »Ich weiß doch, Herr Doktor, aber heut …«

      »Kein aber, Frau Sonnleitner!« Sebastian Seefeld, der ein einfühlsamer und geduldiger Arzt war, beschloss, dass nun Zeit für harte Worte war. »Im schlimmsten Fall perforiert die Gallenblase, Gallenflüssigkeit tritt in die Bauchhöhle und führt zu einer Bauchfellentzündung. Das wiederum kann zu einer Sepsis führen, und die könnte tödlich enden. Die heutige Medizin kann sehr viel heilen, aber wenn es zu spät ist, sind die Ärzte machtlos. Und bei Ihnen ist es bereits fast zu spät, Frau Sonnleitner!«

      »Jesses!« Zenzi Sonnleiter schnappte nach Luft. »Das bedeutet …?«

      Doktor Seefeld griff zum Telefon. »Ich werde Sie sofort ins Krankenhaus einweisen und einen OP-Termin für Sie vereinbaren. Und Sie werden mit dem Krankenwagen fahren, damit Sie unter ständiger medizinischer Aufsicht sind. Sie legen sich jetzt auf die Liege und rufen Ihren Mann an, der Krankenwagen ist gleich hier.«

      Zenzi Sonnleiter war sehr blass geworden und ließ sich ohne ein weiteres Wort vom Arzt in den Nebenraum führen. Dort half Sebastian Seefeld der Kranken auf eine Liege und schob ihr ein Kissen unter den Kopf. »Das wird schon«, sagte er und drückte seiner Patientin beruhigend die Hand. »Sie sind eine starke Frau, die jetzt nur ein bisschen übers Ziel hinaus geschossen ist. Mit einer sofortigen OP und anschließender Schonung sind Sie bald wieder auf den Beinen. Organisieren Sie jetzt Ihre persönlichen Sachen, ich kümmere mich um alles andere.«

      In diesem Moment öffnete sich die Tür, und eine junge Frau trat ein, die eine leichte Wolldecke über dem Arm trug. »Grüß Gott, Doktor Seefeld. Ich wollte mich eigentlich erst bei Ihnen melden, aber ich glaube, Sie brauchen mich jetzt hier?«, sagte sie mit einem fragenden Blick auf die Patientin, die zitternd auf der Liege lag.

      »Caroline! Gut, dass Sie hier sind, wir klären alles andere später. Betreuen Sie bitte Frau Sonnleitner, ich telefoniere mit dem Krankenhaus.« Er ging rasch in das andere Zimmer hinüber und ließ die Tür halboffen stehen. So konnte er aus den Augenwinkeln verfolgen, wie sich seine neue Praxishelferin in dieser Krisensituation verhalten würde.

      »Guten Tag, Frau Sonnleitner«, sagte die junge Frau mit ruhiger, freundlicher Stimme. »Ich bin Caroline Böttcher, die neue Sprechstundenhilfe, man nennt mich Caro. Ich werde mich um Sie kümmern, bis der Krankenwagen kommt. Wenn Sie möchten, kann ich es Ihnen ein bisschen bequemer machen.« Ganz beiläufig fühlte sie Zenzis Puls, hielt kurz die eiskalten Hände der anderen Frau in ihren eigenen warmen, zog ihr die Schuhe aus und wickelte sie in eine weiche Wolldecke. Dabei plauderte sie ruhig von alltäglichen Kleinigkeiten und ließ sich von Frau Sonnleitner einige Dinge nennen, die ihr ins Krankenhaus gebracht werden sollten. »Ich kümmere mich darum, dass Ihr Mann die Liste bekommt«, versprach sie.

      »Mei, woran Sie alles denken! Bei mir ist grad alles konfus im Kopf«, sagte Frau Sonnleitner. »Da tut es gut, wenn sich mal ein anderer kümmert.«

      »Dafür sind wir da«, antwortete Caro schlicht.

      »Ich musste doch so lang warten, bis die Agentur einen Ersatz für unseren Koch schickt, der fällt wegen seines Bandscheibenvorfalls aus. Jetzt kommt einer aus München, Felix Messner heißt er. Der hat in großen Häusern gearbeitet und sehr gute Zeugnisse, er wird es hoffentlich richten.«

      »Felix Messner?« Caro horchte auf. »Der Koch Felix Messner aus München?« Ein kleines, sehr privates Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Ja, der wird’s bestimmt richten!«

      »Ach, kennen Sie ihn?«

      »Ja. Die Küche Ihres Sonnenhofs ist bei ihm in guten Händen!«

      »Dann werde ich wohl darauf vertrauen müssen«, seufzte die geplagte Hotelbesitzerin.

