Tessa Hofreiter

Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman


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Es war Mittagszeit und die Praxis für Patienten vorübergehend geschlossen. Das junge Mädchen trat an den Tresen und knallte die Zeitschriften mit etwas mehr Schwung, als nötig gewesen wäre, auf die Holzplatte. »Krass, was im Dorf so über Magdalenas Vermögen und Testament geredet wird!«

      Ihr Vater kam gerade aus seinem Sprechzimmer und hatte die letzten Worte gehört. Er lachte leise in sich hinein. »Irgendwie gefällt es mir. Sogar über ihren Tod hinaus bringt die eigenwillige Frau Albers die Menschen zum Grübeln.«

      »Schon, Papa, aber ihrem Mann mögliche uneheliche Kinder anzudichten, das geht zu weit!«

      »Damit hast du recht, meine Große!«, antwortete Sebastian Seefeld und wurde wieder ernst. »Das ist verletzend.«

      »Gut, dass Anfang nächster Woche die Testamentseröffnung ist«, warf Caro ein. »Die wird alle wilden Spekulationen beenden.«

      »Ich habe gehört, dass ein Notar anreist und dass die Testamentseröffnung im Kapitänshaus stattfindet. Das ist ungewöhnlich, und andererseits passt es zu unserer exzentrischen Magdalena«, erwiderte der Landdoktor.

      Caro hängte ihren weißen Kittel über die Stuhllehne und griff nach ihrer abgeschabten Handtasche, die in den fünfziger Jahren ein lederner Schulranzen gewesen war. »Der Notar kommt her, weil er um hundert Ecken mit Felix verwandt ist, aus der Gegend stammt und hier Urlaub machen will.«

      »Fein, dann hat der Spuk ja bald ein Ende.« Gerti schulterte ebenfalls ihre Tasche, die im Gegensatz zu der ihrer Kollegin tadellos gepflegt und gewienert war. »Wollen wir?« Hoheitsvoll wandte sie sich zur Tür und verschwand gemeinsam mit Caro in Richtung des Cafés Bernauer. Sieglinde hatte ihr geraten, ab und zu die Mittagspause mit der neuen Kollegin zu verbringen, und Gerti wollte ihren guten Willen beweisen. Möglicherweise war doch nicht alles nur beunruhigend und unangenehm, was mit dieser jungen Frau in das gewohnte Leben der langjährigen Praxishelferin gewirbelt wurde.

      »Ich finde es irgendwie witzig, dass man sich hier so den Kopf darüber zerbricht«, sagte Caro, als sie zusammen im Bernauer saßen.

      »Witzig ist wohl kaum das passende Wort dafür«, entgegnete Gerti mit gelindem Tadel.

      »Schon möglich«, antwortete Caro gutmütig. Sie verzog ihr Gesicht zu einem spitzbübischen Grinsen. »Ich könnte mir vorstellen, dass Magdalena Albers in ihrem Testament noch für die eine oder andere Überraschung gesorgt hat. Bei allem, was hier so gemunkelt wird, hat der Notar bestimmt seine Freude daran, das Dokument zu eröffnen. Felix hat erzählt, dass er Magdalena schon sehr lange kennt und dass sie sich gut verstanden haben.«

      »Es passt zu Frau Albers, dass sie keinen Juristen hier aus der Nähe beauftragt hat. Ich habe gehört, er kommt aus Bayreuth?«

      »Ja, dort hat er seine Kanzlei. Er ist so eine Art angeheirateter Onkel von Felix, der in seiner Jugend hier in der Kreisstadt gelebt hat. Sein Name ist Korbinian Wamsler.«

      Gertis Wasserglas rutschte aus ihrer Hand, landete auf dem Tisch und verursachte eine kleine Überschwemmung, die sie gar nicht zu bemerken schien. »Wie heißt er?«

      »Korbinian Wamsler«, wiederholte Caro und tupfte eifrig das Wasser auf. Erstaunt bemerkte sie, dass Gerti wie erstarrt am Tisch saß und entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit keinen Finger rührte. »Kennen Sie ihn?«

      »Wie? Äh, nein«, stotterte Gerti und erwachte ruckartig aus ihrer Starre. Energisch rieb sie die letzten Wassertropfen von der Tischplatte. »Ich kannte mal einen Jungen mit diesem Namen, aber das ist sehr lange her. Dieser Notar hat sicher nichts mit ihm zu tun. Sind Sie fertig mit Ihrer Brotzeit? Dann lassen Sie uns jetzt zurück in die Praxis gehen. Ich mag es nicht, wenn die Anmeldung erst im letzten Moment besetzt wird.«

      Caro hätte zwar gern noch ein wenig länger hier sitzen mögen, aber sie folgte ihrer älteren Kollegin zum Doktorhaus. Während der Nachmittagssprechstunde zeigte Gerti Fechner zwar ihr gewohnt ruhiges und gleichzeitig energisches Auftreten, aber Caro spürte, dass sich noch etwas anderes darunter verbarg. Manchmal schienen ihre Gedanken abzuschweifen, was sehr ungewöhnlich für die erfahrene Sprechstundenhilfe war. Irgendetwas hatte den gewohnten Lebensrhythmus der älteren Frau unterbrochen und Caro vermutete, dass es mit dem Gespräch in der Mittagspause zusammenhing. Sie kannte ihre Kollegin nicht gut genug, um danach zu fragen, von sich aus sagte Gerti nichts, und so wurde der Name Korbinian Wamsler nicht weiter erwähnt.

