sei dann zügig, doch ohne übermäßige Eile mit dem Fahrrad davongefahren. Die Polizei suchte den Zeugen händeringend nähere Kennzeichen zu entlocken, denn ein Fahrrad und furchtgebietendes Äußeres waren keine hinreichenden Merkmale für eine Fahndung. Doch die Zeugen bestanden darauf, dass es etwas wie besondere Kennzeichen nicht gegeben habe, und die Polizei stand dumm da.
Löblich das Verhalten des Feldhüters Guntscho Rustschow, der so umsichtig und couragiert war, die Unglücksstelle zu sichern und das, was da in den Gleisen vom armen Angelarios Papadopulos übrig war, vor Übergriffen zu schützen, bis die Polizei eintraf. Die Polizei konnte nachträglich Guntschos Verhalten nur gutheißen, da sie beim Untersuchen der Leiche feststellte, dass hier allerhand zu holen gewesen wäre. In den Schuhen und Strümpfen des Toten fanden sich 300 000 Lewa, in seiner Zigarrenschachtel weitere 2 000, und in der Aktentasche noch einmal 300.
Als nächstes ereignete sich ein Fall von Sabotage, bei dem die Täter ein Loch in den Damm oberhalb der Baumwollspinnerei brachen. Der Fluss – in dieser mörderischen Augusthitze ohnehin nur noch ein Rinnsal – floss in einen Nebenarm ab; dort aber, wo er normalerweise die Stadt durchquerte, wo sich zu beiden Ufern Hühnerställe und Klohäuschen reihten, teils aus Ziegeln, teils aus Brettern errichtet oder noch anderem, dahinter dann der Schlachthof auf der einen Seite und Gerbereien auf der anderen und dahinter wieder Klohäuschen beiderseits, zu Hunderten, schwarz und stinkend, und wo sich nunmehr an Stelle des Flusses nur noch grüne Schlammpfützen befanden, da bildete sich alsbald eine so ätzende Wolke von Ausdünstungen, dass es einem den Atem verschlug: Exkremente, Tierblut und Schlachtabfälle, die gleichfalls in den Fluss geworfen wurden (Hunde spazierten zwischen den Pfützen und Abscheulichkeiten verschiedenster Art einher und suchten sich Knochen, die sie blank nagen konnten), und dass die Jauche aus den Ställen auch im Fluss landete, versteht sich.
Die Leute unter Seufzen und Ächzen verkniffen es sich tapfer, so lange es irgend ging, bis sie schließlich doch gehen mussten und ihre Abtritte aufsuchen, denn so gebietet es die Natur, und wenn man wirklich muss, ist alles Verkneifen sinnlos, und in der Ratsversammlung gab es nur noch Streit. Es kam dort zu Debatten in ungezügelter Form und später zu offenem Blutvergießen, genauer gesagt, schlug man sich die Köpfe ein, als die mögliche Gründung eines Wassersyndikats nach amerikanischem Vorbild diskutiert wurde, so wie es der Minister am Beispiel des Miamiflusses angeregt hatte.
Aber das kam später, erst einmal kreuzte Freitag Mittag der Ex-Reviervorsteher Gantscho Baldakow in Mitirisows Schnelldruckerei Renaissance auf. Den werd ich lehren, was es heißt, einen alten Polizeimann zu verleumden!, brüllte er zornig und fiel polternd in die Redaktionsstube der Freien Tribüne ein, wo er mit der Faust auf den Schreibtisch von Todor Peow, dem Zeitungsredakteur, schlug. Todor Peow!, brüllte er ihn an. Hurensohn! Erklär mir, WAS DAS SOLL!
Mit diesen Worten warf er ihm die beanstandete Nummer der Freien Tribüne ins Gesicht, wo nämlich eine ihn betreffende Korrespondenz behauptete, er habe während des Wahlkampfs letzten April den Kandidaten Spissarewski brutal aus der Stadt gejagt. Man forderte für Baldakow (oder wie man sich auszudrücken beliebte: die Baldakows und Konsorten) eine gerechte und empfindliche Strafe, und hinterher stand dieser Artikel gar noch im Sofioter Tageblatt abgedruckt, so dass ganz Bulgarien es lesen konnte und sich ein Bild machen von dem Mann, respektive ihm, Baldakow. Diese Nummer der Zeitung war es, die Baldakow Todor Peow ins Gesicht warf, doch Peow sprang auf und rief: Du weißt wohl nicht, wo du hier bist, Bauerntölpel! Mach dass du rauskommst, aber plötzlich!
