PARTEIEN
Räuber im Gebiet Arpa-Dere Ungleicher Kampf mit schwer bewaffneter Bande. Werden nun endlich Maßnahmen ergriffen, um die Bevölkerung mit tauglichen Waffen auszurüsten? – Verfolgungstrupps angemahnt – Wer sind die Räuber?
BAUERNBUND-REGIME VOR GERICHT
Mehrere Ex-Minister verhört und unter Anklage gestellt
FEIERLICHKEITEN IN RUSSLAND: In Russland beginnen die Vorbereitungen zum bevorstehenden 200. Jahrestag der Gründung der Russischen Akademie der Wissenschaften (siehe Seite VI)
Das erste Mal, dass der neubestellte Bezirksgouverneur, der hochverehrte Herr Dantschew, von Burgas nach K. kam, war schon am 1. August, was ein Mittwoch war. Müde, unrasiert und ungnädig bestellte er die Bürgermeister der Gemeinden in den Salon der Kreisverwaltung ein und sprach zu ihnen: Meine Herren! Dass wir uns in Zukunft recht verstehen! Was ihr zu sagen habt, sagt es mir! Wagt es nie wieder, die Regierung mit euerm Firlefanz und euren unerhörten Dummheiten zu behelligen! Ja, aber!, sagten die Bürgermeister und stimmten sogleich ihr Klagelied an. Die Räuber! Höchste Zeit, so mahnten sie, die Bevölkerung zu bewaffnen! Wie sieht es denn aus heutzutage in den Gemeinden? Fünf mickrige Gewehre haben wir, das ist alles. Eins davon noch aus Türkenzeiten, eins unbrauchbar, weil mit einer geplatzten Hülse verstopft, das dritte gleich ganz ohne Patronen geliefert, so siehts aus. Und außerdem müssen unbedingt Verfolgungstrupps gebildet werden, wie es das Gesetz zur Eindämmung des Räuberunwesens vorsieht. Letzteres ist von übergroßer Wichtigkeit, nämlich da wo die Gemarkungen bewaldet sind!
Unbedingt müssen sie das, soso, höhnte Dantschew bissig. Ich werd euch was von wegen unbedingt! Auf dem Ohr sind wir taub! Vor allem solltet ihr eure Zunge hüten, weil mit allen diesen Sachen, Räuber und was weiß ich, kommen wir ganz gut alleine klar. Das ist es, was ich gemeint hab, wie ich euch sagte, ihr sollt die Regierung in Ruhe lassen. Weil, der haben eure Räuber grade noch gefehlt! Aber was macht ihr? Diese Leserbriefe an die hauptstädtischen Zeitungen, was soll das? Von wegen Baldakow und Spissarewski und dass der eine den anderen verbleut haben soll? Palaver, Motzereien, Hirngespinste! Meint ihr vielleicht, ihr wäret alleine in diesem Bulgarien? Man hat von euch die Nase voll! Haltet endlich den Rand mit euerm dammichten 26. März!
So las Dantschew ihnen die Leviten und kündigte abschließend an, sie sollten sich drauf gefasst machen, dass der Minister für Arbeit, Handel und Gewerbe ihnen die kommende Woche einen Besuch abstatte – auf eigenen Wunsch! – und sie sollten ja achtgeben, dass sie ihn gehörig empfangen. Ihm bloß nicht mit irgendwelchen Provinzpossen kommen wie die letzten Trottel. Erspart euch die Blamage!
Sprachs und fuhr von dannen mit Getöse und unfassbaren 80 km/h, indem er eine Staubwolke über der Straße nach Simniza hinterließ. Während in K. alles durcheinanderlief, um das Programm für den Empfang des Ministers vorzubereiten.
Dieser traf den darauffolgenden Dienstag ein, nämlich am 7. August 1923, was auch der Tag war, als vom Hof des hier ansässigen Petko Ch. Simidtschiew zwei Pferde gestohlen wurden – keine ganz teuren, aber auch keine ganz billigen, sondern im Gesamtwert von rund dreißigtausend oder annähernd so viel. Die Polizei setzte sich auf die Spur des Diebes und wusste schnell, wen sie zu suchen hatte; am Freitag machte sie ihn auf dem Markt von Nowa Sagora, wo er die Ware absetzen wollte, dingfest. Peter St. Komitow hieß der Mann. Noch an Ort und Stelle wurde er das erste Mal verprügelt, während der Fahrt nach K. und danach setzte es weitere Hiebe, doch kam dabei nichts weiter heraus, als dass er nur ein kleiner, dämlicher Pferdedieb war und keine Verbindungen zu irgendwelchen Untergrundräubern hatte. Die Räuber waren etwas ganz anderes, wie die Dorfbürgermeister dem Herrn Dantschew in der Plänkelei vom Mittwoch hatten begreiflich machen wollen. Eine finstere Bagage, die da jüngst im Landkreis verstärkt ihr Unwesen trieb, verdammt geschickt, tolldreist und einfach nicht zu fassen, und stahlen nicht bloß mal so eben zwei Pferde wie Peter St. Komitow, sondern langten ordentlich zu, auch anderes Vieh, herdenweise. Oder sie lauerten Reisenden und Händlern auf, überfielen sie aus dem Hinterhalt, zerrten sie aus den Kutschen und Cabriolets und misshandelten sie ausführlich, um sie zuletzt totzuschlagen – oftmals äußerst brutal und fast immer mit reichlich Blutvergießen, um die Leute in der Gegend in Angst und Schrecken zu versetzen. So widerfuhr es zum Beispiel Anton Karden, einem hier ansässigen Deutschen, der schon 1901 nach K. gekommen war und nun letzten Juli, auf dem Rückweg vom Staatlichen Zuchtbetrieb für Hornvieh und Hengste in Kaja Burun, zu Tode kam. Und dem jungen und intelligenten Viehhändler Nikifor Kowatschew aus Gabrowo, dem sie auf dem Hof eines gewissen Stujantscho Prodanow im Weiler Eski Machle den Schädel spalteten und zu Brei zerstampften. Wie sich herausstellte, hatte der junge Mann in Ausübung seiner Handelstätigkeit einhundertzwanzigtausend in bar bei sich gehabt, die bei dem Mord vollständig abhanden kamen; der Blutfleck war auf dem Hof noch lange sichtbar und hatte die Farbe von gedünsteten Dörrpflaumen.
