dem schändlichen Dreck, in den es die stinkenden Bastschuhe der Tölpel, der Verbrecher vom Bauernbund getreten haben … Damit unsere Nation wieder Rettungsanker wird … Friedensstifter … Kulturträger … Rettungsträger, Kulturanker …
Das Volk, setzte er wieder an und schwenkte inbrünstig die Faust mit dem perlenbesetzten Höschen. Das Volk, das wir waren und wieder sein wollen werden, sobald wir die nötige Zeit haben … for regeneration, rebirth, revival, resurgence, renaissance – unseres nationalen Selbstbewusstseins, schlus-ss-endlich-ch-hach-ch-ch! … hol euch der Teufel!, ächzte er, während unversehens ein paar weißliche Tropfen seiner entfleuchenden Männlichkeit über das Mädchen spritzten. – Alle miteinander!, röchelte er und stieß noch einen Fluch auf Französisch aus – überraschend gewandt und furchtbar dreckig –, bevor er besinnungslos aufs Bett plumpste.
Dies also hatte die junge Frau ihren Freundinnen zu berichten, und als man sie später ausfindig zu machen suchte, um ihr für diese Lügenmärchen heimzuzahlen, war sie längst aus K. verschwunden, so dass sie ihre Aussagen nicht weiter erhärten konnte – was aber auch nicht nötig war, denn in ihrer Kommode im Mädchenpensionat fand sich, o weh, ihr zerrissenes Höschen mit den erhärteten Flecken von des Ministers Entladung.
2
Wie schwer es ist, eine berühmte Frau zu heiraten!
AUCH DAS ZWEITE KONZERT DER SÄNGERIN NADESHDA PLEWIZKAJA VOR VOLLEM HAUS • GRUSSADRESSE DER DANKBAREN BÜRGERSCHAFT • DIE TRÄNEN DER PLEWIZKAJA • TRÄNEN AUCH BEIM PUBLIKUM
FREIWILLIGER DER GENDARMERIE BEGEHT IN DER KASERNE SELBSTMORD. DIE EINZELHEITEN.
FREIW. KURUSANOW: WER WAR ER?
PRINZ ALS CHAUFFEUR: Österreichischer Ex-Erzherzog Leopold im Gefängnis. Seine Hoheit, der seit einiger Zeit einen reichen Wiener chauffiert, wurde verhaftet, weil er zu schnell fuhr. Korrespondenz der Pester Lloyd
Und immer noch in derselben atemberaubenden Nacht vom 7. auf den 8. August 1923, als das Volk sich nach der großen Volksbelustigung zerstreute und die Straßenhunde leise knurrend durch die verwaiste Stadt streunten, als einzig noch in Mitirisows Druckhaus die Walzen ratterten und rumpelten, weil dort die Freie Tribüne gedruckt wurde, als ein von der Müdigkeit, vielen Reden und vielem Trinken gefällter Minister hilflos in das extra für ihn entlauste Riesenbett im Neu-Amerika geplumpst war und der einstweilen noch unbekannte Peter St. Komitow ein Loch in den Zaun von Petko Ch. Simidtschiews Hof gemacht hatte und auf Zehenspitzen eingedrungen war, um die Pferde zu stehlen, da geschah es am anderen Ende von K., nämlich auf dem Hof der Kavalleriekaserne, dass ein gewisser Kurusanow, Freiwilliger der berüchtigten Vierten Gendarmerie zu Pferde, siebenunddreißig, ledig, weder angeklagt noch vorbestraft, zur Latrine schlich.
Dort sah er sich mehrfach um, ehe er ein Streichholz anriss und an irgendwelche Papiere hielt.
Dann zog er eine Pistole unter der aufgeknöpften Jacke der Sommeruniform hervor und schoss sich in den Mund, wovon seine Wangen bis zur völligen Unkenntlichkeit zerfetzt wurden und wie verkohlter Gummi aussahen.
Noch an selber Stelle, im Tohuwabohu der von dem Knall aufgeschreckten Kaserne, wurde zweifelsfrei festgestellt, dass die Person einer jener Räuberbanden angehörte, denen der Diebstahl von Handgranaten und sonstigen Waffen aus dem Regimentsarsenal zur Last gelegt wurde; Kurusanow höchstpersönlich sei der Ideengeber für den Raub und bei seiner Durchführung in jeder erdenklichen Weise behilflich und so weiter gewesen; bereits im Dezember 1923 sei er mehrfach mit der Lehrerin Sofija M., auch mit Armanassi Stojanow und anderen Anarchisten, gesehen worden, und diese Selbstentleibung durch den Mund sei – eindeutig! – nur deswegen verübt worden, weil Kurusanow entweder seine verbrecherischen Handlungen gegen den Staat vertuschen und alle diesbezüglichen Spuren tilgen wollte, oder weil sein Gewissen ihn plagte.