      *

      Je öfter Caroline ihren Felix im Kapitänshaus besuchte, desto lieber gewann sie das alte Gebäude. Es war ein ganz realer Liebesbeweis, den ein Mann seiner Frau gemacht hatte, und es war gefüllt mit Erinnerungsstücken ihres gemeinsamen Lebens. Magdalena hatte ihren Mann auf vielen seiner Reisen begleitet und Schönes aus aller Welt mit nach Hause gebracht. Von allem am meisten liebte sie Kondor, den sie als kleines Vogeljunges aus Südamerika mit nach Bergmoosbach gebracht hatte. Inzwischen war Kondor ein würdiger alter Herr geworden, der Magdalena auf einer weiten Strecke ihres abenteuerlichen Lebens begleitet hatte.

      »Sie fehlt dir, nicht wahr?«, sagte Caro mitfühlend zu dem Vogel, der stumm und zerrupft auf seiner Stange hockte. Seit Magdalenas Tod hatte der kluge Papagei kein Wort mehr gesprochen und riss sich die Federn aus. Die junge Frau hatte sich mit ihm angefreundet, und er ließ sich von ihr füttern und auch sanft den Kopf kraulen. Mit freundlicher Stimme lockte Caro ihn zum Fressen: »Komm, du magst Erdnüsse doch so gern. Lass sie dir schmecken. Und wenn nachher der Termin mit diesem Notar vorbei ist, dann gehen wir beide in den Garten, vielleicht muntert dich das ein wenig auf.«

      Ein Klopfen an der geöffneten Haustür ließ Caro sich umdrehen. Vor ihr stand ein Mann Mitte sechzig, mit grauem Haar, gepflegtem Schnurrbart und einer modischen Hornbrille. Er war groß und stattlich, und seine Kleidung verriet Stil und guten Geschmack. Der Mann hatte wache blaue Augen und ein sympathisches Lächeln, das Caro sehr anziehend fand.

      »Guten Tag! Ich bin Korbinian Wamsler, der Notar von Frau Albers.«

      »Guten Tag, Herr Wamsler, schön, dass Sie hier sind. Bitte, kommen Sie herein. Mein Name ist Caroline Böttcher.«

      Die blauen Augen musterten sie intensiv, und das Lächeln auf dem Gesicht des älteren Mannes vertiefte sich. »Ja, so habe ich Sie mir vorgestellt! Magdalena hat mir einiges von Ihnen erzählt.«

      »Oh?« Caro war verblüfft. »Wir kannten uns doch nur kurz; ich meine, als Erwachsene. Als Kind bin ich zwar auch oft hier gewesen, aber dann etliche Jahre nicht mehr.«

      Der Notar schmunzelte. »Sie haben Magdalena beeindruckt.«

      »Kann ich gut verstehen!«, sagte Felix, der jetzt neben seiner Freundin stand und ihr liebevoll den Arm um die Schultern legte. »Komm bitte herein, Onkel Korbinian, es ist alles vorbereitet. Ich möchte es jetzt so schnell wie möglich hinter mich bringen und dann meine Sachen packen.«

      »Deine Sachen packen?« Der Notar musterte den jungen Mann. »Wie meinst du das?«

      »Nun, derjenige, der Tante Magdalenas Haus erbt, wird es doch sicher selbst bewohnen oder schlimmstenfalls verkaufen wollen. So oder so werde ich mich davon verabschieden müssen, und da es mir sehr schwerfällt, möchte ich es schnell hinter mich bringen.«

      »Wenn du meinst, mein Junge? Dann lass uns jetzt Magdalena Albers’ Testament verlesen«, antwortete der Notar würdevoll.

      Felix führte seinen Onkel in die Bibliothek, in der einige – vorsichtig ausgedrückt – sehr weitläufige oder angeheiratete Verwandte Stellung bezogen hatten. Caro war von den Besuchern überrascht und warf Felix einen fragenden Blick zu. Der zuckte mit den Schultern und verdrehte die Augen. Zu Magdalenas Lebzeiten hatte sich nicht ein einziger dieser Angehörigen gemeldet oder war gar zu Besuch gekommen.

      Der Notar nahm hinter dem Schreibtisch Platz und begann mit der Verlesung seiner Schriftstücke. Wie sich herausstellte, hatte Magdalena Albers in ihrem Testament auf liebevolle und einfühlsame Weise die Menschen bedacht, die ihr im Leben hilfreich zur Seite gestanden hatten. Doktor Benedikt Seefeld und seinem Sohn Sebastian, ihren behandelnden Ärzten, hinterließ sie jeweils ein wertvolles, altes Möbelstück. Sie hatte gewusst, dass in der Familie Seefeld Antiquitäten hoch