Christo Karastojanow

Teufelszwirn


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sich in letzter Zeit gerne trafen.

      Tatsächlich waren sie da: Der Junge kam dazu, wie sie heftig stritten. Bei seinem Anblick verstummten sie jedoch, äugten misstrauisch, und als Lasar seinerseits die Frage stammelte, wieso denn der Klub zu sei und ein Schloss davorhänge, da schnaubten sie, das gehe ihn einen Dreck an. Ein Wort gab das andere, und der Streit ging wieder los, wie in der Schule schon das ganze Frühjahr und den Winter davor. Denn dazu muss man wissen, dass in den Klassenräumen des Gemischten Pädagogischen Gymnasiums von K. tagtäglich Grabenkämpfe stattfanden zwischen unversöhnlichen Feinden: Kommunisten und Anarchisten; es genügte ein Wort, dass der unbezähmbare Streit wieder aufflammte, Augen feurig wurden, Fäuste sich ballten. Die Lehrer betraten die aufgewiegelten Räume und suchten vergeblich die Stimmgewalt zu erringen, Ruhe und Ordnung wieder herzustellen, sie konnten noch so empört Zeigestock, Holzzirkel und -dreieck auf die Tische knallen, keiner nahm sie zur Kenntnis; jemanden zu prüfen hatte ebenso wenig Sinn, wie eine neue Lektion beginnen zu wollen. So wie dort geschah es nun auch hier, und da der Streit vom Zaun gebrochen war, dauerte es nicht lange, dass man auf den 26. März kam und der Name Sofija M. fiel. Was den 26. März anging, so ließen die Komsomolzen Lasar wissen, dass alle gleichermaßen angeschissen wären damit, und beim Namen Sofija M. kochten sie vollends über: Hör uns bloß auf mit Sofija M.! Seht ihr immer noch nicht, dass solche wie eure Sofija M. an allem schuld sind? Und dass, überbrüllten sie ihn, einer wie Sofija M. nur daran gelegen ist, uns gegeneinander aufzuwiegeln, zu verfeinden? Einen Keil wollen die zwischen uns treiben, Mann, dass wir uns gegenseitig an die Gurgel gehen und kaltmachen, das wäre denen am liebsten! Und weil wir alle miteinander blöd genug sind, ihr genauso wie wir, haben sie den Dreh gefunden, dass wir aufeinander eindreschen.

      Da ging nun auch Lasar Minkow der Hut hoch, er brüllte: Untersteht euch, noch einmal den Namen Sofija M. in den Mund zu nehmen, sonst fliegen die Fetzen! Sofija M. soll schuld am 26. März sein? Wisst ihr, was ihr da sagt? Sie ist eine Heilige!, ereiferte er sich. Schändet ihren Namen nicht, sonst weiß ich nicht, was geschieht! Ist ja gut, lenkten die anderen friedfertig ein. Dass sie ganz allein schuld ist, wollen wir gar nicht behaupten – solche wie sie, war gemeint! Und da die Jungkommunisten sahen, dass Lasar immer noch auf hundertachtzig war, sie aber keine Lust mehr zum Streiten hatten, reichten sie ihm die Hand. Nur dass Lasar nicht daran dachte einzuschlagen, im Gegenteil: Er sprang zurück und hob einen Stein auf, wie um ihn zu werfen. Ach, sagten die Jungkommunisten verdrossen. Wussten wirs doch. Mit euch kann man nicht normal reden … Lasar aber, als er sah, dass die anderen sich verächtlich abwandten, stieß einen dreckigen Fluch aus und warf den Stein tatsächlich.

      Ha!, riefen die Komsomolzen verdutzt. Wen wolltest du treffen mit deinem verdammten Stein, du anarchistisches Arschloch? Wen hast du auf dem Kieker, sag an!

      Und sie wollten sich auf ihn werfen, doch Lasar, als er begriff, dass er verprügelt werden sollte, zog hektisch die Pistole unter der Achsel hervor, fuchtelte damit und zischte: Kommt nur näher! Kommt! – und als die anderen tatsächlich ankamen und nach der Pistole grapschten, sie von sich abzuwenden suchten, gen Himmel oder zur Erde, da drückte der Junge ab …

      Der Schuß ging los, verhallte dumpf und mickrig über ihren Köpfen. Es klang eher lächerlich und blöd.

      Doch im selben Moment kamen rings aus den Büschen überall Polizisten gesprungen!

      Sofort ließen die Jungen von Lasar ab, stoben blitzartig in alle Richtungen davon; er ließ einen zweiten Schuss in den Abendhimmel gehen und lief gleichfalls los. Halt! Halt! Halt!, brüllten die Polizisten und nahmen mit Krach und Getöse die Verfolgung der zwischen Büschen und Bäumen Haken schlagenden Jugendlichen auf. Auch kamen von allen Seiten die Offiziere in ihren feschen Sonntagsuniformen gesprungen – mit einem munteren Pardon! lösten sie sich von ihren Damen, wetzten über die Grünanlagen, brüllten wie die Polizisten: Halt! Halt! Halt!, und gingen ihnen nach Kräften zur Hand, am Ende hatten sie tatsächlich vier oder fünf geschnappt. Riegelten die Brücke ab und fingen noch einen. Bugsierten sie alle zusammen durch das aufgescheuchte Flaniervolk den Battenberg-Boulevard hinauf zum Polizeirevier, stießen sie vor sich her.