      Caro drückte ihr noch einmal beruhigend die Hand und begleitete die Frau zum Krankenwagen hinaus, der inzwischen eingetroffen war. »Alles Gute, Frau Sonnleitner! Wir hören von einander.«

      Nachdem Doktor Seefeld seine Patientin an die Kollegen übergeben hatte, sagte er zu seiner neuen Mitarbeiterin: »Ich hoffe, ich habe Frau Sonnleitner mit meinen klaren Worten nicht zu sehr erschreckt. Alle Vorgespräche hatten nichts bewirkt, da musste ich es so versuchen.«

      »Sie hat’s schon richtig verstanden, und ihr langes Zögern tut ihr leid, das soll ich Ihnen extra ausrichten. Frau Sonnleitner wollte nur noch die Nachricht­ der Agentur abwarten, die den Ersatzmann für ihren Koch schickt.«

      Sebastian Seefeld seufzte. »Und diese Nachricht konnte natürlich nur die Chefin persönlich entgegen nehmen?«

      Caro lächelte leicht. »Manche Dinge tut man eben am liebsten selbst.«

      »Es tut mir leid, dass Ihr Anfang hier ein wenig turbulent ausfiel, Caroline«, sagte Doktor Seefeld.

      »Das ist völlig in Ordnung, und bitte nennen Sie mich Caro«, antwortete die junge Frau.

      »Sie waren professionell und einfühlsam, Ihr Einstand hat mir gefallen, Caro«, sagte der Landdoktor anerkennend. Dann griff er nach der nächsten Patientendatei und bat Herrn Draxler hinüber ins Sprechzimmer.

      Die junge Frau setzte sich neben ihre ältere Kollegin Gerti. »Was möchten Sie, dass ich jetzt erledige?«, fragte sie diplomatisch.

      »Gehen wir die Liste mit den Hausbesuchen durch, zu denen Sie den Doktor heute begleiten.«

      *

      Zu einem der schönsten Gebäude Bergmoosbachs gehörte das sogenannte Kapitänshaus. Es war ein weißer Fachwerkbau auf einem Sockel aus Feldsteinen, hatte ein Dach aus grauen Schieferplatten, grüne Fensterläden und Türen und war von einem schönen Staudengarten umgeben. Im ersten Stock gab es einen umlaufenden Balkon aus dunklem Holz, in dessen Kästen eine Vielzahl an Blumen wuchs, und alle diese Blumen leuchteten weiß: Geranien, Sommerjasmin, Männertreu, duftende Nelken, zierliche Rosensorten und Schleierkraut.

      Besitzerin dieses Hauses war die kinderlose Witwe Magdalena Albers, ein echtes Bergmoosbacher Original. Um diese sehr alte Frau rankten sich unzählige Geschichten: um ihren großen Reichtum, ihren eigenwilligen Lebensstil, ihr Kräuterwissen, ihre skandalöse Liebesgeschichte und Ehe mit Kapitän zur See Heinrich Albers, dem 'Fremden' aus Norddeutschland.

      Caro war mit diesen Geschichten aufgewachsen und kannte auch das Haus gut, in dessen Einfahrt sie jetzt mit dem Landdoktor stand. Doktor Seefeld hatte die junge Frau über das Herzklappenleiden seiner eigenwilligen Patientin informiert. Magdalena Albers verweigerte eine Operation, und es war abzusehen, dass sie nur noch eine kleine Spanne Lebenszeit vor sich hatte. Besorgt fragte Caro sich, in welchem Zustand sie die alte Dame antreffen würden.

      Nach dem Läuten war eine gewisse Zeit vergangen, und sie wollten schon ein zweites Mal an dem altmodischen Glockenstrang ziehen, als die Tür schwungvoll geöffnet wurde und die beiden Besucher einem jungen Mann gegenüber standen.

      »Caro!«

      »Felix!«

      Doktor Seefeld musterte den jungen Mann überrascht, der seine Sprechstundenhilfe umarmt und auf die Wange geküsst hatte. Felix war groß und schlank, mit blonden Haaren und blauen Augen, und er hatte eine freundliche und sehr sympathische Ausstrahlung.

      »Grüß Gott, Herr Doktor! Ich bin Felix Messner, der Großneffe von Frau Albers«, stellte der junge Mann sich vor. »Bitte,