Tessa Hofreiter

Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman


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im Seefeldhaus die Lichter. Nach dem Kakao mit Honig, den Traudel zubereitet hatte, konnten sie alle wieder gut einschlafen.

      Bei Ines und Marc im Bauernhaus aber brannte noch lange Licht, und Miriam, die noch auf war, als die beiden kamen, spürte wieder den Neid, der an ihr nagte, diese wahre Triebfeder ihrer Intrige.

      Geschenkt, wenn sie es mit der Liebe unbedingt ausprobieren will, dann ist es eben so, dachte sie, und ganz tief in ihrem Inneren wünschte sie Ines sogar, dass es gut ging. Dass wenigstens eine von ihnen ihr Glück fand.

      »Gott, bin ich ein guter Mensch«, flüsterte sie, als ihr dieser Gedanke bewusst wurde, und als sie die Gardinen in ihrem Schlafzimmer zuzog, war sie ganz mit sich im Reinen.

      *

      Am Sonntagvormittag war alles für die Ausstellung vorbereitet. Marc und Ines hatten gemeinsam dafür gesorgt, dass jedes einzelne Gemälde gut zur Geltung kam. Eine Stunde vor dem offiziellen Einlass sahen sich Sebastian und Emilia die Ausstellung an. Marc lud währenddessen Ines, Benedikt und Traudel und Korbinian mit seiner Agnes in der Cafeteria zu einem Glas Wein ein. Agnes, eine hübsche Frau, Ende sechzig, die in ihrem hellen Dirndl noch eine jugendliche Figur machte, war Ines und den anderen sofort sympathisch, und so wie Agnes Korbinian anschaute, wusste Ines, dass sie ihn wirklich gern hatte.

      »Wir dürfen euch doch gemeinsam in Kanada besuchen?«, fragte Korbinian, legte seinen Arm um Agnes’ Schultern und schaute den jungen Mann in dem dunklen Anzug und seine Enkelin, die ein hübsches weißes Dirndl trug, abwartend an.

      »Ihr seid uns jederzeit willkommen«, sagte Marc, der überglücklich war, dass Ines bereits ihren Job an Lydia übergeben hatte und ihn in ein paar Tagen nach Montreal begleiten würde.

      Als Miriam und ihre Eltern wenig später dazu kamen, stellte Korbinian Agnes als seine Verlobte vor. Carola wurde kreidebleich, Gernot starrte seinen Vater entsetzt an und Miriam fühlte sich darin bestätigt, dass alle ihr Glück fanden und nur sie das Nachsehen hatte.

      Anna bekam von alledem nichts mit. Sie stand am Eingang zum Ballsaal und betrachtete Helenes Gemälde aus der Ferne. Sie muss ein wundervoller Mensch gewesen sein, warmherzig und liebevoll, dachte sie. Dann schaute sie auf Emilia, die das Kleid mit dem Traumfängermuster trug, das ihre Freundin ihr geschickt hatte, und sie sah auf Sebastian, der in seinem maßgeschneiderten dunklen Anzug und dem weißen Hemd noch anziehender als sonst auf sie wirkte. Vater und Tochter betrachteten schon eine ganze Weile dasselbe Bild.

      Die Sonne stand in diesem Moment direkt über der Glaskuppel und tauchte den Saal in sanftes helles Licht. Die Berge mit ihren Wäldern, die Seen und Flüsse auf den Bildern, die Menschen, die Helene in diese Landschaft eingefügt hatte, alles erschien auf einmal irgendwie lebendig.

      »Was ist das Besondere an diesem Bild, Papa, warum konntest du es nicht gleich auspacken?«, hörte sie Emilia fragen, und dann zog sich die junge Hebamme, die in dem hellgrünem Dirndl so wunderschön aussah, leise zurück.

      »Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als sie es malte«, sagte Sebastian.

      »Wie alt war ich damals?«, fragte Emilia und betrachtete den jungen Mann, der nur mit einer Jeans bekleidet im Schneidersitz unter einem roten Ahornbaum im Gras saß und ein Baby in einem gelben Samtkleidchen in seinen Armen wiegte.

      »Du warst genau drei Monate alt. Wir hatten dich ständig fotografiert und gefilmt, das ist das erste Bild, das sie von uns gemalt hat.«

      »Wir sehen glücklich aus.«

      »Wir waren glücklich, wir drei waren glücklich.«

      »Ach, Papa, sie fehlt mir so sehr«, seufzte Emilia.

      »Mir auch, mein Schatz«, sagte Sebastian und legte den Arm um seine Tochter.

      Die Ausstellung wurde ein großer Erfolg, und die Gemeinde schlug vor, sie um einige Wochen zu verlängern. Sebastian stimmte zu, nur dieses eine Bild, das ihm so sehr am Herzen lag, nahm er noch am selben Abend mit nach Hause, und er bat darum, dass der Gewinn, den sie mit der Ausstellung erwirtschafteten, den Kindern in der Gemeinde zugute kam, deren Eltern sich nicht allzu viel leisten konnten.

