Christo Karastojanow

Teufelszwirn


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zu sich, seines Zeichens Fordson-Traktormechaniker, doch an sich nur Noahs Gehilfe, setzte ihm wispernd und rachsüchtig zischend etwas auseinander, der Junge nickte nur, grinste schief und verschwand um die Ecke; dort, irgendwo unter dem Schweinestall, wühlte er verstohlen einen Mannlicher-Karabiner mit zwei Patronentaschen Dum-dum-Geschossen aus dem Dreck. Nach einem finsteren Blick die menschenleere Straße hinauf und einem ebensolchen hinab machte er sich forsch auf den Weg durch das Labyrinth der Höfe, Schuppen und Stallungen, Abtritte, Hinterpforten, Obst- und Gemüsegärten, bis er sich im grauenden Morgen dieses 9. August 1923 verlor.

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       NÄCHTLICHE EXPLOSION IM OFFIZIERSKASINO

      SPRENGLADUNG IM GARTEN DES OFFIZIERSKASINOS EXPLODIERT • KOMMUNISTEN, ANARCHISTEN ODER RÄUBERBANDEN? • UNVERANTWORTLICHE STÖRUNG DER ÖFFENTLICHEN ORDNUNG • DEN ÜBELTATEN ENDLICH EINHALT GEBIETEN • MÖGLICHES ECHO IN HAUPTSTADT UND PRESSE

       Parteien – in eins!

      (Von unserem Sofioter Korrespondenten)

       TRAGÖDIE EINES ARMEN MÄDCHENS

      LIEBESDRAMA: Sturz in den Brunnen. Biographische Notizen zum Opfer (auf Seite VI)

      MERKWÜRDIGER VORFALL

      EINE VERSAMMLUNG, DIE NICHT STATTFAND

       Kontrolleur überfallen

      UNBEKANNTE TÄTER IM STADTKREIS – ZEUGE: STANJU D. – MEHR ALS ZEHN PATRONEN VERSCHOSSEN – BESTEHT EIN ZUSAMMENHANG MIT FRÜHEREN VORFÄLLEN IM LANDKREIS?

       Pferdedieb gefasst! Ein für allemal hinter Gittern

      BALDAKOW: SCHARFES DEMENTI?

       G. Baldakow, vorm. Reviervorsteher, dementiert entschieden. Was stimmt nun wirklich?

      Von diesem Tag an nahm das Unheil in K. seinen Lauf. Am 10. August rührte der Ausrufer die Trommel und lud alle Bürger, die ihr Brot nicht mehr selber buken, feierlich zu einer Versammlung ein, die um vier Uhr nachmittags im Saal der Lesehalle stattfinden sollte. Dort warteten die Leute eine geschlagene Stunde, ohne dass jemand erschien und ihnen erklärte, aus welchem Anlass man sie überhaupt gerufen hatte. Die Verwunderung war groß, man ging verdutzt, mit viel Rätselraten und nicht ohne bissige Kommentare wieder auseinander.

      Kurze Zeit später warfen Übeltäter eine Bombe in den Garten des Offizierskasinos, Angelarios Papadopulos wurde in Simniza unter den Zug gestoßen, und in K. ertrank unter ungeklärten Umständen Lilka Jakowa.

      Die Bombe war Marke Eigenbau, Lyddit oder Melinit, mit Lunte und einer kleinen Flasche Spiritus als Zünder. Sie explodierte mit einem furchtbaren Donnerschlag, Bäume wurden gepeitscht und entlaubt, doch Opfer gab es keine zu beklagen, nur das Dach eines Kioskes wurde teilweise abgedeckt. Ohne viel Federlesen, im blitzartigen Zugriff wurden ein paar aktenkundige Anarchisten verhaftet, die aber jegliche Anschuldigung bestritten, empört ihre Alibis vorwiesen. Sie wurden verprügelt und laufen gelassen. Genauso ging man hin und verhaftete zwei, drei Kommunisten – einfach so und für alle Fälle, denn sie waren es natürlich auch nicht gewesen, was man im Grunde vorher wusste, weil die Kommunisten in jenem Sommer 23 eher still in ihren Löchern hockten, in Erwartung von etwas, das keiner voraussehen konnte.

      Wie der Bürgerschaft nachher mitgeteilt wurde, sei das Attentat nur verübt worden, um die anwesenden Gäste eines Konzerts zu verschrecken, das die Blaskapelle des legendären Siebenunddreißigsten Piriner Infanteriebataillons zur selben Zeit dort gab. Jemand habe erreichen wollen, dass der Zustrom an Gästen, der dem Kioskbesitzer des Gartens auf Kosten anderer innerstädtischer Lokale Profit bescherte, zum Erliegen kam. Also ökonomische Hintergründe, keine politischen. Solches nahm man gern für bare Münze, weil man es dem bestialischen Charakter des Bulgaren ohne Weiteres zutraute.

