Tessa Hofreiter

Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman


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Dame zu tun hatte. »Wenn Sie möchten, können Sie sich für den Rest des Tages frei nehmen. Ich erwarte Sie dann morgen in der Praxis«, bot der Landdoktor Caro an.

      »Danke!« Die junge Frau nickte ernst. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie die ganze Zeit Felix’ Hand in ihrer gehalten hatte.

      Der Rest des Tages verging mit allem Notwendigen, das getan werden muss, wenn ein Leben erloschen ist. Erst als die ersten Sterne am Abendhimmel aufzuleuchten begannen, fanden Caro und Felix Zeit und Ruhe für einander. Sie saßen in der offenen Veranda und schauten zu, wie das verblassende Abendrot in das sanfte Dunkel der Nacht überging.

      »Es war schön, dass du heute geblieben hast«, sagte Felix leise.

      Caros grüne Augen schimmerten. »Ich habe es gebraucht; ich habe dich gebraucht, Felix.«

      Er beugte sich zu ihr hinüber und legte den Arm um ihre Schultern. Mit geschlossenen Augen überließ er sich diesem Gefühl von Wärme und Vertrautheit, das ihn durchströmte. »Kennst du eigentlich die Geschichte dieses Hauses?«, fragte er. »Es ist die Geschichte einer großen Liebe.«

      »Erzähle sie mir«, bat Caro. Sie rutschte tiefer in seine Umarmung hinein, jetzt ruhte ihr Kopf auf seinem Arm, und er schmiegte seine Wange gegen ihr seidiges Haar. »Es ist so viel über deine Großtante und ihr Haus geredet worden, und nicht alles war freundlich, das habe ich noch von früher in Erinnerung. Ich glaube, es ist auch viel Neid darunter gewesen. Jetzt erzähle mir von ihrer Liebe.«

      »Eigentlich ist Magdalena nicht meine Großtante, sondern meine Ur-Großtante«, begann Felix, »das jüngste Kind auf dem Reuther-Hof. Als sie siebzehn Jahre alt war, lernte sie Kapitän Heinrich Albers kennen, der hier in der Sommerfrische war – so nannte man damals das, was heute Urlaub heißt. Es muss die ganz große Liebe gewesen sein. Heinrich war vierzehn Jahre älter und obendrein ein ›Fremder‹ aus dem Norden, Magdalenas Familie verweigerte sehr entschieden die Einwilligung zur Heirat! Nichts konnte den Vater Reuther davon überzeugen, dass seine Jüngste mit dem Hanseaten glücklich werden würde. Aber gegen alle Widerstände und gegen jedes Verbot hielten Magdalena und Heinrich zueinander und verlobten sich heimlich.

      Schließlich musste der Kapitän Bergmoosbach wieder verlassen und auf große Fahrt gehen, aber vorher begann er, dieses Haus für sich und Magdalena zu bauen.«

      »Er wollte ein Zeichen setzen«, sagte Caro träumerisch. »Er wollte Magdalena und ihrer Familie zeigen, wie ernst es ihm mit ihr war. Sie sollte in der erzwungenen Wartezeit sehen können, wie ihre gemeinsame Zukunft Gestalt annahm.«

      »Genau! Vier Jahre vergingen, in denen das Haus gebaut und eingerichtet wurde. Jede freie Zeit hat Heinrich hier im Allgäu verbracht und an der Gestaltung der Zukunft gearbeitet. Am Vorabend von Magdalenas Volljährigkeit schickte er den Hochzeitsbitter von Haus zu Haus, und am Geburtstagsmorgen stand er vor der Tür auf dem Reuther-Hof und bat noch einmal um Magdalenas Hand. Wieder sagte der alte Reuther Nein. Ihr Hochzeitsfest musste das Paar zwar ohne den Segen des starrsinnigen Vaters feiern, aber am Abend trug Heinrich seine junge Frau über die Schwelle ihres Hauses.«

      »Und das Leben hat ihnen recht gegeben! Dieser Tag war der Beginn ihrer langen, glücklichen Ehe, die erst der Tod beendet hat.« Caro ließ ihren Blick über die altmodische Veranda hinein in das Halbdunkel des Zimmers schweifen. »Das Kapitänshaus ist viel mehr als nur ein Wohnhaus. Es ist ein Symbol für Liebe und Treue, Zuversicht und Beständigkeit«, sagte Caro nachdenklich. »Wer weiß, was jetzt daraus werden mag.«

      »Ich weiß es nicht, ich habe nicht mit Tante Magdalena über ihre Pläne gesprochen«, antwortete Felix. »Ich werde so lange hier bleiben und mich um alles kümmern, bis das Testament verlesen wird. Und ich werde mich in erster Linie um Kondor kümmern. Ist dir aufgefallen, dass er heute noch kein einziges Wort gesprochen hat? Wenn Tante Magdalena es nicht anders verfügt hat, würde ich ihn gerne nehmen. Wir haben uns immer gut verstanden.«

