bestattet wurden.
Zu alledem kam noch, dass Dimitar Zonew aus Teil Zwei infolge Unachtsamkeit eine tödliche Dosis Ätznatron schluckte und nach Burgas ins staatliche Krankenhaus eingeliefert wurde, wo der Unglücksrabe an den grässlichen Verbrennungen starb, die das chemische Gift in Mundhöhle, Speiseröhre und sonstwo angerichtet hatte; der Leichnam wurde zurück nach K. überführt und begraben, allerdings – seiner atheistischen, das heißt kommunistischen und vor allem anarchistischen Vergangenheit wegen – ohne geistlichen Beistand.
Die Polizei beeilte sich, kategorisch und gewissenhaft festzustellen, dass ausschließlich persönliche Verbitterung um einer Frau willen zu der Kurzschlusshandlung geführt habe, Natriumhydroxid in Wasser aufzulösen und das tödliche Getränk zu sich zu nehmen. Womit sie Gerüchten entgegentrat, die Gendarmerie oder gar die Militärliga14 hätten auf mysteriöse Weise bei Zonews Tod ihre Hand im Spiel gehabt. So nämlich mutmaßten zu Anfang einige der Obrigkeit missgesonnene Bürger: dass solches in einem Abschiedsbrief gestanden, den die Polizei heimlich an sich genommen habe.
Am selben Tag wurde dann Peter Komitow mitsamt Simidtschiews Pferden dingfest gemacht. Seine Ware abzusetzen hatte er nicht mehr geschafft, man traf ihn an, wie er mit drei bärtigen Pferdehändlern am Feilschen war. Grün und blau geprügelt wurde er aus Stara Sagora überstellt, doch auch hier in K. gleich wieder ins Verlies des Polizeireviers No 1 geworfen und weiter verdroschen, damit er zugab, mit den Illegalen in Verbindung zu stehen und von ihnen beauftragt zu sein, ehrbaren Leuten das Vieh zu stehlen; als klar war, dass es diese Verbindung nicht gab, drosch man zur Strafe erst recht weiter.
Immer noch am selben verrückten Freitag machte die Stadtverwaltung allen, die es wissen wollten, bekannt, dass eine öffentliche Versteigerung mit verdeckten Geboten zur Vergabe der Eintreibrechte für Gemeindesteuern, -gebühren und -abgaben, den Zeitraum vom 31. August diesen bis zum 1. April nächsten Jahres betreffend, anberaumt sei. Solcher Steuern gab es neuerdings viele: Standrechte auf dem Wochenmarkt, Reklamesteuer, Wagen-, Kutschen- und Cabrioletsteuer, Ziegelei- und Kalkbrennereisteuer, Glücksspielsteuern auf Tricktrack-, Domino-, Billard- und andere Spiele, Vieh- und Blutzoll, Wägegeld, Abgaben für Theater-, Musik- und Gesangserlaubnis und dergleichen sowie Druckerlaubnis von Spiel- und Wahrsagekarten.
Der vorige Inhaber dieser Eintreiberechte, ein Landwirt, war seit den Ereignissen vom 9. Juni verschollen.
Noah Markow sah die Bekanntmachung in der Freien Tribüne und im Amtsblatt und begab sich in die Ratskanzlei, nahm Einsicht ins Reglement der Versteigerung und sonstige Ausschreibungsunterlagen, wies sich aus, wie es der damals gültige Paragraph 25 des Gesetzes über Haushalt, Rechnungsführung und Unternehmen unerbittlich vorsah, entrichtete mit saurer Miene die fällige Teilnahmegebühr und so weiter, um dann zum Termin Ende August (dem er, grimmig und aus irgendeinem Grunde rachsüchtig erscheinend, in Begleitung zweier Fremder mit kriminellen Visagen – man tippte auf Flüchtlinge oder Musikanten – beiwohnte) die gesamte verdatterte Konkurrenz mit einem einzigen, unschlagbaren Angebot aus dem Rennen zu werfen.
Das war es dann.
Und als er den Ort des Triumphes verließ, spürte er in seinem Rücken die Blicke voller Mißgunst, unverhohlenem Hass und ebensolcher Anerkennung, gab jedoch nicht zu erkennen, ob ihm das gefiel oder nicht.
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Zwischenfall im Stadtpark
ILLEGALE ZUSAMMENKÜNFTE EINES JUGENDLICHEN PERSONENKREISES – DIE MORAL DER JUNGKOMMUNISTEN … – WER HAT GESCHOSSEN? – NACHFOLGEND VERHAFTUNGEN – DIE MORAL DER JUNGANARCHISTEN – HAT DER FALL KURUSANOW DAMIT ZU TUN?
