gab es kein Brot.
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Bäckerstreik!
MISSACHTUNG DER BREITEN BEVÖLKERUNG – NOTSTANDSENTSCHEID DES POLIZEIDIREKTORS: MILITÄRISCHE HILFE ANGEFORDERT – WER SIND DIE INITIATOREN?
GESTERN ABEND:
FEUER IN DER STADT!
BRANDSTIFTUNG ODER UNGLÜCKSFALL?
Neue Brotpreise
DAS NEUESTE IN KÜRZE: 119 000 Arbeitslose in Moskau (Nach einem Bericht der Le Matin). In Amerika sollen 200 Handelsschiffe vernichtet werden (Nach einem Bericht der Le Matin).
Angefangen hatte es damit, dass die Regierung im Sommer 1923 auf einmal die Brotpreise einfror. Graubrot durfte fünf Lewa der Laib kosten, weißes sechs. Die Bäcker waren entrüstet und riefen noch im Juni: Nicht mit uns! Das hats noch nie gegeben – dass einem die Regierung vorschreibt, für wie viel man sein Brot verkauft! Wir sind dagegen! Fünf Lewa fürs Graubrot – das ist der helle Wahn. Die haben sie wohl nicht alle!
Aber bei der Stadt waren sie schnell dabei zu erklären: So ist die Lage. Fünf Lewa das graue, sechs das weiße – und Punkt! Das habt ihr davon, dass ihr es früher immer übertrieben habt mit den Preisen. Einfach festgelegt, wie es euch gefiel, absolut hemmungslos! Das kann nicht euer Ernst sein, entgegneten die Bäcker. Wer hier hemmungslos übertreibt, das sei ja wohl die Frage. Die etwa, welche das Volk in diesen schweren Zeiten, trotz größter Entbehrungen und unverschämter Mehlpreise, auf das Gewissenhafteste zu ernähren nicht müde geworden seien? … Zuletzt waren die Bäcker eingeschnappt und kamen drauf, ihre Einkünfte unlauter zu mehren, indem sie die Brote kleiner machten – neunhundert Gramm statt ein Kilo, manchmal gar noch darunter. Und verkauften sie als Zweipfundbrot. Als der Betrug herauskam und die Stadt sie mit horrenden Strafen belegte, wussten die Bäcker noch auf andere Weise zu tricksen, das Brot wurde ungenießbar davon. Das war schon kein Brot mehr. Verkauft wurde es obendrein altbacken, nachdem es zwei Tage versteckt in den Backstuben gelagert hatte, erst dann kam es nach vorne zum Verkauf. Altbacken, schliffig, nach Kleie schmeckend und was nicht noch.
Sieben der Bäcker waren aber organisierte Anarchosyndikalisten. Die schafften es, die Bäcker- und Müller-Innung auf ihre Seite zu kriegen, selbst die örtliche Gewerkschaft hörte auf sie, richtete sich, wer weiß warum, nach ihren Wünschen. Und diese Sieben waren der Meinung, man käme mit solchen Mitteln – der Trickserei mit dem Brot und so weiter – auf keinen grünen Zweig, vielmehr brauche es einen Streik, auf dass die sieche Macht des Kapitals den Schwanz einziehe. Genossen!, stachelten sie die Zunftgenossen auf, es ist Zeit zum Handeln! Streik – jetzt und unverzüglich!
Die Agitatoren der Kommunistischen Partei hinwiederum (die aber umständehalber in jenem staubigen Sommer 1923 keinerlei Einfluss auf die Bäcker von K. hatte) belagerten die Bäckereien und Brotläden und mahnten die Bäcker mit müden Worten, zur Besinnung zu kommen. Könnt ihr denn nicht zwei und zwei zusammenzählen, Leute?, sagten sie. Das ist doch jetzt, sagten sie, der völlig falsche Moment für eine solche Aktion! Ein von euch angezettelter Streik würde euch unweigerlich auf die Füße fallen, das Volk würde sich abwenden von euch. Ein solcher Streik wäre ahistorisch und für die Mächtigen nur ein willkommener Anlass, euch in den Staub zu treten! Und uns bei der Gelegenheit gleich mit! Um Gottes willen!, riefen sie. Überlegt es euch gut!
So redeten die Kommunisten zu ihnen und fragten sie außerdem mit düsterer Miene, ob sie denn wenigstens gut vorbereitet seien. Die Bäcker verdrehten die Augen: Vorbereitet, was soll das heißen, fragten sie säuerlich. Da haben wirs, seufzten die Kommunisten mitleidig, ihr wisst anscheinend nicht mal, was eine gute Vorbereitung ist. Wenn das so ist, da fragt man sich doch ernstlich, was ihr eigentlich erreichen wollt. So kann die Sache ja nur schief gehen. Jetzt hört gefälligst mal zu! Von Streiks verstehen wir mehr als ihr! Wer soll euch unterstützen? Absolut keiner wird den kleinen Finger rühren euretwegen! Jeder wird den Streit als politisches Abenteuer interpretieren. Dünnhäutig, wie die Leute heutzutage nun mal sind … Sowieso sitzen wir alle auf einem Pulverfass, und da habt ihr gerade noch gefehlt mit euerm Streik, damit alles in die Luft fliegt. Anspucken werden die Menschen euch!