      »Wird es dir schwerfallen, wenn das Kapitänshaus verkauft wird?«

      »Ja, sehr! Ich habe es immer gemocht, aber in diesen letzten Wochen, wo ich mit meiner Großtante zusammen hier gelebt habe, ist das Gefühl noch viel tiefer geworden.« Ein fast verlegenes Lächeln huschte über Felix’ Gesicht. »Ich weiß, es hört sich kitschig an, aber ich spüre, wieviel Liebe zu diesem Haus gehört Es tut mir sehr leid, wenn das alles mit Magdalenas Tod alles erlischt.«

      Bei Felix' Worten hatte Caros Herz zu flattern begonnen, es fühlte sich an wie zarter, aufgeregter Flügelschlag in ihrer Brust. Ihre Arme legten sich um seinen Nacken, und sie spürte, mit welcher Vertrautheit der Mann ihre Umarmung erwiderte. »Glaubst du, dass Magdalenas und Felix’ Liebe einzigartig war? Dass es heute kein Paar mehr gibt, das sich so lieben kann, über alle Widerstände und alle Zeit hinweg?«

      »Ich glaube an uns, an Caroline und Felix«, antwortete er, und seine Lippen waren nur noch einen Hauch von ihren entfernt.

      »Du meinst …?«, flüsterte sie.

      »Bleibe bei mir, Caro.« Jetzt berührte sie sein Mund, und sie konnte seine Worte an ihren Lippen spüren, als er leise sagte: »Ich liebe dich.«

      »Und ich liebe dich.«

      Sehr viel später, als der zunehmende Mond das schöne Gästezimmer des Hauses mit seinem blassen Schimmer erfüllte, beugte Caro sich über den Mann, der neben ihr lag, und suchte seinen Blick. »Warum haben wir uns das früher nicht gesagt?«, fragte sie nachdenklich.

      Zärtlich zeichneten Felix’ Fingerspitzen den feinen Schwung ihrer Augenbrauen nach. »Dass wir uns lieben? Vielleicht waren wir noch nicht so weit. Vielleicht waren wir zusammen, aber noch kein Paar? Wahrscheinlich hat einfach noch etwas gefehlt.«

      »Und das haben wir nun gefunden!«, antwortete Caroline glücklich. Sie streckte sich neben ihm aus und schmiegte ihren Kopf an seinen Hals.

      »Ja, das haben wir. Manchmal dauert es halt ein wenig, bis man sein Glück begreift. Ich für mein Teil will es nie wieder loslassen!«, murmelte Felix. Er zog die junge Frau eng an sich, und die Liebenden fielen in tiefen, traumlosen Schlaf.

      *

      Die nächsten Tage waren vollgepackt mit allem, was nach dem Tod eines Menschen zu tun ist, um einen würdevollen Abschied zu gestalten. Die Trauer, die Felix um seine Großtante empfand, wurde durch Caros verständnisvolle Liebe gemildert. Sie war an seiner Seite, wenn er abends in das stille Haus zurückkehrte, und sie half ihm, die persönlichen Dinge der Verstorbenen durchzusehen. Felix und Caro kamen sich auf eine Weise nahe, wie sie es in ihrer sorglosen, bunten Münchner Zeit nicht gekannt hatten.

      Um Magdalena Albers’ Testament rankten sich viele Gedanken und Gerüchte. So schillernd ihre Persönlichkeit gewesen war, so abenteuerlich waren auch die Vermutungen, die ihren Nachlass betrafen. Von Bankrott und einem riesigen Schuldenberg bis hin zu einem sagenhaften Vermögen, das an geheimnisvolle Nachkommen vererbt worden sei, war die Rede.

      »Ja, weiß man denn, was da noch alles ans Licht kommt? Der Heinrich, dieser Kapitän aus Hamburg, ist doch über alle sieben Meere gefahren. Und sagt man nicht, ein Seemann hat in jedem Hafen eine Braut?«, flüsterte Elvira Draxler hinter vorgehaltener Hand, als sie den Zeitungskiosk besuchte.

      »Jesses! Ob die Magdalena das gewusst hat?« Aufgeregt klopfte Afra mit den Fingerspitzen auf ihren Tresen. »Das wär dann ja wohl ein rechter Skandal!«

      »Er war ja auch schon älter und hat lange auf die Magdalena warten müssen.«

      »Ist denn das die Möglichkeit! Was würde dazu wohl die …«

      »Entschuldigen Sie bitte?« Ein junges Mädchen mit kastanienfarbigen Haaren und wunderschönen grauen Augen versuchte möglichst höflich, das Privatgespräch zu unterbrechen. Es war Emilia Seefeld, die vierzehnjährige Tochter des Landdoktors. »Könnten Sie mir bitte Papas bestellte Fachzeitschriften geben?«

      »Was? Ähm, natürlich, einen Augenblick.« Es kostete die ältere Frau sichtlich Mühe, sich von dem interessanten Thema abzuwenden, aber Geschäft bleibt Geschäft. Sie reichte dem Mädchen die vier medizinischen Zeitschriften. »Und liebe Grüße an den Herrn