      Nur Lasar Minkow war es gelungen, hurtig durch das bisschen stinkende Jauche des Flusses zu tappen, sich hinter die Flechtzäune der Gärten unterhalb der alten Festung zu ducken und zu entwischen, worüber – das heißt: über die eigene, unerwartete Wendigkeit – er sich nachher nicht genug wundern konnte und beinahe etwas wie Scham empfand. Derweil die Arretierten glaubhaft zu machen hatten, dass nicht sie es gewesen waren, die geschossen hatten. Sie hätten ja gar keine Waffe dabei, argumentierten sie wütend. Ah ja, dann wirds wohl die Großmutter gewesen sein!, höhnten die Polizisten. Bewaffneter Terror gehört überhaupt nicht zu unserer Taktik!, protestierten die Jungkommunisten. Wir wahren eiserne Neutralität! Russew18 selbst hat euch befohlen, unsere Neutralität zu achten! Soso, eure Großmutter schießt auf uns, und ihr seid neutral, fuhren die Polizisten fort, sich lustig zu machen, darauf die Jugendlichen: Dass wir die Stadt nicht verlassen, haben wir schon unterschrieben, was wollt ihr denn noch? Ruhig Blut, entgegneten die Polizisten und teilten erst einmal ein paar leidenschaftslose Fausthiebe aus, damit die Burschen wussten, woran sie waren, und nicht auf falsche Gedanken kamen, dabei drohten sie träge: Passt mal auf, wenn wir euch erst unsere Taktik vorführen, dann könnt ihr euch eure Neutralität in den Arsch stecken …

      Später wurde ernsthafter nachgefragt: Wenn nicht ihr, wer hat dann geschossen? – und die Jungen bissen die Zähne zusammen und knirschten: Irgend so ein Gangster, wir kennen ihn nicht. – Aha!, sagten die Polizisten. Und was hat dieser Gangster gewollt, fragten sie. Geld, kam die einleuchtende Erklärung. Geld oder Leben, habe er gerufen, und da sie nun mal kein Geld hatten, habe er geschossen, zur Abschreckung. Aha!, sagten die Polizisten noch einmal, nickten verständnisvoll und schienen es einzusehen, aber dann setzte es wieder eins mit der Faust – damit die Jungen wussten: Mit der Macht war nicht zu spaßen! –, worauf sie plötzlich zugeben sollten, in krimineller Verbindung mit Kurusanow zu stehen. Kurusanow, welchem Kurusanow?, fragten die Jungen perplex. Der Freiwillige, wo sich umgebracht hat, erklärten die Polizisten mit Nachdruck – oder ob sie vielleicht Kontakt zur Untergrundbande Schwarzer März hätten, überrumpelten sie sie mit einer neuen Frage, und die Jungen schnellten erneut von den Stühlen und protestierten: Mit dem Lumpenproletariat hätten sie nichts zu tun, und mit Anarchisten erst recht nicht! Ja, protestiert nur, protestiert, bekamen sie von den Polizisten gesagt, protestieren kann nie schaden! –, und dann wurden die Jungen hart angefasst, von wegen Leibesvisitation, Waffen am Körper oder Flugblätter, es fand sich natürlich weder das eine noch das andere und nichts Entlarvendes sonst, was den Beweis für ihre verbrecherische Tätigkeit geliefert hätte, zumindest für Mittäterschaft, Helfershelferschaft und sonstige Machenschaft gegen den Staat, auch bezüglich der Verbindungen zu Kurusanow und zum Schwarzen März fanden sich rein gar keine Anhaltspunkte. Zuletzt, kurz nach Mitternacht, wurden sie allesamt in den Keller geworfen, hinter ihnen schepperten die Riegel ins Schloss. Da konnten die Jungen noch so viel Protest einlegen und brüllen, dass Russew ihnen die Neutralität zugesichert habe, darauf hatten die draußen nur säuerlich zu bemerken: Protestiert nur, protestiert, Hauptsache nicht so laut, sonst müssen wir andere Saiten aufziehen … So ging das zu. Bald beruhigten sich die Gemüter, und aus dem Keller war nurmehr das Ächzen des grün und blau geschlagenen Peter St. Komitow zu hören und sein grässliches Winseln, er sei schon halbtot …

      Am Sonntagmorgen aber ging Stoju Minkow zur Polizei und meldete seinen Sohn Lasar als vermisst – ob er nicht zufällig eingebuchtet worden sei. Auf die strenge Nachfrage indes, wieso er seinen Sohn vermisse und wie er darauf komme, ausgerechnet bei der Polizei nach ihm zu fragen, wurde Stojan Minkow blass, weil ihm aufging, dass er sich mit seiner Frage zu weit vorgewagt hatte. Er versuchte den Rückzug anzutreten, sich schnell wieder davonzumachen, doch als das nicht ging, berichtete er zerknirscht, sein Sohn Lasar habe gestern um die Mittagszeit das Haus verlassen, sei bis zum Abend nicht wiederaufgetaucht, auch die ganze Nacht nicht, sei immer noch nicht wieder da. Man hörte ihn arglistig an, brachte das Gesagte zu Papier und schickte ihn nach Hause mit der Versicherung, dass sein Sohn sich nicht auf dem Revier befinde, doch werde man ihn schon auftreiben, und sollte er in der Zwischenzeit zu Hause aufkreuzen, so habe er sich unverzüglich auf dem Revier einzufinden, um den Sachverhalt zu klären.

      Dies trug sich am Sonntag zu. Selbigen Tages, am Nachmittag,