      In der Nacht vom 10. auf den 11. stürzte sich die vierundzwanzigjährige Apothekergehilfin Lilka Jakowa kopfüber in den Schacht des Brunnens auf ihrem Hof. Für diesen Selbsttod eines jungen Menschen fand sich zunächst keine Erklärung. Dann aber klärte sich alles sehr schnell – nämlich als auf Seite eins der Freien Tribüne ein gewisser Pr. M. Tarow, Poet und Lagerist bei den Gebr. Kaischew (Wein- und Biergläser mit staatl. geprüfter Eichung, en gros und en détail; Zentrifugen; Ketten jedweder Länge und Dicke), seine Verlobung mit einem gewissen Frl. Jenny Krastewa aus Sofia bekanntgab. Wobei dieser Pr. M. Tarow in Wirklichkeit Projko Mankjow war. Derjenige nämlich, den Schuldirektor Christofor Milew mit zwölf weiteren Schülern anno 1919 (oder 20?) wegen Beteiligung an einer gegen die verordnete Volkstrauer aus Anlass des Vertrags von Neuilly-sur-Seine11 gerichteten Demonstration von der Schule gewiesen. Der seinem Französischlehrer Wassil Karagjosow immer so eifrig an den Lippen gehangen hatte, um die hohe Kunst des Reimens zu erlernen. Später machte Direktor Milew den Rausschmiss unter Auflagen rückgängig, nur dass Projko Mankjow auf diese Auflagen pfiff, weil keine zehn Pferde ihn in diese Schule hätten zurückbringen können, und Koljo, mittlerweile Noah Markows Gehilfe und Mechaniker für Fordson-Traktoren, hielt es genauso …

      Somit kam Licht hinter die Sache mit Fräulein Jakowa. Die war in den Brunnen gesprungen, weil sie selbigem Projko Mankjow zum Beispiel anno 1923 eine stattliche Summe Geld geliehen hatte, damit er seinen Gedichtband Glocken des Martyriums in der Schnelldruckerei von Herrn Mitirisow in Auftrag geben konnte, und ihm am 26. März, als die Militärs wutschnaubend die Stadt durchkämmten, in ihrer Apotheke Unterschlupf gewährt, wodurch er der Verhaftung entging. Just damals verknüpfte sich ihr Schicksal mit dem seinen, denn in jener Nacht soll sie sich ihm versprochen haben.

      Jedenfalls verließ Projko Mankjow damals – Anfang April, ein verregneter Monat – die Apotheke rasiert, mit ordentlichem Haarschnitt, ohne den breitkrempigen Hut, von dem er sich für immer getrennt hatte; die spitzen Schuhe unter den Galoschen hatte Lilka ihm ebenfalls gekauft. Sein Buch, die Glocken des Martyriums, fand natürlich keinen Absatz, so dass es Lilka wiederum auf sich nahm, sämtliche unaufgeschnittenen Exemplare des Buches in Wassil Krastews Buchhandlung zu erwerben, auf einen zu diesem Zweck gemieteten Wagen zu laden und an einen unbekannten Ort zu bringen. Und die Leute in ihrem Umkreis wussten, all das tat Lilka aus Liebe zu Projko, obwohl ihre Freundinnen immer der Meinung gewesen waren, dass der Typ sie sowieso nicht heiraten würde, der hatte doch Höheres im Sinn, ließ sich vom Gelde blenden auf eine geradezu widerwärtige Weise! Für Geld, so sagten sie, halte dieser Knabe doch jedem seinen Arsch hin, trotz seines anarchistischen Getues, und ob sie denn allen Ernstes glaube, dass er sie heiraten würde?

      So redete man zu ihr, sie aber begriff gar nicht, was man von ihr wollte, und war guter Dinge.

      Der Tod der armen Lilka betrübte die Stadt K. selbstverständlich über alle Maßen; alles trauerte um die junge Frau, auch wenn man am selben Tag noch eine weitere Leiche aus dem Wasser zog, einen Mann mit Vornamen Iwan, genannt: Fässchen. Der war aber nicht freiwillig ins Wasserbecken des Zeppelin-Hangars gefallen; Ursache für das betrübliche Vorkommnis war augenscheinlich der sittenlos-übermäßige Alkoholgenuss zur Mittagszeit, noch dazu bei dieser nie dagewesenen Hitze, da die Luft schon früh um halb acht zu glühen schien, und das tat sie bis nach Mitternacht. Hier lag ein unverantwortlicher Mißbrauch von unzähligen Litern Alkohol vor, der Herr war also selber schuld und wurde von keinem bedauert, warum auch … All das ergab sich kategorisch zweifelsfrei aus einem neben dem Becken gefundenen Flachmann mit inwendig geringer Neige, der dem übrigen Beweismaterial zugefügt wurde.

      Mit Angelarios Papadopulos verhielt es sich ganz anders.

      Er, der ein allseits geachteter Getreidehändler war, wurde, als er von Sliwen kommend nach Hause fuhr, auf dem Bahnhof von Simniza durch irgendwen auf die Gleise gestoßen, vom Zug überrollt und zur gräulichen Weise noch ein Stück mitgeschleift. Der Zug wurde erst einmal aufs Ersatzgleis verschoben, und es fanden sich Dutzende Augenzeugen, die den Täter als jungen Mann ohne besondere