Junger Mann vermisst
DAS DRAMA EINES VATERS • STOJU MINKOW SUCHT BEI DEN BEHÖRDEN UM HILFE • WO STECKT LASAR MINKOW? • ÜBERZEUGTER ANARCHO-KOMMUNIST
DAS NEUESTE AUS DER WELT IN KÜRZE: Im rumänischen Bukarest wurden zuletzt mehrere Todesfälle nach Neosalvarsan-Injektionen festgestellt. Hühner sind unempfindlich gegen Strychnin. Eine Trottellumme taucht bis zu 160 Meter tief. Ein gut geschliffener Diamant hat 58 Facetten. (siehe Seite 2)
(Manchmal, wenn er allein im Kontor war, sprang Projko Mankjow – alias Tarow – von seinem beklecksten Schreibtisch auf, verschwand in der Tiefe des Lagers hinter einer Bretterwand, wo es einen senkrechten Balken gab, der einen zweiten, waagerechten stützte. Projko Mankjow stellte sich mit dem Rücken dazu, spreizte seine langen Arme nach hinten, konnte den Querbalken gerade so umgreifen und zog die Füße an – hing so eine Weile, schwer und abgehackt atmend, still, mit glotzendem Blick, inmitten von Spinnweben und Staub. Dann kehrte er eilig zurück an seinen Tisch und schrieb blitzartig, unter Schnaufen und Zischen, mit wild kratzendem Federhalter ein rebellisches Gedicht. Zum Schluß griff er nach der Wasserkaraffe und trank, lange. Und er wusste genau: Fünf Minuten Hängen am Balkenkreuz und melancholisches Starren zogen unweigerlich die Idee für ein neues Gedicht nach sich – einen Reim, ein Bild, eine Beschwörung – und wenn schon kein Gedicht, dann wenigstens eine Werbung. Denn Projko Mankjow verfasste Werbesprüche für die Händler in der näheren Umgebung, und diese zahlten ihm Prozente, je nachdem, wie teuer der Abdruck der Werbung in der Freien Tribüne kam. Für städtische Bekanntmachungen in der Freien Tribüne galt in diesem schwülen Sommer 1923 ein Festpreis von zwei Lewa pro Quadratzentimeter – so hatte es die Stadtverwaltung festgelegt; für kommerzielle wurde nach Vereinbarung gezahlt, wie es Sitte war. Und Projko erkundigte sich immer erst diskret beim Redakteur Peow, worin diese Vereinbarung bestand. Er traute seinen Kunden nicht. Die ihm genauso wenig. Dabei war die Wirkung seiner Arbeiten garantiert, denn in der Art, wie sie geschrieben waren, erinnerten sie an solide Handarbeit. Es funktionierte nur leider nicht immer. Und weil eben nicht jeder Wurf glückte, hatten die Kunden Geduld mit ihm und ließen etwas springen – zwar soff der Kerl ausschließlich Chartreuse, ja nun, dann mussten sie ihm eben den einschenken und spendierten ihn gern, da sie doch wussten, wenn Projko nicht in Stimmung war, kam unter seiner Feder nichts weiter heraus als: das und das gibts bei dem und dem; vollkommen untauglich, doch das Geld behielt er; war er hingegen in Hochform, dann machte er etwas draus, dann feilte und polierte er, dass es eine Freude war und ein Stich im Herzen jedes Konkurrenten. So geschehen im Falle von Noah Markow, als dessen armer Sohn Iwan verstorben war und Noah Markow in seinem Wahn die halbe Stadt aufkaufte, da schrieb ihm Projko eine Reklame, mit der er alles Dagewesene übertraf. Ebenso für Sotir Kamburow letzten Herbst: Der Eiffelturm (Paris) steht auf vier Fässern. Böttcherei Sotir Kamburow, K. – und Sotir Kamburow, wie er die Reklame und die zugehörige Eiffelturmzeichnung sah und unter den vier Pfeilern die vier Fässer, die tatsächlich von ihm hätten sein können, da war er so hochzufrieden, dass er Projko hundert Prozent von dem zahlte, was die Anzeige hinterher in der Freien Tribüne kostete, nämlich drei Lewa der Quadratzentimeter. Elf Zentimeter breit mal sechs Zentimeter hoch, also 66 Quadratzentimeter mal drei macht 198, und das Ganze zehnmal abgedruckt: 1 980 Lewa Urheberbeteiligung allein von Sotir Kamburow, unterm Strich. Kam einem viel vor, doch erstens warf Kamburow, nachdem die Anzeige raus war, alle anderen Böttcher in K. aus dem Rennen, schlug wer weiß wie viele Fässer los, und zweitens kassierte Projko beileibe nicht immer und von jedem hundert Prozent. Von Noah Markow zum Beispiel, letztes Frühjahr, nahm er gar nichts, schrieb die Annonce für lau. Meistenteils aber verlangte er fünfundzwanzig Prozent oder dreißig. Das akzeptierten alle. Mit den Gedichten verhielt es sich vollkommen anders. Weil die wie Handgranaten waren, nicht wie braves Kunsthandwerk. Mit stählernem Griffel, smaragdenem Stichel, flammenden Auges gemeißelt ins Hirn. Sprich, Parabellum! Schicksal besiegelt, beißende Kabbala, bleischwere Stirn … und immer so weiter, das Gedicht hatte die Freie Tribüne im März abgedruckt, er hatte es den Anarchisten im Klub der Föderation vorgetragen und verkündet: so und so, das Gedicht sei ein Appell, damit wolle er sagen, dass sich der revolutionäre Anarchist die Waffe nicht aus der Hand nehmen lassen dürfe, keiner habe das Recht, sie ihm wegzunehmen, und so seien die Anarchisten verpflichtet, eisernen Widerstand gegen die Obrigkeit zu leisten, wenn die zur Entwaffnung