Doch kaum waren die Kommunisten aus der Tür, kamen die Anarchisten herein mit einem saftigen Fluch und sagten: Hört bloß nicht auf diese Renegaten! – und dass von den Handlangern der Bourgeoisie sowieso kein guter Rat für das Proletariat zu kriegen sei. Haben wir nicht erlebt, fragten sie, wie sie sich am 9. Juni verhielten? Haben sie ihren Arsch in Sicherheit gebracht oder nicht? Natürlich haben sie! Und jetzt kommen sie gelaufen und wollen euch den Streik ausreden, weil sie sehr genau wissen, dass ihr die Macht damit augenblicklich in die Knie zwingen könnt! Und zwar vor euch, nicht vor ihnen! Dass die Regierenden gezwungen sein könnten, euren gerechten Forderungen nachzukommen und höhere Brotpreise zuzulassen, denn wenn das Volk hungern muss, wird es zuerst die Regierung verfluchen …
Die Kommunisten hörten sich diese Reden an, knirschten ohnmächtig mit den Zähnen und fragten: Wie stellt ihr euch das vor, Leute, dass die Regierung von einem Streik in die Knie geht? Die Regierung auf den Knien, wie soll das aussehen? Warum weckt ihr in den Menschen falsche Erwartungen? Habt ihr vergessen, dass die Garnison eine Großbäckerei hat? Seid ihr noch nicht auf die Idee gekommen, dass die Stadtverwaltung mit dem Militär ruck-zuck übereinkommen könnte, die Bäckerei zu übernehmen, so dass man euch die kalte Schulter zeigen könnte, zumal das Mehl für die ganz billig zu kriegen ist, und dann werdet ihr euch in den Arsch beißen …
Ha, das wollen wir erst mal sehen!, verkündeten die Anarchosyndikalisten, und in ihren Augen funkelte ein orangenes Feuer. Dieses Funkeln hatten sie immer, wenn sie, heiser von wenig Schlaf und vielem Reden, für den Streik agitierten.
Danach hielten es die Kommunisten anscheinend für ihre mindeste Pflicht, die Öffentlichkeit von dem bevorstehenden Streik zu unterrichten. Sie beriefen eine öffentliche Versammlung in der Lesehalle ein. Doch es kam etwas dazwischen, wovon man nicht genau wusste, was es war, jedenfalls fiel die Versammlung aus: Die Leute, die der Ausrufer zusammengetrommelt hatte, saßen eine Stunde umsonst in der Lesehalle herum und gingen am späten Nachmittag unverrichteter Dinge und höchst irritiert wieder nach Hause, ohne die leiseste Ahnung, wer sie eigentlich einbestellt hatte und wozu.
Die Müller, Bäcker und Brotverkäufer liehen mal den Anarchosyndikalisten, mal den Kommunisten ihr Ohr, schwankten noch eine Weile, bis sie zuletzt aber doch am übermenschlichen Funken in den Augen der Anarchisten Feuer fingen, und so kam es zum Streik.
Es geschah am Montag, dem 13. August, dass die Bürger der Stadt, so sie ihr Brot nicht selbst buken, überall wie gelähmt vor den geschlossenen Fensterläden der Brotbänke standen – unbeschreiblich überrascht und fassungslos, mit offenen Mündern, und dann ging natürlich das Gemurre los. An diesem Morgen kam es zu etlichen heftigen Zusammenstößen.
Die Streikenden ihrerseits standen mit verschränkten Armen und schwiegen, nur manchmal knurrte einer von ihnen: So ist die Lage, basta, seht mal zu, wie ihr klarkommt – wir rackern uns nicht mehr tot, um doch nur Minus zu machen!
Der Polizeidirektor fuhr mit dem Bürgermeister schon frühmorgens halb acht von einem zum anderen und stellte die Bäcker zur Rede: Wie sie sich das denn vorstellten, sollte die ganze Stadt ohne Brot bleiben? Dann luden sie ein paar Vertreter ins Rathaus und sagten, man könne doch einmal ganz entspannt über alles reden. Aber die Bäcker zeigten ihnen die Zähne. Da siehst du mal, Bürgermeister, und Sie, Herr Polizeidirektor – jetzt sollt ihr alle mal erleben, was es heißt, ohne Brot dazustehen. Und dann werden wir ja sehen, ob ihr unsere gerechten Forderungen nicht doch respektiert! Bisher haben wir uns nur den Mund fusslig geredet, jetzt geht es anders rum. Damit ihrs wisst: Der Bäcker ist im öffentlichen Leben von heute eine Zentralgestalt!
Nun macht mal halblang, riefen der Bürgermeister und der Polizeidirektor konsterniert. Setzen wir uns doch an einen Tisch und