Anerkennung und dehnte im Folgenden ihre Arbeit stärker auch auf Katastrophenfälle in Ländern außerhalb Europas aus. Schon mit der Ungarnhilfe 1956 zeichneten sich die besonderen Qualitäten der Diakonie Katastrophenhilfe ab: Schnelligkeit, Flexibilität und Unkonventionalität sowie der hohe persönliche Einsatz ihrer Mitarbeiter, zudem ein langer Atem, der weit über den unmittelbaren Katastropheneinsatz hinaus reicht.
50ER JAHRE + + NIEDERLANDE GRIECHENLAND PALÄSTINA HONGKONG
Die Ungarnhilfe war die umfangreichste Auslandsaktion nach der Gründung der Diakonie Katastrophenhilfe 1954. Ihre Entstehungsgeschichte basiert aber auch auf einer Reihe weiterer Hilfsmaßnahmen in den Niederlanden, Griechenland, Palästina oder Hongkong. Sie gingen der Gründung zeitlich voraus.
Flutkatastrophe in den Niederlanden
Am 2. Februar 1953 wurden die Niederlande von der bisher schwersten Flutkatastrophe in ihrer Geschichte heimgesucht. Diese Naturkatastrophe forderte 1.800 Todesopfer, 300.000 Menschen mussten evakuiert werden. Für Ludwig Geißel war die „Hollandhilfe“ ein bedeutender Schritt auf dem Weg „von der nehmenden zur gebenden Kirche“ in Deutschland: „Die Katastrophenhilfe des Hilfswerks hatte ihren Anfang genommen“, schrieb er 1991 in seinen Memoiren.
Anlässlich der Not im Nachbarland rief das Hilfswerk erstmals zu einer spontanen Spendensammlung auf. Schon am 2. Februar habe man im Zentralbüro des Hilfswerks Überlegungen angestellt, ob es nicht an der Zeit sei, die deutschen Gemeinden zu bitten, einen Solidaritätsbeitrag für die Menschen in den Niederlanden zu leisten, erinnert sich Ludwig Geißel: „Wir wussten freilich, dass das riskant war. Die Not in Deutschland, vor allem unter den Heimatvertriebenen und Flüchtlingen, war noch längst nicht behoben.“ Tatsächlich gab es vereinzelt Widerspruch. So meldete ein Mitarbeter des Hauptbüros des Hilfswerks im Rheinland Bedenken an, ob denn die Niederländer die Hilfe aus dem Ausland wirklich bräuchten. Deren Textilwirtschaft müsse doch froh sein, den jetzt gestiegenen Bedarf abdecken zu können. Außerdem gäbe es in Deutschland noch genügend eigene Probleme zu bewältigen, so dass die Niederländer „Hilfe bei weitem nicht so nötig brauchen wie wir selbst“.
„Zend Water“ (Schickt Wasser) ist auf dem Lastkahn im niederländischen Bronvershaven zu lesen: Opfer der Sturmflut sind von der Nahrungs- und Trinkwasserversorgung abgeschnitten.
Insgesamt jedoch überwog die Spendenbereitschaft: Das Hilfswerk konnte knapp 38.000 D-Mark in die Niederlande schicken; der größte Teil dieses Geldes wurde für den Wiederaufbau eines Jugendzentrums in Rotterdam genutzt. Dazu kamen umfangreiche Sachspenden aus den Kirchengemeinden. Überraschend meldeten sich auch junge Leute, die sich persönlich am Wiederaufbau in den Niederlanden beteiligen wollten. Das „Holländische Komitee für zwischenkirchliche Hilfe und Flüchtlingsdienst“ bedankte sich im März 1953 überschwänglich für die empfangene Hilfe: „Die ergreifende Weise, in der Hunderttausende von Menschen in der ganzen Welt geholfen und vielfach wirkliche Opfer gebracht haben, hat im ganzen niederländischen Volk einen tiefen Eindruck hinterlassen. Gerade dass unsere deutschen Brüder und Schwestern nicht zurückstanden, sondern im Gegenteil zuerst zur Stelle waren, hat uns sehr erfreut.“
Ein Erdbeben erschüttert Griechenland
Kirchen helfen Kirchen: Mit Unterstützung des Hilfswerks wird die Kirche im griechischen Sofades wieder auf gebaut.