Worauf Baldakow vor Wut erbleichte und schrie, er solle sich seine Zeitung in den Arsch stecken, und dass er nicht deswegen von Smoljan runtergekommen sei, um sich von Todor Peow sagen zu lassen, wo er sich befinde, denn das wisse er sehr gut und verlange eine Erklärung und eine Rehabilitierung mit Gegendarstellung. Da sagte Todor Peow ihm gerade ins Gesicht, er wolle doch wohl nicht bestreiten, dass das, was in seiner Zeitung stehe, stimme, es sei die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, und er möge lieber schnell den Schwanz einziehen, schloss er die Warnung an, sonst kämen noch ganz andere Dinge ans Tageslicht! Oder wisse er nicht mehr, wie er Spissarewski verwamst habe, getreten, aus K. hinausgeprügelt? Und auch noch schuftig genug gewesen sei, sich ein paar Büttel dazuzuholen? Tja, Alter, leider führt dein Bauernbund nicht mehr sein blutiges Regime, dass du dein Fähnchen hissen könntest! Deine Zeit ist abgelaufen, ein für allemal, dass du es weißt! Baldakow war so verdattert, dass er zu stammeln anfing – er sei nicht gekommen, sich von Todor Peow belehren zu lassen, wollte er sagen, doch Todor Peow schnitt ihm das Wort ab: Halt den Mund, du stinkender Koyote! Mein Schreibtisch biegt sich und bricht unter der Last von Leserbriefen aus der vielköpfigen Bürgerschaft, fuhr er fort, und du kreuzt hier auf und greinst herum, weil man dich beleidigt hat, oi-oi! Baldakow, Mann, was bildest du dir ein? Du weißt doch, dass Spissarewski und Petko Enew noch unter den Lebenden sind, den Petko hast du auch verprügelt, erinnerst du dich an ihn, es wäre nicht gut, ihn zu vergessen, auch wenn er Kommunist ist! So hast du schon zwei, die gegen dich aussagen. Weshalb du deine Zunge besser hüten solltest, und überhaupt rate ich dir, zu verschwinden, die Tür geht von außen zuzumachen, falls du das nicht weißt!
So sprach Todor Peow, und Baldakow stand vor ihm mit offenem Mund, stotterte, wollte etwas erwidern – doch statt dessen machte er erstaunlicherweise tatsächlich kehrt und ging, knallte die Glastür hinter sich zu, nicht ohne die Drohung auszustoßen, er käme bald wieder, und dann kriege Todor Peow eins auf die Rübe. Erzähl das deiner Großmutter!, rief Todor Peow ihm nach. Du kannst von Glück reden, nach Smoljan versetzt worden zu sein, denn was dir hier nach dem 9. Juni geblüht hätte – ich kann dir sagen!
Ansonsten hatten die Räuberbanden in jenen Tagen auch die letzten Hemmungen verloren, sie tauchten nun schon an den Grenzen der Stadt auf – überfielen den Steuerschätzer Pawli Marinow, als er nachts gegen halb vier zum Brunnen an Karaptschanins Acker hinunterritt. Mit dem ersten Schuss töteten die unbekannten Täter sein Pferd, doch Marinow war gleich wieder auf den Beinen und geistesgegenwärtig genug, mit dem Ruf: Ihr verdammten Blutsauger, jetzt knall ich euch ab! ein wildes Feuer gegen die Angreifer zu eröffnen, auch wenn die sich schon in etwa achtzig Meter Entfernung befanden und, kaum mehr als vier unklare Schatten am Horizont, ein ungünstiges Ziel abgaben.
Von Marinows Trommelfeuer überrascht, warfen sie sich zu Boden und krochen rückwärts davon.
Dem bekannten Schnapsbrenner und Misanthropen Dontscho Balachuroolu schossen sie in die Fenster seiner Traditionskneipe und trafen einen Anwohner, der da gemütlich seinen Rakija12 trank, tödlich. Er fiel vom Stuhl, kotzte und war tot. Eine weitere zufällige Kugel traf den Büfettjungen mit dem Tablett, der noch vor dem Morgen im Ambulatorium von Kasal Agatsch13 verstarb. Die Angreifer selbst lösten sich in Luft auf; die Telegraphendrähte in der Umgebung hatten sie vorsorglich gekappt und flohen auf Fahrrädern – mit eingeschalteter Beleuchtung! – in nördlicher Richtung, dem Balkangebirge entgegen. Dummerweise gab es niemanden, der die Täter hätte verfolgen können – die Wachleute vor Ort waren alle drei stockbesoffen und pennten auf dem Revier, und das am hellichten Tag.
Jedenfalls ergaben sich bei anschließender Prüfung des Falles wiederum drei Verdachtsmöglichkeiten: Es konnten entweder die Kommunisten, die illegalen Anarchisten oder Räuberbanden gewesen sein.
Im Zusammenhang mit dem Selbstmord des Freiw. Kurusanow ging man hin, einen gewissen Iwan zu verhaften, Freiwilliger auch er, der aber gerade auf Urlaub war; man fand ihn Schnaps trinkend bei sich zu Hause vor. Er wurde also verhaftet, ergriff jedoch auf dem Weg zur Kaserne die Flucht; die Wache rief ihn dreimal an: Halt! Halt oder ich schieße! – doch der Mann blieb nicht stehen. Daraufhin hob einer der Wachleute das Gewehr und streckte ihn mit einem zielsicheren Genickschuss nieder.
So kam dieser Iwan beim erfolglosen Fluchtversuch zu Tode.
Kurz darauf verbreitete sich in K. in Windeseile das Gerücht, der erst beinahe ertrunkene und dann erfrorene Stefan Slawow, zu Lebzeiten überzeugter Anarchokommunist, am 11. März unter tränenreicher Anteilnahme vieler junger Leute zu Grabe getragen, sei wiederauferstanden! Worauf die ganze Stadt, Jung und Alt, zum Stadtgottesacker eilte, das Wunder – wenn nicht gar den Auferstandenen leibhaftig – zu sehen …
Doch die umgehend vor Ort erfolgte medizinische Untersuchung des Exhumierten ließ keinen Zweifel zu, dass der