Da dies nun einmal feststand, spuckte man angewidert aus und überwand sich, den von Blut und Soldatenpisse triefenden, mit allerlei Unflat besudelten Leichnam aufzuheben und auf die erstbeste Decke zu werfen; noch vor Sonnenaufgang wurde er in der Tiefe des Kasernenhofes verscharrt, gleich neben dem schrecklichen Brunnen, in den am 26. März die zerfetzten und zerstückelten Leichen von acht – am darauffolgenden 27. noch einmal vier – jungen Anarchisten geworfen worden waren.
Als zugeschaufelt war, kehrte man zurück ins Haus und wusch sich die Hände.
(Nadeshda Plewizkaja wiederum bekam regelmäßig Briefe, in denen sie gebeten wurde, nach Russland zurückzukehren. Skoblin, ihr Gemahl, der dem Stab von Baron Pjotr Wrangel5 angehörte, schickte sie ihr nach, wo immer sie gerade weilte. Das neue System verlieh seiner Bitte auf verschiedenste Weise Nachdruck; Emissäre und Geheimagenten lockten mit reichlich Gold und Diamanten, Komfort und also Respekt; Telegramme pflasterten ihren Weg durch Europa und Amerika, doch diese vornehme Frau zog das Exil und die Freiheit und Unerschrockenheit des russischen Liedes den Diademen des Volkskommissars Georgi Tschitscherin6 vor – tat somit nur, so sagte sie, was Alexander Wertinski7 in den verräucherten, prallvoll mit Russen und glühendem Heimweh gefüllten Bukarester Kneipen und billigen Nachtklubs vormachte. Es war offenkundig, dass sie sich für länger in Bulgarien niedergelassen hatte, und Tschitscherin – der ohnehin nicht wusste, wo ihm der Kopf stand bei all den turbulenten Konferenzen, Protestnoten, feindlichem Schriftverkehr und dem unbeschreiblichen diplomatischen Hickhack – schien langsam einzusehen, dass so nichts zu machen war, winkte ab und schrieb keine Briefe mehr, statt dessen überstellte er der bulgarischen Regierung im Sommer 1923 überraschend eine diplomatische Note, in der er sie für die wachsenden Repressalien gegenüber Aktivisten des legalen Verbands zur Rückkehr in die Heimat (Sownarod)8, verantwortlich zieh. Des Weiteren erklärte er, dass im Falle, die Gefangenen würden nicht freigelassen, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken sich gezwungen sähe, gleich geartete Maßnahmen gegenüber den Hunderten in Russland lebenden Bulgaren anzuwenden – mit stillschweigender Unterstützung von Fridtjof Nansen9. Kein Wort indes in dieser Note über Nadeshda Plewizkaja! Sie selbst erfuhr von Tschitscherins Schreiben erst aus den bulgarischen Zeitungen und durfte daraus den Schluss ziehen, dass es ihm nur um die Sownarod-Gauner ging, nicht um sie. Ihre Verbitterung war groß, doch gab sie im ungastlichen Bulgarien weiterhin ihre Konzerte, als wäre nichts geschehen. Freilich in obligatorischer Begleitung einer Schar gnadenloser Kosaken, da sie die blutigen Rachegelüste des Weltbolschewismus und seiner Agenten bei Sownarod zu fürchten hatte. Tagsüber schwangen die Donkosaken virtuos ihre Säbel, führten ihre berühmten Reiterspiele auf und hatten ihre Geplänkel mit den Zeitungsreportern, weil die sie Dschigiten schimpften; abends sang sie in den verrauchten Salons der Offizierskasinos und in den nach Petroleum, Teeröl und Theaterschminke stinkenden Lesehallen, bekam Hunderte Grußadressen von Bürgern, die ihre Lieder zum Schluchzen gebracht, und drückte sich selbst ein paar heroische Tränen ab, während sie erzählte, wie man sie gewaltsam der Heimat beraubt hatte und wie sie sich seither standhaft Tschitscherins Einflüsterungen widersetzte, in das von der bolschewistischen Revolution und einem brudermörderischen Bürgerkrieg verwüstete Land zurückzukehren und sich und ihre Kunst in den Dienst des satanischen Regimes von Lenin, Leo Trotzki und Tschitscherin zu stellen, dem so viel Blut an den Händen klebte; zum Schluß trieben die Donkosaken die Traube ihrer Verehrer ohne Pardon auseinander, schlugen sich und vertrugen sich beim Saufen, wobei sie sich nicht genug wundern konnten über den in bulgarischen Kneipen herrschenden Überfluss, verschacherten ihre Kurzgewehre gegen Brot, während die Diva von einer Handvoll russischer Adliger – Freunden ihres Mannes, denen er sie auf ihren Reisen anvertraut hatte – ins Hotel nebenan geleitet wurde, wo sie regelmäßig an einem Tisch für sich zu Abend aß, während ihres Mannes Kumpane sich an den Nachbartischen betranken.)
So trat Nadeshda Plewizkaja also auch an jenem 8. August in K., nachdem sie auf dem vom Minister beehrten Volksfest gesungen hatte, noch ein zweites Mal auf – wegen der großen Nachfrage des hiesigen Publikums, jedoch auch, um Kasse zu machen. Wieder gab es Danksagungen, wieder erzählte sie,