Zu einem Ort großer Not und einem wichtigen Schritt für die Diakonie Katastrophenhilfe wurde kurz nach der Flut in den Niederlanden ein Teil Griechenlands. Am 12. August 1953 zerstörte ein Erdbeben auf den Ionischen Inseln hunderte von Dörfern. 100.000 Menschen wurden obdachlos, 450 Menschen kamen ums Leben. Nach einem Hilfegesuch des Ökumenischen Rates der Kirchen bat Bischof Dibelius als Vorsitzender des Hilfswerkausschusses die evangelischen Kirchen in Deutschland um Unterstützung: „So groß und schwer auch die Aufgaben im eigenen Land noch immer sind – wir dürfen und wollen nicht immer nur die Nehmenden sein!“
Bis Mai 1954 kamen über 40.000 D-Mark an Spenden zusammen, teilweise auch von den Kirchen der DDR. Das Geld wurde dem Komitee für zwischenkirchliche Hilfe in Griechenland „als kleiner Beweis der Dankbarkeit und Zeichen der eigenen Opferbereitschaft“ für den Wiederaufbau zur Verfügung gestellt. Unter anderem wurde damit die evangelische Kirche in Sofades wiedererrichtet. 1955 und 1956 sandte das Hilfswerk 67 ostfriesische Zuchtschafe, außerdem Zugpferde für erdbebengeschädigte Bauern nach Griechenland. Die Schafe wurden von ihren heimatlichen Weiden per Zug und Luftfracht auf die Reise geschickt.
In Griechenland nahm sie das griechische Landwirtschaftsministerium mit einem kleinen Festakt freudig in Empfang. „Wir haben nicht gewusst, dass es so große Schafe gibt“, schrieben die griechischen Bauern in einem Dankesbrief an das Hilfswerk, „sie fühlen sich bei uns sehr wohl, auch die 35 Lämmer, die unterwegs geboren wurden.“ Der tiefe Eindruck war wechselseitig. Ein nach dem Krieg aus Schlesien vertriebener deutscher Bauer, der die Transporte nach Griechenland begleitet hatte, war erschüttert: „Ich habe nicht gewusst, dass es irgendwo solche Armut gibt. Und ich habe auf unserer Flucht doch so viel Elend gesehen.“
Flüchtlingshilfe in Palästina und Hongkong
Palästina 1953: Infolge des arabisch-israelischen Krieges von 1948 mussten dort und in den Nachbarländern hunderttausende palästinensischer Flüchtlinge in Lagern versorgt werden. Seit 1953 schickte das Hilfswerk jährlich bis zu 30.000 D-Mark an den Ökumenischen Rat der Kirchen oder direkt zu Partnerorganisationen nach Palästina. Ab 1955 beteiligte es sich an ökumenischen Projekten zugunsten der Flüchtlinge in den arabischen Ländern. Zusätzlich schickte das Hilfswerk regelmäßig Wolldecken und Medikamente in die palästinensischen Flüchtlingslager nach Syrien. Hier deutete sich ein Konflikt an, der die Katastrophenhilfe über die kommenden Jahrzehnte immer wieder beschäftigen sollte. Eine Flüchtlingskatastrophe gab es auch in Hongkong. Drei Millionen Chinesen waren nach der Gründung der Volksrepublik China 1949 nach Hongkong geflohen, die damals britische Kronkolonie war.
Solche Bilder relativieren die Not Im Nachkrlegsdeutschland.
Ab Mitte der 1950er Jahre sammelte das Hilfswerk jährlich mehrere 10.000 D-Mark, die an kirchliche Partnerorganisationen in Hongkong geschickt wurden. Elisabeth Urbig machte auf eine – die politischen Zeitumstände reflektierende – Besonderheit der frühen deutschen Spendenbereitschaft aufmerksam: „Aus Berliner Flüchtlingslagern kamen die ersten Kollekten für Hongkong-Stadt ohne Hinterland. Wie das ist, wusste man dort sehr gut.“
All diese Beispiele von Hilfsmaßnahmen belegen einmal mehr den besonderen Zusammenhang der Hilfsbereitschaft in Deutschland mit dem Erleben der eigenen Katastrophe nach 1945. Das Gefühl großer Dankbarkeit für die ungeheure Unterstützung durch das Ausland in den Nachkriegsjahren wirkte in den 1950er Jahren als wesentlicher Antrieb für die Diakonie Katastrophenhilfe. Das wirtschaftlich konsolidierte Deutschland bot im folgenden Jahrzehnt vollkommen neue Perspektiven an Spendenaufkommen.
Im Schatten des Wirtschaftswunders verlangte die Not- und Katastrophenhilfe aber auch nach neuen Begründungen für die Bereitschaft zum Spenden. Dass diese nötig waren, zeigte der Lauf der Geschichte. „Nie wieder Krieg!“ hieß es nach 1945 mit voller Überzeugung auf der ganzen Welt, als man den Nationalsozialismus endlich besiegt hatte. Nie wieder Krieg?
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