      – E?N?D?E?–

Cover Fiona lügt!

      »Heute ist der Tag, heute kommt sie!«, verkündete Gertrud Fechner mit Grabesstimme. Die rundliche ältere Frau starrte düster in ihre Kaffeetasse. Ihre hellblauen Augen, die sonst einen fröhlichen oder auch energischen Ausdruck hatten, guckten finster.

      »Gerti, jetzt reiß dich zusammen!«, antwortete ihre Schwester streng. Sieglinde war vier Jahre älter als ihre Schwester Gertrud, frisch pensionierte Oberstudienrätin, und hatte keine Geduld mit unbegründeten Ängsten und Jammerei.

      »Du verstehst mich nicht!« Gerti schaute ihre Schwester anklagend an. Konnte sie nicht ein wenig Mitgefühl erwarten?

      »Nein, tue ich auch nicht!« Sieglinde setzte sich, falls das überhaupt möglich sein sollte, noch ein wenig aufrechter hin. »Du tust, als sei heute der Tag deiner Hinrichtung. Dabei bekommst du nur eine neue Kollegin zu Seite.«

      »Nur!« Gerti schnaubte empört durch die Nase. »Du hast ja keine Ahnung! So ein junges Ding, noch keine dreißig Jahre, mit gefärbten Haaren und einem Tattoo! Wird alles besser wissen und anders machen wollen, als es in den vergangenen Jahrzehnten bestens funktioniert hat, erst beim alten Doktor und jetzt bei seinem Sohn. Denk doch nur an den Umgang mit dem Computer! Immer neue Programme, immer ist alles anders. Ich hasse das! Früher hatten wir unsere Karteikästen und Kalender und Stifte, das funktionierte problemlos.«

      »Früher hatten wir auch einen Kaiser«, schnitt ihre Schwester ihr das Wort ab. »Der Computer ist kein Hexenwerk, und du kannst ganz gut mit ihm umgehen. Hör auf mit dieser Schwarzseherei! Denk mal an deine neue Kollegin, wie sie sich jetzt wohl fühlen mag, das arme Ding. Muss sich neben einer gestandenen Frau behaupten, der guten Seele der Praxis Seefeld. Jahrzehnte der Erfahrung! Das ist doch auch nicht ganz einfach für diese junge Frau.«

      »Na, wenn du meinst …«, grummelte Gerti.

      Sie war zwar noch nicht ganz überzeugt, aber die geschickten Worte ihrer Schwester hatten doch einige ihrer Ängste beschwichtigt. Ihr Appetit erwachte, und sie gönnte sich noch eine Tasse Kaffee und eine Semmel. Schließlich wollte sie gut gerüstet in diesen Tag gehen, der sie vor ganz neue Herausforderungen stellte.

      Und vor Herausforderungen war Gerti Fechner, die zuverlässige rechte Hand Doktor Sebastian Seefelds, noch nie zurückgeschreckt!

      Der junge Landdoktor, Nachfolger seines Vaters Benedikt Seefeld, saß an seinem Schreibtisch, neben sich einen starken Kaffee, und unterdrückte ein gewaltiges Gähnen. Er war heute Nacht zu einem asthmakranken Kind auf ein abgelegenes Gehöft gerufen worden, und ihm fehlte Schlaf. Aber das war er gewohnt, dafür würde er heute Abend etwas früher ins Bett gehen und auf einen ununterbrochenen Nachtschlaf hoffen.

      Heute war also der erste Arbeitstag seiner neuen Angestellten. Doktor Seefeld blätterte noch einmal durch die Unterlagen der jungen Frau. Caroline Böttcher stammte aus Bergmoosbach und hatte in Kempten ihre Ausbildung in einer Kinderärztlichen Gemeinschaftspraxis absolviert, wo sie anschließend ein paar Jahre gearbeitet hatte. Im Anschluss daran war sie in der Notaufnahme der Uniklinik München tätig gewesen. Die junge Frau verfügte über vielfältige Erfahrung, hatte erstklassige Zeugnisse, und immer wurde ihr freundliches Wesen im Umgang mit Patienten lobend erwähnt.

      Sebastian Seefeld nickte zufrieden und schloss den Ordner mit ihren Unterlagen. Ja, er hatte eine gute Entscheidung getroffen. Ein leises Lächeln glitt über sein markantes Gesicht, als er an die Skepsis seiner Praxisperle Gerti dachte. Er war sicher, dass auch sie sich bald an ihre junge Kollegin gewöhnt haben würde.

      Der Arzt ging zum Annahmetresen hinüber, der wie immer weit vor Beginn der offiziellen Sprechstunde mit der zuverlässigen Gerti besetzt war. Er nickte ihr freundlich zu und bat die erste Patientin des Tages, die einen eingeschobenen Termin hatte,