gegen dieses Prinzip gibt es gewichtige Argumente: Zunächst einmal verhält es sich mit dem Begriff der Kausalität so ähnlich wie mit dem der Materie. Beide kommen in keiner physikalischen Formel vor und die Philosophen der Physik sind sich deshalb höchst uneinig, was sie unter Kausalität verstehen sollten, während viele von ihnen es sogar ganz ablehnen, in der Physik von Kausalität zu sprechen. Noch verworrener wird die Situation, wenn wir die anderen Wissenschaften zu Rate ziehen. Der Kausalitätsbegriff ist derart vielfältig, dass man daran verzweifeln muss, einen allgemeinverbindlichen Inhalt zu finden. Aber dann kann von einer kausalen Geschlossenheit der Welt nicht mehr die Rede sein. Die verschiedenen Formen von Kausalität addieren sich nicht mehr zu einer geschlossenen Kette, an der das Seiende hängt und von der es hinreichend festgelegt wird.
Vorbemerkung
Die hier folgenden Unterkapitel und auch das vierte Kapitel sind etwas technisch, also eher abstrakt. Das liegt am Thema. Die Sachverhalte, auf die sich unsere Überlegungen beziehen, sind ebenfalls von dieser Art. Es sei aber der Grundgedanke dieses dritten Kapitels an einem einfachen Beispiel vorweg verdeutlicht, das unmittelbar in die Diskussion einführt. Die heute herrschende, am meisten verbreitete Anschauung nennt sich nichtreduktionistischer Physikalismus. Ein Wort vorweg zur Nomenklatur: Man spricht heute gerne von Physikalismus, das klingt wissenschaftlich, von Naturalismus, das klingt nach Goethe, und selten von Materialismus, das klingt zu grob, außerdem will niemand ein Reduktionist sein. Aber in Wahrheit ist in all diesen diversen Flaschen immer dasselbe drin. Wir werden deshalb eher respektlos, aber wahrheitsgemäß von Materialismus reden. Heute am meisten verbreitet ist also dieser nichtreduktionistische Physikalismus. Er setzt sich dem reduktionistischen Physikalismus entgegen. Diese strengere Art von Physikalismus entstand vor 100 Jahren im Wiener Kreis. Man ging davon aus, dass alles, was existiert, hinreichend durch Physik erklärbar sei. Psychologie sei auf Biologie, Biologie auf Chemie und Chemie auf Physik reduzierbar und alle Weltinhalte seien daher aus wenigen physikalischen Formeln abzuleiten. Dieses Programm war von vornherein utopisch, denn wie sollte man z. B. Gefühle, Ahnungen, Phantasien, Begründungsleistungen, kurz das Mentale, quantifizieren und in physikalische Formeln hineinpressen, von Lebensphänomenen zu schweigen, die sich ebenfalls als sperrig erwiesen haben.
Dass dieser reduktive Physikalismus sehr lange, sozusagen wider besseres Wissen, gehalten wurde, scheint daran zu liegen, dass er die Einheit der Welt garantierte. In der Tat, wenn alle Weltinhalte aus wenigen Gleichungen abgeleitet werden können, dann liegt die Einheit der Welt eben in dieser Ableitung begründet und wenn wir weiter voraussetzen, dass die Physik eine materialistische Instanz ist, dann scheint der weltanschauliche Materialismus wissenschaftlich gerechtfertigt. Es ist offenbar so, dass die Menschen ein unstillbares Verlangen haben, die Einheit der Welt zu denken und wenn Gott als traditioneller Garant dieser Einheit abdankt, dann bleibt sein Thron nicht etwa leer, sondern es besetzt ihn ein Anderer.
Nun hat sich aber gezeigt, dass dieses rigide Reduktionsprogramm nicht erfüllt werden kann. Es gelingt uns nicht, Lebensphänomene auf physikalische Prozesse zurückzuführen, vor allem aber nicht die mentalen Zustände. Also führte man den sogenannten nichtreduktionistischen Physikalismus ein, der heute die Mehrheitsmeinung zu sein scheint. Der nichtreduktionistische Physikalismus verbindet einen ontologischen Reduktionismus mit einem gnoseologischen Antireduktionismus. Er hält also daran fest, dass alles Existierende nichts sei als bloße Materie, dass wir aber eine Mehrheit nicht aufeinander reduzierbarer Diskurse brauchen, um dieses Identische zu begreifen. Aber diese Mehrheit von Diskursen fällt nur auf die Seite des begreifenden Subjekts. Die Objekte sind davon unberührt und sind ihrer Substanz nach weiter nichts als Materie. Von daher ist der Begriff des nichtreduktionistischen Physikalismus ambivalent. Das nichtreduktionistisch bezieht sich nur auf die Theorie. Ontologisch gesehen reduziert dieser Physikalismus dennoch alles auf die Materie. Aber es klingt eben besser.