Der Minister traf jedenfalls mit dem Abendzug von Burgas kommend ein. Er war in Begleitung von Herrn S., dem hiesigen Parlamentsabgeordneten. Zur Begrüßung der beiden soll es, wie die Zeitung Freie Tribüne hinterher schrieb, einen Menschenauflauf gegeben haben. Lachend und winkend schritten sie über den am 26. März in Mitleidenschaft gezogenen Bahnhofsvorplatz und die beiden Brücken und hielten – eskortiert von den Kutschen der Stadtoberen und einer wogenden, staubschluckenden Menge im Schlepp – festlich Einzug in K. Hier grüßte der Minister die ihn Empfangenden noch einmal offiziell und wurde sodann zu einer Übung des Feuerwehrkommandos entführt. In all dem malerischen Befehlsgedonner und Rapportgeschmetter, Rädergeratter und Alarmgeklingel wurde ihm darzustellen versucht, wie das Kommando nunmehr, ganze fünf Minuten nach Auslösung des Feueralarms, am Brandort eingetroffen sei, so wie damals in Mogila bei der Feuersbrunst vom 17. Juli, als die wackeren Burschen nach nicht ganz siebenundzwanzig Minuten vor Ort waren; diese Schnelligkeit sei keine Hexerei, sondern einzig und allein der großen Disziplin zu verdanken, die der neue Feuerwehrkommandant Baruch Eshkenasi, dessen mächtiges Organ auch jetzt durch die Rauchschwaden scholl, seiner ohnehin eifrigen Truppe eingeimpft habe. Und das, obwohl Jude!, hieß es. Und vor dem 9. Juni wäre das sowieso undenkbar gewesen, kam man zum Schluß. Das verdient volles Lob!, versetzte der Minister und begab sich nun geradenwegs in die Lesehalle, um vor dem vielköpfigen Auditorium eine Rede zu halten, die staatsmännisch knapp, klar und verständlich und unnachgiebig gegenüber den Kommunisten war.
Um halb sieben erhoben sich alle und zogen einträchtig auf die Festwiese zur großen Volksbelustigung, die die Kulturvereine der Stadt und das Orchester des legendären Siebenunddreißigsten Piriner Infanteriebataillons an diesem Tag veranstalteten und deren Programm in für K.er Verhältnisse nie da gewesener Fülle neben vielen anderen Musik- und Ringkampfnummern wilde Reiterspiele der Donkosaken aus Madame Plewizkajas Truppe vorsah, ferner Kussversteigerungen, Miss- und Mister-Wahlen, Schrotschießen, Blumen- und Konfettikanonen, Luftschlangen, Feuerwerk, Damenwahl, Lustige Wiesenpost, einen Venezianischen Abend mit japanischen Laternen im leider ausgetrockneten Flussbett, Tanz und Quadrille bis nach Mitternacht und dazu noch ein großes Konzert mit Scherzliedern und Romanzen besagter (ob ihrer Exilierung durch das neue russische Regime untröstlicher) Plewizkaja, Nadeshda Wassilewna1. Das alles bekam der Minister aufgezählt und gesagt, dass sämtliche Einnahmen an das Musikgeschwader des legendären Siebenunddreißigsten Piriner Infanteriebataillons gehen und dass die Polizeistunde extra und nur für diesen Tag hinausgeschoben worden sei, wofür Dantschew in Burgas die Genehmigung erteilt habe, und man rechne damit, die Festwiese mit Beteiligten und schaulustigen Gästen überfüllt zu sehen.
Volles Lob, wiederholte der Minister. Das alles zeuge von Einfallsreichtum und verdiene volles Lob!
Doch im nächsten Moment durchzuckte es ihn, und er erkundigte sich kühl, ob es sich bei diesem legendären Siebenunddreißigsten Piriner Infanteriebataillon zufällig um jenes Siebenunddreißigste Piriner Infanteriebataillon handle, das, wenn ihn sein Gedächtnis nicht trog, im Zusammenhang mit der berüchtigten Vierten Gendarmerie zu Pferde bei der Niederschlagung der Märzrebellion der Anarchokommunisten in Erscheinung getreten sei, und gleich am 10. Juni habe das Kabinett doch angeordnet, nicht wahr, eine Untersuchung der Vorfälle vom 26. März einzuleiten?
Da