Die Inder vergleichen ihren – allerdings geistphilosophisch verstandenen – Monismus gerne mit Blinden, die einen Elefanten betasten: Der eine sagt, der Elefant sei eine Walze, der andere, es handle sich um vier Säulen und der dritte fasst den Elefanten am Rüssel und hält ihn für eine Schlange. Dabei handelt es sich um ein und dasselbe Objekt, aber unter drei verschiedenen Arten von Beschreibung.
Man sieht aber, wo die Voraussetzung dieser Metapher herrührt: Es muss außer den drei Blinden noch einen geben, der wirklich sieht, sonst kann die Einheit des Objekts nicht realisiert werden. Der Sehende ist der Erleuchtete. Aber woher nimmt dann der Materialist seine Erleuchtung? Es ist dem Verfasser nicht gelungen, in der ausgedehnten Literatur irgendein vernünftig nachvollziehbares Argument zu finden, das die Position des nichtreduktionistischen Physikalismus rechtfertigen würde. Sie ist in der Tat absurd und diejenigen, die sie halten, versichern immer nur, dass sie wahr sei, wobei offensichtlich der Wunsch Vater des Gedankens bleibt. An sich impliziert nämlich der nichtreduktionistische Physikalismus einen ontologischen Pluralismus, wie leicht zu sehen. Wenn es der Fall ist, dass uns Realität nur mit Hilfe nicht aufeinander reduzierbarer Wissenschaften, also Physik, Chemie, Biologie usw. erkennbar wird, dann kann die Einheit hinter dieser unreduzierbaren Vielheit nicht Gegenstand einer dieser Spezialwissenschaften sein, die uns ja nur Kenntnisse über bestimmte Aspekte der Welt vermitteln. Sie beziehen sich daher niemals auf das Ganze. Das heißt aber: Wenn wir von diesem Standpunkt aus die materielle Einheit aller Dinge begründen wollten, dann bräuchten wir einen von den Einzelwissenschaften gänzlich unabhängigen Zugang zur Realität und es ist nicht ersichtlich, wo der herkommen sollte, wenn es nach materialistischer Überzeugung keine Erleuchtung gibt. Wer also behauptet, alles sei der Substanz nach nichts als Materie, der trägt die Beweislast. Stattdessen versichern uns die entsprechenden Autoren immer nur, dass alles Existierende aus Materie und nur aus Materie bestehe und dass allein aus diesem Grunde der Materialismus wahr sei.
Aber das ist ungefähr so schlüssig wie die grobmaterialistische Aussage „Der Mensch ist, was er isst“. Zwei Personen können dasselbe essen, aber ganz Verschiedenes oder auch gar nicht denken. Natürlich wird, wer auf die Dauer nichts mehr isst, auch nicht mehr denken können, aber das bedeutet nicht, dass die materielle Basis den Überbau inhaltlich bestimmt.
Und so verhält es sich auch mit dem verbreiteten Argument, der Materialismus sei schon allein deshalb wahr, weil alle Objekte aus Materie bestehen. Ein Computer besteht z. B. ganz offensichtlich aus Materie, aber bei seiner Konstruktion musste der Ingenieur dezidiert Gebrauch machen von seinen geistigen Kompetenzen, sonst würde es keine Computer geben. Der Geist wird hier in die Materie hineingebaut. Er ist ihr immanent und wenn Menschen gleichermaßen aus Materie bestehen, so schließt auch dies noch längst nicht aus, dass es der Geist ist, der den Menschen zum Menschen macht, unbeschadet der Tatsache, dass er fest mit der Materie verbunden bleibt.
Die unreduzierbare Vielheit der Disziplinen, die der nichtreduktionistische Physikalist anerkennt, verweist in Wahrheit auf einen ontologischen Pluralismus. Es gibt im eigentlichen Sinne nicht nur Atome, sondern auch Lebewesen oder geistbegabte Menschen als selbstständige Größen.
Der nichtreduktionistische Physikalismus als die heute herrschende Mode ist nichts als ein materialistisches Glaubensbekenntnis, das dem verzweifelten Bemühen entspringt, die Einheit der Welt nach dem „Tode Gottes“ zu denken. Wir haben damit ein Muster gewonnen, nach dem die Beispiele des dritten Kapitels verständlich werden: Der szientifische Materialist fängt zunächst in der Tat mit der Wissenschaft an. Er stützt sich auf die verlässlichsten Erkenntnisse, die wir haben, stürzt dann aber in einen kruden Monismus ab, den er mit Hilfe von schwammigen, intensional unbestimmbaren Begriffen ausstaffiert. Das sind dann Begriffe, die wissenschaftlich klingen sollen wie Materie, Selbstorganisation, Information, Kausalität, Supervenienz usw. Die genauere Überprüfung wird aber zeigen, dass solche Begriffe extrem mehrdeutig sind und dass sie die weltanschauliche Last nicht tragen können, die ihnen aufgebürdet wird. Es handelt sich um Glaubensbekenntnisse im Gewand der Wissenschaft und dies rechtfertigt, im Sinn Karl Rahners von „gnoseologischer Konkupiszenz“ zu sprechen. Die Begierde hat den Verstand außer Kraft gesetzt.
Die drei Säulen des Materialismus
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